Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Als mich Salih im dritten Wiener Gemeindebezirk zu einem Termin fährt, wirkt er trotz Einsatz des Navigationsgeräts noch etwas unsicher. Ich kann nicht wirklich erklären warum, aber es fällt mir mittlerweile auf, ob jemand bereits jahrelange Taxierfahrung aufweisen kann oder noch relativ frisch am Steuer sitzt. Salih geht mit seinen kleinen Unsicherheiten sehr sympathisch um und übernimmt die Gesprächsinitiative. Erst seit zwei Wochen sitzt er im Taxi, dazu sei er noch müde, weil es gegen 17.30 Uhr die erste Fahrt des Nachtpiloten sei. „Eigentlich ist es mit dem Navi total einfach, aber gerade in den inneren Bezirken liegen die Gassen so eng beieinander, dass ich schnell mal eine Einfahrt verpasse und dann große Umwege nehmen muss“, lacht er entspannt.
Ich erkläre Salih, dass wir absolut keinen Zeitstress hätten, was ihn sofort beruhigt. Mit Stress kann Salih prinzipiell sehr gut umgehen, er ist ihn aus seinem alten Berufsleben gewohnt. 23 Jahre lang arbeitete er in derselben Logistikfirma am Rande der Stadt. Dazwischen lag nur eine mehrmonatige Auszeit, in der er wegen eines familiären Notfalls in die Türkei musste. „Ansonsten war ich in all den Jahren zusammengerechnet keine drei Monate im Krankenstand“, erzählt er stolz, „ich habe den Job geliebt, bis er aus verschiedenen Umständen untragbar wurde.“ Als Salih nach Österreich kam, begann er als Lieferant und Fahrer und lernte hart Deutsch. „Es war schwierig, aber ich habe mich durchgeboxt. Die Bezahlung war immer fair, ich kann nicht klagen.“
Seine Firma war multikulturell geprägt. Türken, Serben, Bosnier, Kroaten, Slowenen, Albaner - wo geopolitisch noch immer sehr viel Streit herrscht, lebten die verschiedenen Kulturen und Religionen ihr Miteinander in der Firma mit Freude und Frieden aus. Salih arbeitet sich über die Jahre hoch und nimmt nach einer langen Unterredung mit seinem damaligen Chef einen Posten als Disponent an. Er teilt nun seine Fahrer ein, ist für die komplette Planung und Organisation zuständig und merkt das erste Mal, dass eine Veränderung im selben Unternehmen nicht immer angenehm ist. „In gewisser Weise bin ich als Einteiler ja auch Vorgesetzter. Das haben natürlich nicht alle gemocht, ich war ja immer einer von ihnen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir aber eine Spur gefunden.“
Die Arbeitsleistung Salihs floriert so lange, bis vor einigen Jahren ein rigoroser Sparkurs ausgerufen wird. „Die Chefs in unserer Firma haben langjährige, wirklich gute Fahrer gekündigt, weil sie zu teuer waren. Es wurden neue geholt und nichts hat mehr funktioniert.“ Salihs neue Kollegen sind aus Syrien, Aserbaidschan, dem Iran oder Tschetschenen. Sie sprechen nicht oder nur sehr gebrochen Deutsch, auch mit der englischen Sprache ist es nicht weit her. „Das hatte fatale Folgen. Kunden haben sich beschwert, warum die Waren nicht ankommen oder beschädigt waren. Die Qualität hat ungemein gelitten.“ Am Schlimmsten? Seine Firma führte auch Sondertransporte mit Medizin an Krankenhäusern durch. „Da geht es um Leben und Tod. Wenn da irgendwas danebengeht, macht man uns verantwortlich. Irgendwann war das für mich untragbar.“
Die Kündigung nach so langer Zeit fiel Salih schwer. Heute ist er stolz darauf, dass er diesen Schritt nach seinem 40. Geburtstag wagte. „Es gibt noch ein paar altgediente Kollegen, die ich mindestens einmal in der Woche besuche. Ich fahre in die Firma und trinke mit ihnen einen Kaffee.“ Nach einem kurzen Tief hätte seine Ex-Firma die Zeichen erkannt und doch wieder einige Fahrer der alten Garde eingestellt. „Es kommt ihnen teurer, wenn sie Unwillige holen, die immer krank sind oder nach sechs Monaten wieder aufhören, weil es AMS-Geld gibt. Diese Einstellung setzt sich leider öfters durch, das wäre bei uns früher nie ein Thema gewesen.“ Im Taxi fremdelt er noch ein bisschen, aber er bereut den Schritt nicht. „Eine neue Herausforderung - das ist doch schön.“
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