Migranten haben Vorarlberg positiv geprägt. Aber sind sie hier auch heimisch geworden? Diese Frage stellte Robert Schneider jüngst der Lehrerin und Theatermacherin Nevenka Komes.
Robert Schneider: Nevenka, wie sind deine Eltern eigentlich nach Vorarlberg gekommen?
Nevenka Komes: Meine Eltern waren praktisch mittellos. Die Mama stammte aus Slowenien, der Papa aus Kroatien. Damals hieß es noch Jugoslawien. Zwar arbeiteten sie in einer Fabrik für Glühbirnen, aber es reichte kaum zum Leben. Eines Abends standen Männer in Anzügen vor der Fabrik und warben die Arbeiter ab: „Kommt doch zu uns nach Vorarlberg. Dort verdient ihr das Zigfache...“
Schneider: ...Wie? Vorarlberger warben in slowenischen Fabriken Leute an?
Komes: Genau so.
Schneider: Die konnten doch nicht Slowenisch. Oder doch?
Komes: Sie hatten einen Übersetzer dabei. Meinen Eltern wurde der Mund wässrig, als sie hörten, was sie in Vorarlberg - den Namen hatten sie noch nie gehört - verdienen können, und so kamen sie nach Dornbirn. Beide arbeiteten dann in der Textilindustrie. Das war Anfang der 60er. Ich war damals noch nicht auf der Welt.
Ich sitze in einer hellen Wohnung mit großen Fenstern, von denen eines den Blick auf den Harder Segelhafen freigibt. Auf dem Sofa steht ein großes, schwarzes Akkordeon. Eine Erinnerung an den Vater von Nevenka Komes, bei der ich zu Gast sein darf. Die Grundschullehrerin ist eine klassische Repräsentantin der zweiten Generation der sogenannten Gastarbeiterkinder. In Vorarlberg zur Welt gekommen und zur Schule gegangen, redet sie breitesten Dornbirner Dialekt, während die Eltern, die beide nicht mehr leben, nie akzentfreies Deutsch gesprochen haben. Nevy, wie sie von allen genannt wird, hat sich neben ihrem Beruf vor allem in der Laien-Theaterszene als Regisseurin einen Namen gemacht und feiert derzeit mit ihrem ersten, selbstgeschriebenen Theaterstück „I dr’ Gummizealla“ große Erfolge.
Schneider: Hast Du als Kind Ressentiments aufgrund deiner Herkunft erfahren?
Komes: Wir lebten in der Michelstraße. Dort waren die Leute sehr aufgeschlossen. Es gab allerdings ein Haus, das den Kindern verboten hat, mit uns zu spielen. Die haben uns gehasst. Für die waren wir Monster. Ich erinnere mich noch sehr gut. Ich war vielleicht acht oder neun Jahre alt und hab vor dem Haus meine Schwester „g’schesalat“. Plötzlich schossen die Nachbarsbuben mit einem Luftdruckgewehr auf uns, und ich bekam einen Streifschuss ab. Ich hatte wahnsinniges Glück. Ich hätte blind sein können.
Schneider: Und später? In der Schule?
Komes: Ich war ja immer bei den guten Schülern, hatte super Freundinnen. Gemerkt habe ich die Skepsis erst, als ich mich um einen Ferialjob bemüht habe. Meine Freundinnen arbeiteten bei der Dornbirner Messe. Als ich auch so einen Job haben wollte und man dort nach meinem Namen fragte, wurde ich abgewiesen.
Schneider: Warum?
Komes: Es hieß, mein Name komme nicht von hier. Keine Chance.
Schneider: Aber Du warst doch Österreicherin.
Komes: Nein. Ich war kroatische Staatsbürgerin. Meine österreichische Staatsbürgerschaft habe ich, als ich volljährig wurde, gekauft. Für 17.000 Schilling.
Schneider: Du musstest dir Österreich sozusagen kaufen?
Komes: Ja. Das war damals so. Nach der Matura habe ich versucht, das Geld für die Staatsbürgerschaft durch Ferialjobs zu verdienen. Überall wurde ich abgewiesen, außer im Gastgewerbe. Das habe ich eine Zeitlang gemacht, mich dann aber geweigert, weil einige Männer meinten, mich begrapschen zu können. Nach einem Jahr war Schluss. Daheim glaubten meine Eltern, ich sei faul. Ich traute mich nicht zu sagen, weshalb ich nicht mehr im Gastgewerbe arbeiten will. Mein Glück war, dass mich der Besitzer einer Eisdiele ansprach, ob ich nicht bei ihm arbeiten wolle. Dort habe ich den größten Teil des Geldes für die Staatsbürgerschaft verdient.
Schneider: Du hast die PädAk in Feldkirch abgeschlossen. Wolltest du immer mit Kindern arbeiten?
Komes: Ich wollte Ärztin werden. Das war mein Traumberuf. Der Vater sagte: „Tut mir leid. Das können wir uns nicht leisten.“ Meine Eltern investierten nämlich jeden Groschen in das Haus, das sie in Kroatien bauten. Sie wollten mit uns ja irgendwann zurück in die Heimat. Der Papa sagte aber auch: „Ihr Kinder werdet immer ein Zimmer haben. Ein Nestchen. Jedes von euch."
Schneider: Du erzählst das alles so nüchtern, ganz ohne Verbitterung.
Komes: Weil ich meinen zweiten Traumberuf gefunden habe, weil ich wahnsinnig gern Lehrerin bin. Halt nach der Nevy-Methode. Viel Theaterspielen, Singen und Tanzen. Hand und Kopf sind gleichermaßen beteiligt. Außerdem habe ich ein Prinzip. Ein Mal am Tag sollen die Kinder lachen. Einmal am Tag muss man einfach lachen. Das ist gerade in einer Brennpunkt-Schule, wo ich arbeite, ganz besonders wichtig.
Schneider: Deine Eltern haben, wie so viele, mit dem Ersparten ein Haus in ihrer ursprünglichen Heimat gebaut, wollten dort alt werden. Gibt es dieses Haus in Kroatien noch?
Komes: Ja, aber wir Kinder haben es verkauft. Außerdem hatten meine Eltern nicht viel von dem Haus. Beide sind sie kurz nach der Pensionierung gestorben. Sie wollten ja immer zurück, ihr ganzen Leben lang. Als wir Kinder noch klein waren, wollten sie schon zurück, damit wir in Kroatien zur Schule gehen. Als wir groß waren, wollten sie zurück und als sie dann alt waren. Aber dazu kam es nicht mehr.
Schneider: Du bist eine waschechte Vorarlbergerin. Das ist deine Heimat...
Komes: ...Ich überlege gerade. Ich bin zwiegespalten. In Kroatien waren wir immer einen Monat im Jahr. Das war ein ganz anderes Leben. Die Leute waren gesellig und haben gefeiert, getanzt, Musik gemacht. In der Kirche fiel der Verputz von den Wänden, wenn die Frauen gesungen haben. Andererseits konnte ich mit dem politischen System dort unten gar nichts anfangen. Trotzdem waren die Menschen fröhlich. Das fehlt mir oft in Vorarlberg.
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