4.500 Fans verfolgten die Show vom Michael Patrick Kelly Samstagabend in der Wiener Stadthalle - damit versammelte er an selber Stelle mehr Leute als der Rest seiner Familie zusammen bei deren Weihnachtsmatinee. Besinnlichkeit gab es bei MP nur während einer emotionalen Friedensbotschaft. Ansonsten ließ der 45-Jährige den poppigen Rockstar aus dem Käfig.
„Spielt eigentlich jeden Monat irgendein Kelly in Wien?“, fragt mich meine bessere Hälfte nicht ganz zu Unrecht, als ich mich am windigen, aber nicht kalten Samstagabend auf den Weg in die Wiener Stadthalle mache. Heute ist jedenfalls der kommerziell erfolgreichste und künstlerisch spannendste an der Reihe. Aus dem zuckersüßen Paddy Kelly wurde schon vor langer Zeit Michael Patrick. Sechs Jahre verbrachte er einst unter Mönchen mit Stillschweigen und Askese in einem französischen Kloster, um sich von den Kinderarbeitsstrapazen im Familiensegment zu erholen und endlich ein eigenes Leben zu finden. Nach der im Vorjahr viel zu früh verstorbenen Barby war er das zweite Familienmitglied, das aus dem übermächtigen Kelly-Kokon ausbrach. Mit einer solchen Karriere wie der aktuell laufenden hätte er niemals gerechnet, als er von den Ordensbrüdern dazu überredet wurde, „eine schöne Frau zu finden und wieder Musik zu spielen“, wie er am Konzertende charmant zusammenfasst.
Das Tempo ist angezogen
Mit „Holy“ beschließt er das Set seiner bislang größten Wien-Show fast schon intim, davon war die stolzen 150 Minuten davor aber nicht viel zu sehen. MP Kelly war neben Fernsehstar Joey schon immer der Rocker der Familie, hat dazu auch die notwendige Stimme und die unbändige Liebe dafür, die dem Bruderherz in letzter Instanz fehlte. Immer wieder zieht MP das Tempo an und lässt seiner fünfköpfigen Band ausreichend Platz für Gitarrenduelle oder Sprünge ins temporäre Rampenlicht. „America“, das poppige „iD“ oder „Best Bad Friend“ sind solche Nummern, in denen der Rock’n’Roll-Gestus und die überbordende Lautstärke in der Wiener Stadthalle Hand in Hand gehen. Letzteren Song hat er mit dem deutsch-irischen Tausendsassa Rea Garvey eingespielt, dessen Stimme aber vom Band kommt. Optisch ersetzt wird er von Gitarrist Carlos Garcia, der zweite Könner am Stromruder ist ein in Wien wohnhafter Steirer und der bekommt dafür klassisch-österreichischen Sonderapplaus.
Wo sich die Kelly Family bei der vor zwei Monaten an selber Stelle veranstalteten Weihnachtsmatinee in kitschige Belanglosigkeit verhob, kommt der verlorene Sohn mit der nötigen Spielfreude und Authentizität rüber. Völlig egal, ob er sich bei „Home“ in einem gelben Boot durch die Halle fahren lässt, solo am Klavier vor einem Videosternenhimmel während „Paragliding“ für große Emotionen sorgt oder vor „Running Blind“ zu einer gleichermaßen tragischen wie ermutigenden Geschichte über einen spontan erblindeten kenianischen Läufer ansetzt - Kelly wirkt zu keiner Sekunde aufgesetzt, bemüht oder angestrengt. Es ist ihm eine spürbare Freude, seine Leidenschaft, mit guten Freunden und einer verlässlichen Crew durch die Städte zu tragen und dabei auch noch auf feurige Resonanz zu stoßen. Wo man Tage zuvor bei Michael Bublé stellenweise Stecknadeln hätte fallen hören können, dienen bei MP die Sitzplätze schon vom Opener „Diamonds & Metals“ weg nur als Dekoration.
Unterhaltung mit Haltung
Eine richtige Schweigeminute ist nach etwa zwei Dritteln des Sets dafür das emotionale Highlight des Konzerts. Sein 2018 in Mainz ins Leben gerufenes Projekt #PeaceBell hat er kurzerhand in seine Tour integriert, um ein Zeichen für den Frieden und das Miteinander zu setzen. Aus aktuellem Anlass gemahnt er in Wien vor allem die prekäre Lage in der Türkei und in Syrien ein und nach einem Gong bleibt die komplette Halle mit rund 4500 Fans für eine knappe Minute völlig verstummt. Kelly gelingt es geschickt, schwere politische und gesellschaftliche Themen mit einer aufgelockerten Rock’n’Roll-Attitüde und Eskapismus vom Alltagsleben zu vermischen. Weder ist seine Show mahnend, noch lässt er die Zügel zu weit aus der Hand und zergeht sich in humoristischen Plattitüden. Unterhaltung mit Haltung - in einer passenden, völlig ungezwungenen Mischung.
Musikalisch besonders spannend sind die Ausflüge in die Cover-Regionen, deren Hürden der jugendhafte 45-Jährige problemlos nimmt. Ein überraschendes Highlight: die emotional vorgetragene und mit warmem Bühnenlicht verstärkte Bruce-Springsteen-Ehrerbietung „I’m On Fire“. Doch auch den CCR-Klassiker „Proud Mary“ oder die einzige Rückschau zu Kelly-Family-Tagen, „Fell In Love With An Alien“, exerziert der einst populärste Kelly mit Bravour. Dazu gibt es ein massives Feuerwerk, Konfetti und Springschlangen. Der Spaß des Interpreten und seiner Band geht nahtlos auf das Publikum über und sorgt für eine Extraportion Stimmung. Michael Patrick ist nicht nur der sympathischste, sondern auch musikalisch spannendste und zurecht erfolgreichste aus der üppig bestückten Kelly-Sippe. Innerhalb der letzten zwei Monate spielten jedenfalls ziemlich viele Kellys in Wien. Schlagersängerin Maite lässt noch mit neuen Terminen auf sich warten, Drummer Angelo ist längst mit seinen eigenen Kids unterwegs und noch in der Planungsphase. Für den Rest des noch jungen Jahres ist bislang nur noch einer fix am Tableau - und der wird ein in allen Bereichen anderes Tempo vorlegen. Rapper Machine Gun Kelly im Juni beim „Not Afraid“-Festival auf der Wiener Donauinsel.
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