Bedrohliches Szenario
Türkei: Erstes Atomkraftwerk just in Erdbebenzone
Nach dem schweren Erdbeben wird in der Türkei und Syrien immer noch fieberhaft nach Verschütteten gesucht - doch die Chance, noch Überlebende zu finden, schwindet. Just in jener Zone, die besonders anfällig für heftige Erdstöße ist, lässt die Türkei ihr erstes Atomkraftwerk errichten. Brisant: Gebaut und betrieben wird das AKW Akkuyu von Rosatom, dem staatlichen, russischen Atomkraftkonzern.
Am südlichen Zipfel der Mittelmeerküste lässt Präsident Recep Tayyip Erdogan aktuell ein gigantisches Prestigeprojekt errichten. Das Atomkraftwerk Akkuyu soll nach seiner Fertigstellung mit vier Druckwasserreaktoren etwa zehn Prozent vom Strombedarf des Landes erzeugen - und das, obwohl die Türkei eigentlich bereits mehr Strom erzeugt, als sie benötigt, wie der türkische Antiatomkraft-Aktivist Özgür Gürbüz gegenüber dem „Spiegel“ sagt: „Wir bekommen bei Fragen nie eine Antwort von der Regierung. Stattdessen sprechen immer die Russen. Sie haben die Kontrolle über alles.“
Russischer Staatskonzern hat die Zügel in der Hand
Hinter dem Mega-Projekt stehen tatsächlich mehr geopolitische Gründe, als energiewirtschaftliche: Betrieben wird das AKW vom russischen Staatskonzern Rosatom, auch das Personal wird in Russland ausgebildet. Die Türkei wiederum garantiert, einen Teil der Stromproduktion für einen Festpreis abzunehmen. Der Rest soll auf den internationalen Märkten verkauft werden. Der erste Reaktor soll noch im Oktober dieses Jahres in Betrieb gehen, internationale Experten sind da allerdings skeptisch aufgrund des Baufortschritts - und des Standorts.
Ein Atomkraftwerkt im Erdbebengebiet lässt unweigerlich Erinnerungen an die Katastrophe im AKW Fukushima erwachen. Zwar soll das Kraftwerk möglichen Erschütterungen bis zu einer Stärke von 6,5 standhalten können - doch auch die Gefahr eines Tsunamis sei nicht zu unterschätzen, betont Gürbüz: „Ich glaube nicht, dass die türkische Regierung oder die russische Firma die Erdbebengefahr für das Atomkraftwerk gründlich genug untersucht haben.“ Die Region gilt deswegen als gefährdet, weil die kleine Anatolische Erdplatte fast wie ein Keil zwischen der aus Süden drückenden Arabischen und der im Norden liegenden Eurasischen Platte eingeklemmt ist.
„Projekt, das zwei Staatschefs vereinbart haben“
Präsident Erdogan will sich dennoch nicht von seinem Mega-Projekt abbringen lassen. Erst im August hatte er mit Russlands Staatschef Wladimir Putin ein Energieabkommen unterzeichnet. Pünktlich zum 100. Geburtstag der Türkischen Republik der Türkischen Republik soll das AKW ans Netz gehen.
„Das hat mit Energiepolitik nichts zu tun. Das ist ein geopolitisches Projekt, das zwei Staatschefs vereinbart haben. Es gibt nichts, das zwei Länder länger aneinanderbindet, als ein Atomkraftwerk“, so Energieexperte Mycle Schneider im „Spiegel“.
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