Überraschend stattet Bundespräsident Alexander Van der Bellen der Ukraine einen Solidaritätsbesuch ab. Er traf Mittwochfrüh in Kiew ein. Im Laufe des Vormittags besuchte er den Vorort Butscha, in dem russische Soldaten vergangenes Kriegsgräuel begangen hatten. Am Nachmittag ist ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geplant. Kritik an Aussagen Van der Bellens kam von der FPÖ und Russland.
Die Reise in das von Russland angegriffene Land solle eines klar signalisieren, erklärte Van der Bellen: „Wir stehen an der Seite der Ukraine, wir lassen sie nicht im Stich.“ Begleitet wird der Bundespräsident von Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP). In Butscha besuchte der Bundespräsident eine Gedenkstelle, Gräber von Kriegsopfern und eine mit österreichischer Hilfe sanierte Schule.
„Hier in Butscha trauere ich um jedes einzelne Leben, das durch diesen schrecklichen Angriffskrieg zerstört wurde“, so Van der Bellen auf Twitter. „Diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen alles, wofür wir stehen, dürfen nicht vergessen werden und dürfen nicht ungestraft bleiben“, betonte er.
In der Umgebung von Kiew sollen noch weitere Hilfsprojekte besucht werden, die von Caritas, des Roten Kreuzes, des Gemeindebunds und der Volkshilfe unterstützt werden. Vertreter dieser Organisationen begleiten Van der Bellen. Geplant ist etwa auch der Besucher einer Geburtsklinik in Kiew, die mit österreichischer Hilfe in Betrieb gehalten wird.
Verfolgen Sie den Besuch des Bundespräsidenten hier im Live-Blog:
Van der Bellen: Angriff mit Kolonialkrieg vergleichbar
Die Ukraine sehe sich einem Angriffskrieg ausgesetzt, der seinesgleichen suche, meinte der Bundespräsident bei der Anreise zu österreichischen Journalisten. Dieser sei vergleichbar mit Kolonialkriegen aus dem 19. Jahrhundert, zog er historische Vergleiche. Die Bevölkerung sei vor die Wahl gestellt worden: „Entweder akzeptiert ihr, eine Provinz Russlands zu sein, die von Moskau aus regiert wird, oder es ist alles kaputt.“ Da es Widerstand gebe, sehe etwa die Hafenstadt Odessa mittlerweile aus wie eine deutsche Stadt am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Der Widerstand gehe aber nur so lange, wie der Westen Hilfe leiste, so der Bundespräsident. Da Österreich aufgrund seiner militärischen Neutralität kein Kriegsgerät liefern könne, leiste es Hilfe auf humanitärem und medizinischem Gebiet. Dort sei Österreich unter den größten Gebern, lobte Van der Bellen auch das Engagement der Zivilgesellschaft.
„Wir unterstützen die ukrainische Bevölkerung mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen“, betonte Van der Bellen weiters: „Seit Kriegsbeginn wurden 118 Millionen Euro staatliche Hilfe zur Verfügung gestellt.“ Fazit: „Die österreichische Delegation wird sich vor Ort ein Bild davon machen, wie rasch und direkt die österreichische Hilfe im Kriegsgebiet ankommt.“
Im Nachtzug nach Kiew
Nach einem Flug von Wien am Dienstagnachmittag nach Polen war das österreichische Staatsoberhaupt in Przemysl in den Nachtzug Richtung Kiew gestiegen. Die Frage, ob er bei der Reise in eine Kriegsregion vielleicht auch ein mulmiges Gefühl habe, beantwortete Van der Bellen mit einem Schuss Fatalismus: „Es ist theoretisch denkbar, dass eine Bombe am falschen Ort explodiert. Bisher ist bei solchen Besuchen aber nichts passiert.“
„Ich habe bei meiner Angelobung klar gesagt, dass ich auch in den kommenden sechs Jahren sehr genau hinsehen werde, wenn es um den Schutz der Demokratie und den Erhalt unserer europäischen Werte geht“, hatte Van der Bellen schon zu Beginn der aus Sicherheitsgründen nicht medial angekündigten Reise verlauten lassen. „In der Ukraine sind diese europäischen Werte und die Demokratie gerade buchstäblich unter Attacke.“
Reise bewusst gleich zu Beginn der zweiten Amtszeit
Es sei daher ein „bewusstes Zeichen der Solidarität und der Unterstützung für die Menschen in der Ukraine“, dass diese Reise gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit nach Kiew gehe, erklärte Van der Bellen in einer im Zug aufgenommenen und auf Twitter veröffentlichten Videobotschaft (siehe unten).
„Keineswegs neutral in unserer Haltung“
Im Gepäck der österreichischen Delegation sei auch konkrete Hilfe, etwa Generatoren. Sie werden in der Ukraine, deren Energiesysteme immer wieder russischen Angriffen ausgesetzt sind, dringend benötigt. Von Ministerin Gewessler werden zudem weitere fünf Mio. Euro für den „Ukraine Energy Support Fund“ zum Wiederaufbau beschädigter Energieinfrastruktur bereitgestellt. Der Bundespräsident betonte: „Ja, Österreich ist militärisch neutral, aber wir sind keineswegs neutral in unserer Haltung. Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen für ihr Land und für die Zukunft ihrer Kinder. Und wir helfen ihnen dabei.“
FPÖ-Chef Herbert Kickl warf dem Bundespräsidenten per Aussendung vor, die in der Verfassung festgeschriebene immerwährende Neutralität zu ignorieren. Damit führe er „den totalen Bruch mit der jahrzehntelangen außenpolitischen Tradition Österreichs“ herbei. Van der Bellen habe die Entscheidung für diesen Besuch offenbar „einsam im Machtzirkel der EU- und NATO-hörigen Eliten“ getroffen.
Der russische Botschafter in Österreich, Dmitri Ljubinski, stieß sich an Van der Bellens Vergleich der russischen Invasion mit einem Kolonialkrieg. Ljubinski behauptete, das „Kiewer Regime“ hätte die russischsprachige Bevölkerung im Donbass ausgebeutet. „Die heroische Mission der russischen Streitkräfte“ habe einen „dekolonisatorischen Charakter“, erklärte der Botschafter auf Telegram.
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