Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Tagein, tagaus kurvt Serdar in den eiskalten Wintermonaten durch die Stadt. Das Geschäft ist zu dieser Jahreszeit eher mürbe, die Launen der Fahrgäste dem Wetter angepasst eher wolkig und die früh einbrechende Dunkelheit macht auch dem Gemütszustand meines Fahrers zu schaffen. Serdar denkt aber bereits an den Frühling, denn dann tauscht er die Mieselsucht Wiens gegen das Urlaubsgefühl der türkischen Westküste. Jeden April fährt er für etwa einen Monat in den Umkreis von Izmir, von Mitte Juli bis Anfang September ist er auch dort anwesend. Izmir ist für Serdar aber weder alte Heimat noch Urlaubsregion, sondern der Schauplatz für sein Geschäft als Granatapfelhändler.
Dazu kam Serdar vor einigen Jahren wie die Jungfrau zum Kind. Als sein Großvater überraschend verstarb, rückte er in der Erbfolge direkt auf und war über Nacht Besitzer voluminöser Granatapfelfelder. Wie groß die Anbaufläche seiner Farm ist, fällt ihm auf meine Nachfrage nicht sofort ein, aber „wir verkaufen im Jahr ungefähr 110 Tonnen Granatäpfel. Das ist gar nicht so wenig.“ Serdar wurde in Wien geboren, verbrachte hier alle seine rund 40 Lebensjahre und gründete in Österreich seine Familie. Vor der plötzlichen Erbschaft besuchte er seine Vorfahren alle heiligen Zeiten, um die Reise mit einem kleinen Urlaub zu verbinden, nun musste er sein Leben radikal umstellen und sich völlig neu ausrichten.
„Ich habe mir anfangs überlegt, ob ich damit umgehen kann, bin aber einfach ins kalte Wasser gesprungen“, erzählt er mir nicht ohne einen fühlbaren Funken an Stolz, „jetzt pendle ich, für insgesamt etwa vier Monate pro Jahr, runter, um dort zu arbeiten.“ Die Haupterntezeit für Granatäpfel ist zwischen September und Dezember. Serdars Anwesenheit in den warmen Frühjahrs- und Sommermonaten ist von bürokratischer Natur. „Ich muss den Laden schmeißen und führe alle Vertragsverhandlungen mit den Einkäufern und Partnern. Außerdem bin ich für das Personal zuständig und muss mich um deren Belange kümmern.“ Auch die Anzahl seiner saisonalen Mitarbeiter fällt ihm nicht ad hoc ein. „Das variiert ein bisschen, je nach Menge der Ernte.“
Serdar musste den Menschen im Umfeld seines verstorbenen Opas vertrauen, sich genaue Informationen über sein Unternehmen und die Ware beschaffen, lernte sogar Traktorfahren und übte sich aus dem Stand in der Kunst des Verhandelns. „Ich mache alles nach Bauchgefühl und dem Wissen, das ich habe. Es ist ein schwieriger Job, aber er macht mir Spaß und am Ende tue ich es ja für mich und meine Familie.“ Seine Aufenthalte auf der Farm sind aber nicht nur von Arbeit gekennzeichnet. Mittlerweile weiß er die temporären Flüge in die Türkei so richtig zu genießen. „Vor allem im Sommer liege ich auch viel herum und genieße das Wetter“, lacht er laut, „außerdem gehen mir die Leute nicht am Arsch.“
Ein fixer Umzug in die Türkei ist für Serdar keine Option. „Ich bin hier geboren, ich lebe hier, meine Kinder gehen hier zur Schule. Österreich ist meine Heimat.“ Einen Verkauf der Fläche denkt er über kurz oder lang an. Zumal das ständige Pendeln und die Doppelbelastung mit zunehmendem Alter nicht einfacher werden - auch wenn er sein Dienstauto als selbstständiger Taxler stehen lassen kann, wann immer er will. „Die Felder liegen geografisch extrem gut. Sie sind vom Kern Izmirs so weit entfernt wie Schwechat von Simmering“, gibt er ein anschauliches Beispiel, „sie bauen viel in dieser Gegend, aber solange das Geschäft gut geht und ich es von hier leiten kann, bleibe ich dabei. Früher oder später werden sie bei mir aber Wohnungen bauen wollen und dann verkaufe ich - meine Kinder werden dadurch reich.“
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