Album „This Is Why“

Paramore: Mit Würde dem eigenen Kokon entschlüpft

Musik
13.02.2023 09:00

Sechs lange Jahre nach ihrem letzten Studioalbum haben sich Paramore wieder zusammengerauft, um einerseits ihrer eigenen Vergangenheit zu huldigen und andererseits mit Mut und viel Gefühl in die Zukunft zu schauen. Das macht die Truppe rund um Hayley Williams zu einer der spannendsten Pop-Gruppen der Gegenwart.

(Bild: kmm)

Als Paramore 2007 mit der Single „Misery Business“ und dem dazugehörigen zweiten Album „Riot!“ erstmals auf der Mainstream-Bildfläche erschienen, war Frontfrau Hayley Williams erst zarte 18 Jahre jung, wurde aber zum Sprachrohr einer ganzen Generation. Gemeinsam mit Label-Kollegen wie Panic! At The Disco oder Fall Out Boy machten Paramore das Erbe des grassierenden Millenniums-Hypes von Pop-Punk- und Emo-Bands einer jüngeren Generation zugänglich. Eine Generation, deren Sorgen mit einer sich stärker in der Abwärtsspirale befindlichen Globalität potenzierten und denen einfache Drei-Akkorde-Botschaften von Sum-41 oder Avril Lavigne nicht mehr reichten, um Eskapismus aus dem unsicheren Alltagsdschungel zu finden. Mit Hayley Williams gab es zuvorderst aber ein weibliches Sprachrohr in einer ungemein maskulinen Szene, das noch heute kräftig nachhallt. So bezeichnet etwa Jung-Popstar Olivia Rodrigo Williams offen als großes Vorbild.

Würdevolles Reifen
Paramore kiefelten über die Jahre im Kleinen an ihrer Erfolgsformel, ohne sich groß vom Schatten ihrer Vergangenheit wegzubewegen. Dazwischen überstand man große Touren quer über den Globus, mehr oder weniger relevante und mehr oder weniger erfolgreiche Studioalben und innere wie äußere Krisen. Das Bandgefüge wurde über die Jahre mehrmals durchgerüttelt. Mitglieder gingen, manchmal kamen sie wieder. Das Flaggschiff Paramore wurde auf der wilden See des Musikgeschäfts zwar einige Male kräftig durchgerüttelt, war aber nie ernsthaft vom kompletten Untergang bedroht. Mit dem bislang letzten Studio-Output „After Laughter“ vor geschlagenen sechs Jahren büßte man zwar Plätze in den Mainstream-Charts ein, schaffte aber das seltene Kunststück, würdevoll mit dem eigenen Publikum zu reifen.

Aus dem Emo-Kokon entwickelte sich ein reifes und experimentierfreudiges Insekt, das sich scheinbar mühelos Alternative Rock, Post-Punk und aktualisierten Themenlagen öffnete. Ein nahezu wagemutiger Schritt, aber auch einer, der Paramore aus dem Gros des Mitbewerbs rausstechen lässt. Die Gefahr, ein Leben lang in derselben Schuluniform oder mit identer 2000er-Stachelfrisur (jeweilige Bandnamen bitte selbst einsetzen) um den Globus tingeln zu müssen, war damit schlagartig gebannt und die Kids und Teenager von früher hatten die goldene Wahl. Verfalle ich in Nostalgie und ziehe mir die alten Klassiker rein, oder setze ich mich auf die Couch meiner neuen Mietwohnung, rücke die Vinyl-Nadel zurecht und lasse mich bei einem Glas Merlot auf die zeitgemäße Klangausrichtung ein? Noch vor der Pandemie beschlossen Paramore eine längst notwendige Pause zu machen, um endlich wieder richtig durchzuatmen.

Generationenübergreifend
Inmitten der Corona-Wirren veröffentlichte Williams ihr Solodebüt „Petals For Armor“ und bewies, welch ausgereifte Pop-Größte bereits in ihr steckte. Erst letztes Jahr haben sich Paramore wieder vollends auf das Band-Gefüge konzentriert und schon mit den Vorab-Singleauskoppelungen für Jubel im Fan-Camp gesorgt. Der Titeltrack „This Is Why“ ist eine inhaltliche Zustandsbeschreibung einer Anfang-30erin in einer Welt voller Unsicherheit, Gefahren und Fallen. Williams wohl autobiografische Zuspitzung der aktuellen Lage mäandert klanglich im sanften Post-Punk-Segment, hat dabei aber noch so viel juvenile Emo-Edgyness, dass sich die aktuell aktive Generation Z genauso intensiv am Song reiben oder sich darin wiedererkennen kann, wie Williams‘ gleichaltrige Millennials, die sich ohnehin schon länger von den haltlosen Verheißungen der dekadenten 90er-Jahre betrogen fühlen.

In einem Song wie dem zutiefst politischen „The News“ gehen Paramore eisenhart mit den Medien und der unübersichtlichen und oft beleglosen Informationsüberflut ins Gericht, „Running Out Of Time“ ist eine pessimistische Zuspitzung der Weltlage in einem und der persönlichen Unsicherheiten im anderen Segment und auf der wundervollen Ballade „Liar“ rekapituliert Williams mit zarter Fragilität Verfehlungen früherer Tage. „This Is Why“ ist trotz allem keine offensive Kritik am Zeitgeist und hechelt auch nicht nach Absolution. Es geht trotz der klanglichen Entwicklungen inhaltlich zurück zu den Frühtagen Paramores und handelt von den Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, die einem ungefragt ins Leben grätschen und ebenjenes zu einem schwierigen Unterfangen gestalten.

Seelenstriptease
Wie kaum einer zweiten Band aus ihrer Generation gelingt Paramore mit „This Is Why“ ein gewaltiger Sprung von der Vergangenheit direkt in die Zukunft, ausgeführt von mutigen Instrumentaleinlagen, persönlichen Empfindungen und unerwarteten Wendungen. So macht das progressive Werk im Schlussdrittel noch ein paar überraschende Schlenker in gewohntere Gefilde, ohne sich aber selbst zu zitieren oder, noch schlimmer, sich selbst zu kopieren. Synthie-Pop, Post-Punk, R&B, Emo-Zitate und sogar elegante French-Disco-Passagen geben sich die Hand, während Williams einen Seelenstriptease über Missbrauchserfahrungen, Depressionen, ihre gescheiterte Ehe und die Angst, wie es denn überhaupt weitergehen soll, preisgibt. „This Is Why“ sucht nicht nach Lösungen, benennt aber die Probleme und reicht die Hand, denn kollektiv leidet es sich nur mehr halb so schwer. Fürs Erste muss das Trost genug sein …

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele
Vorteilswelt