Kritische Frist vorbei
Erdbeben: Zahl der Toten könnte sich verdreifachen
Während die Zahl der Todesopfer nach der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien vom Montag immer noch rasant ansteigt, schwinden die Hoffnungen der Rettungskräfte, noch Überlebende bergen zu können. Laut Schätzung von Experten könnte sich die aktuelle Zahl der Opfer sogar noch mehr als verdreifachen.
Unter den Tausenden eingestürzten Gebäuden im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind vermutlich noch Zehntausende Erdbebenopfer zu befürchten. Bis Donnerstag wurden schon mehr als 20.000 Tote gemeldet. Hinzu kommen um die 70.000 Verletzte. Nach mehr als drei Tagen und dem Richtwert von 72 Stunden, die ein Mensch eigentlich höchstens ohne Wasser auskommen kann, schwindet die Hoffnung auf weitere Überlebende, auch wenn es vereinzelt Meldungen von Geretteten nach über 80 Stunden gab.
Schadensmodelle mit düsterem Ausblick
Nach Einschätzung von Fachleuten könnte die Zahl der Toten nach der Erdbebenkatastrophe erheblich steigen. Schnelle Hochrechnungen auf Basis empirischer Schadensmodelle ließen bis zu rund 67.000 Todesopfer erwarten, teilte am Donnerstag Andreas Schäfer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit. Es gebe inzwischen 16.546 Tote allein in der Türkei, sagte am Donnerstag Präsident Recep Tayyip Erdogan. Aus Syrien waren zuletzt mindestens 3317 Tote gemeldet worden.
Bittere Kälte verschärft Lage zusätzlich
Die bittere Kälte in der Region sowie die politische Lage im Bürgerkriegsland Syrien verschärfen zusätzlich die Lage. Dort erreichte am Donnerstag ein erster Hilfskonvoi der Vereinten Nationen die Rebellengebiete. Aktivisten in Syrien berichteten, es handle sich um Hilfslieferungen, die schon vor dem Erdbeben geplant und nur davon aufgehalten worden seien.
Dringend benötigte Ausrüstung für die Rettungsteams in Syrien sei deshalb nicht angekommen - stattdessen Güter wie etwa Waschmittel. „Das ist sehr enttäuschend und beschämend“, sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, der dpa.
Bürgerkrieg bremst Hilfsgüter
Die ohnehin schwierige Lage für Rettungskräfte und Hilfslieferungen wird in Syrien zusätzlich durch die politisch heikle Situation erschwert. Das Katastrophengebiet ist dort in von Damaskus kontrollierte Gebiete und Territorien unter der Kontrolle von Rebellen geteilt. Hilfsgüter gelangen lediglich über einen offenen Grenzübergang von der Türkei aus in die betroffenen Gebiete im Norden des Landes - und bisher war befürchtet worden, dass Machthaber Baschar al-Assad die Lieferungen nur in Gebiete unter Kontrolle seiner Regierung lässt.
Sorge vor Krankheitsausbrüchen
Drei Tage nach dem verheerenden Beben der Stärke 7,8 ist das ganze Ausmaß der Zerstörungen nicht abzusehen. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten bis zu 23 Millionen Menschen von den Folgen des Bebens betroffen sein. Sie befürchtet vor allem, die Rückkehr der Cholera vor wenigen Monaten im Bürgerkriegsland Syrien könnte sich nun zu einer Epidemie ausweiten.
Unmut über Katastrophenmanagement wächst
In der Türkei wächst der Unmut über das Katastrophenmanagement, was auch Auswirkungen auf die für den 14. Mai geplanten Präsidenten- und Parlamentswahl haben könnte. Es wurden Zweifel laut, ob die Abstimmung überhaupt stattfinden kann. Präsident Erdogan ließ am Donnerstag vom Parlament in Ankara den erdbebenbedingten Ausnahmezustand für drei Monate bestätigen. Das Dekret wurde im Amtsblatt veröffentlicht - damit ist der Ausnahmezustand in Kraft. Die Maßnahme umfasst die zehn Provinzen, die auch vom Erdbeben getroffen wurden.
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