Claudia Gamon:

„Wir wollen in die Landesregierung“

Vorarlberg
05.02.2023 11:20

Am Samstag ist Claudia Gamon im Bregenzer Kesselhaus zur neuen Landeschefin der NEOS gekürt worden. Die 34-Jährige machtaus ihrem Hauptziel kein Geheimniss: Sie will Regierungsverantwortung übernehmen.

Am Ende war es nur ein Formalakt: Mit exakt 91,67 Prozent der Stimmen wurde Gamon bei der Mitgliederversammlung der NEOS im Bregenzer Kesselhaus zur neuen Landessprecherin gewählt - die 34-Jährige war als einzige Kandidatin ins Rennen gegangen. Wie nach Drehbuch verliefen auch alle anderen personellen Weichenstellungen: Zum Stellvertreter von Gamon wurde der Landtagsabgeordnete Johannes Gasser gewählt, neuer Landesfinanzreferent ist Christoph Gruber. Die anderen Mitglieder des Landesteams sind Katharina Fuchs, Christof Hotz, Fabienne Lackner und der Nationalratsabgeordnete Gerald Loacker. Die scheidende Landeschefin Sabine Scheffknecht wird auch weiterhin Klubchefin bleiben. Ob sie bei der nächsten Landtagswahl noch einmal antreten wird, ließ sie offen. So oder so haben sich die NEOS für den Urnengang im Herbst 2024 aber viel vorgenommen. Das machte auch die neue Steuerfrau im Interview mit „Krone“ klar:

Sonja Schlingensiepen: Frau Gamon, Sie waren Nationalrätin, sind seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments. Ist Ihnen Vorarlberg nicht ein wenig „too small“, um sich politisch zu engagieren?
Claudia Gamon: Das ist eine schwierige Frage, weil die Aufgaben ja ganz unterschiedliche sind. Aber würde es nach der Größe gehen, wären die Ämter auf Gemeindeebene die am wenigsten attraktivsten. Gerade dort aber haben die Bürgermeister jede Menge Möglichkeiten, um direkt das Leben ihrer Bürger zu beeinflussen.

Schlingensiepen: Was reizt Sie an der Arbeit auf Landesebene?
Gamon: Wenn man die Wege in Brüssel kennt, ist es umso spannender, anschließend auf einer Ebene zu arbeiten, wo man den direkten Kontakt zu den Menschen hat. Menschen, deren Leben man positiv beeinflussen möchte. In Brüssel wird teils über Jahre hinweg an großen Regulierungen gearbeitet, die dann nochmals Jahre brauchen, bis sie in Kraft treten.

Schlingensiepen: Was macht Vorarlberg für Sie so lebenswert, dass Sie aus Wien zurückgekehrt sind?
Gamon: Ich wohne schon seit 2017 wieder in Vorarlberg und bin unheimlich gerne zu Hause. Ich habe viele Bekannte, die - ähnlich wie ich - in anderen Ländern gelebt und dann erkannt haben, dass sie wieder zurück ins Ländle wollen. Vorarlberg hat sehr viel Potenzial, seinen Bürgern noch mehr zu bieten.

Claudia Gamon bei einer Sitzung des Nationalrates. (Bild: SEPA.Media | Martin Juen)
Claudia Gamon bei einer Sitzung des Nationalrates.

Schlingensiepen: Wo konkret orten Sie dieses Potenzial?
Gamon: Wir haben exzellente Unternehmer, die weltweit bekannt und aktiv sind, aber trotzdem zu Hause etwas bewegen wollen. Wir haben Menschen, die etwas leisten wollen. Die in ihren Gemeinden und den Vereinen aktiv sind. Die selbstbestimmt und verantwortungsvoll für sich selbst, aber auch für andere etwas zum Allgemeinwohl beitragen wollen.

Schlingensiepen: In welchen Bereichen orten Sie Verbesserungsbedarf?
Gamon: Ich glaube, dass man in vielen Bereichen - sei es der Zugang zu Wohneigentum, die Kinderbetreuung, die Bildung oder der Verkehr - noch viel mehr herausholen kann, um dieses Land noch lebenswerter zu machen. Wir starten von einem guten Platz weg. Das sollte man nicht verspielen, sondern darauf aufbauen.

Schlingensiepen: Ihre politische Karriere haben Sie als Studentin in Wien begonnen. Wie sind Sie zu den Jungen Liberalen gekommen?
Gamon: Mich hat die liberale Geisteshaltung interessiert. Ich habe damals stark die Politik von Heide Schmidt verfolgt und gedacht: Das klingt nach mir, da fühle ich mich wohl. Also habe ich nach Gleichgesinnten gesucht und sie bei den Liberalen gefunden.

Schlingensiepen: Um welche Themen ging es Ihnen damals?
Gamon: Um die Studiengebühren und den Gedanken, dass der Zugang zu den Universitäten ein niederschwelliger ist, die Qualität der Ausbildung aber nicht immer so gut ist, wie diese sein sollte. Dass man es auch als unfair empfinden kann, dass Menschen, die in der Lage wären, einen Beitrag zu leisten, nichts zahlen müssen. Und dafür weniger Geld zur Verfügung steht für die Qualität der Lehre, für die Ausstattung der Universitäten, aber auch um jene zu unterstützen, die es auf jeden Fall brauchen.

Schlingensiepen: Welches Thema ist Ihnen inzwischen am wichtigsten?
Gamon: Es gibt unterschiedlich große Herausforderungen, denen sich das Land und die Landespolitik stellen müssen. Da haben wir viele neue Antworten und Lösungen. Ich bin überzeugt, dass wir eine kostenfreie und einfach verfügbare Kinderbetreuung brauchen - 365 Tage im Jahr und nicht nur dann, wenn die Gemeinden das Gefühl haben, dass es passt. Wenn wir schon das Landesmotto „schaffa, schaffa, Hüsle baua“ haben, muss die Schaffung von Wohneigentum auch für alle realistisch sein. Und natürlich dürfen die Wettbewerbsfähigkeit und die Nachhaltigkeit nicht auf der Strecke bleiben.

Claudia Gamon übernimmt die Funktion der Landessprecherin von Sabine Scheffknecht, die der Partei seit rund zehn Jahren vorsteht. (Bild: Dietmar Stiplovsek)
Claudia Gamon übernimmt die Funktion der Landessprecherin von Sabine Scheffknecht, die der Partei seit rund zehn Jahren vorsteht.

Schlingensiepen: Welches Ziel haben Sie sich als Vorsitzende der Vorarlberger NEOS gesetzt?
Gamon: Da gibt es unterschiedliche. Entscheidend ist, dass die NEOS bereit sind, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Wir sind von unserer DNA her - das ist seit Matthias Strolz so - ein Mix aus vielen engagierten Menschen, die anpacken wollen. Die etwas bewegen und den Beweis antreten möchten, dass ihre Ideen gut für das Land sind. Da möchte ich hin mit den NEOS Vorarlberg.

Schlingensiepen: Ihr Ziel ist also klar Regierungsbeteiligung?
Gamon: Auf jeden Fall!

Schlingensiepen: Damit hat sich die Frage, ob Sie lieber Oppositionspolitikerin oder Regierungsmitglied sind, wohl erledigt.
Gamon: Es geht nicht darum, was man lieber tut, sondern wo man mehr bewegt. In Brüssel sitze ich derzeit jede Woche in Verhandlungen, um konkret an Gesetzen, die die Energiepolitik betreffen, zu arbeiten. Ich möchte auch in Vorarlberg etwas nach vorne bringen.

Schlingensiepen: Welches Ressort hätten Sie denn gerne als Regierungsmitglied?
Gamon: Ich finde die Bereiche Energie und Klima besonders interessant und beschäftige mich auch seit mehreren Jahren damit. Wichtig für Vorarlberg ist aber, dass sich bei den Themen Bildung, Kinderbetreuung und Wohnen etwas tut. Es gibt Themenbereiche, für die die NEOS prädestiniert sind - und für die wir tolle Leute mit unglaublichem Fachwissen und Kompetenz haben. Unsere Ideen beschränken sich aber nicht auf einzelne Bereiche, wir wollen Vorarlberg grundsätzlich modernisieren.

Schlingensiepen: Was stört Sie derzeit am meisten auf Landesebene?
Gamon: Was mich wirklich irritiert ist der geringe Wille zu wirklich großen Veränderungen. Aber das ist nicht etwas, was sich auf die Vorarlberger Politik per se beschränkt, sondern ein Politik-Phänomen in ganz Österreich. Wir scheuen uns vor den großen Schritten, den großen Veränderungen, weil wir es uns lieber bequem machen. Aber das ist nicht das, was unser Land, unsere Wirtschaft braucht und den Herausforderungen entspricht, denen wir gegenüberstehen.

Schlingensiepen: Warum profitieren die NEOS - wie zuletzt in Niederösterreich - nicht mehr von den Verlusten der ÖVP?
Gamon: Dass die ÖVP an die FPÖ verliert, wird wohl niemanden überraschen. Wenn man jahrelang immer weiter nach rechts geht und probiert, die FPÖ zu kopieren, muss man sich nicht wundern, wenn die Wähler lieber zum Schmied als zum Schmiedl gehen. Ich glaube, das ist in dem Fall ein selbstgemachtes Problem der ÖVP.

Schlingensiepen: Bei den Vorarlberger Landtagswahlen 2019 haben die Grünen der ÖVP die Stimmen abgeluchst.
Gamon: Das ist den NEOS aber auch gelungen. Bei der EU-Wahl und bei den beiden jüngsten Nationalratswahlen haben wir in Vorarlberg zweistellig abgeschnitten. Das Potenzial für die NEOS ist da - wir werden es bei der nächsten Landtagswahl abschöpfen.

Schlingensiepen: Ist das eine Kampfansage in Richtung zweistelliges Ergebnis?
Gamon: Es geht nicht um Prozentzahlen, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen und Vorarlberg in der Landesregierung zu gestalten. Ich bin kein Fan davon, wenn die Politik sich ständig mit sich selbst beschäftigt, sich ständig analysiert. Mir geht es darum, über die Inhalte zu reden, mich ordentlich zu streiten und zu debattieren, welches die besten Ideen für das Land sind.

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