Drohen nun Proteste?

Erdbeben in Türkei: „Die Lage ist chaotisch“

Ausland
13.02.2023 06:00

Bereits über 35.000 Todesopfer forderte das Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Skrupellose Bauherren wurden inhaftiert, weitere Unruhen drohen trotzdem - indes wurden Babys gerettet. Die „Krone“ ist vor Ort.

Nach oftmals tagelangem Herumirren und Übernachtungen im Freien oder in Notunterkünften kommen nun immer mehr Flüchtlinge aus dem Erdbebengebiet im Westen der Türkei an. Etwa die Brüder Adnan und Yildirim; sie verbrachten mit ihren Familien zwei klirrend kalte Nächte im Auto und haben jetzt endlich bei Verwandten in der Region rund um Karaman Zuflucht gefunden: „Unsere Häuser in Adana sind zerstört, wir wissen nicht, wo wir hinsollen. Jetzt haben wir aber wieder ein Dach über dem Kopf. Zurück können wir nicht, die Lage ist zu chaotisch“, so der Ex-Polizist Yildirim.

Nun drohen Proteste
Das Chaos nach den Erdbeben im Südosten des Landes – mit aktuell mehr als 35.000 Toten – könnte bald weitere Konsequenzen nach sich ziehen, meint das Flüchtlingsduo im Gespräch mit der „Krone“: „Meine Tochter ist Professorin an der Uni. Jetzt wurde aber Heimunterricht bis zum Sommer angeordnet. Das soll laut ihren Kollegen nur dazu dienen, die Gefahr von Studentenprotesten einzudämmen. Verhindern wird man das aber kaum können“, betont Adnan beim ersten warmen Becher Çay und dem ersten Stück Börek nach Tagen. Auch er fordert jetzt die volle Härte des Gesetzes für die Verantwortlichen des Desasters – korrupte Politiker und geldgierige Bauherren. Mittlerweile wurden schon mehrere Verdächtige von den türkischen Behörden festgenommen, und Hunderte werden per Haftbefehl gesucht.

Adnan (Mitte li.) und Yildirim (Mitte re.) atmen bei Çay und Börek erstmals auf. Die „Krone“ sitzt mit am Tisch. (Bild: Daniel Scharinger )
Adnan (Mitte li.) und Yildirim (Mitte re.) atmen bei Çay und Börek erstmals auf. Die „Krone“ sitzt mit am Tisch.

Politisches Desaster trotz wundersamer Rettungen
Grund für viele Schäden dürften vor allem schlechte Bausubstanz und fehlende Standards gewesen sein – teilweise wurden in den Erdgeschoßen einfach tragende Wände entfernt, nur um Flächen zu vergrößern. Ein fataler Fehler, wie sich vergangenen Montag herausstellte.

Das letzte Hab und Gut wird noch in Sicherheit gebracht. (Bild: Daniel Scharinger )
Das letzte Hab und Gut wird noch in Sicherheit gebracht.

Der Zorn in den betroffenen Städten dürfte trotz wundersamer Rettungen weiter anschwellen. Aber immerhin wurden 128 Stunden nach dem Unglück ein zwei Monate alter Säugling in Iskenderun und ein fünf Monate altes Kind in Antakya aus den Trümmern gezogen. Die politische Lage für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Co. wird durch die Flüchtlingsströme in den Westen jedenfalls immer enger.

„Manche haben nur noch ihren Pyjama“
Auch in Syrien ist die Lage dramatisch. Missio-Pater Gerry Baumgartner hilft in Homs.

„Krone“: Neben Krieg nun ein Erdbeben. Wie gehen die Menschen vor Ort mit der Katastrophe um?
Pater Gerry Baumgartner: Es gibt noch eine dritte Katastrophe: die wirtschaftliche Situation. Seit einigen Jahren und vor allem in diesem Winter sind die Menschen ausgehungert und ausgelaugt. Sie frieren. In den vergangenen Wochen gab es bereits kein Heizöl mehr. Grundlegende Nahrungsmittel können sie sich nicht leisten, und dann ist dieses Erdbeben gekommen. Es ist ein harter Schlag. Aber was mir Hoffnung gibt: Menschen, die nichts haben, gaben auch dieses Nichts her. Haben Familien eine zusätzliche Decke im Haus, wird diese gespendet.

Gerry Baumgartner, Missio-Pater aus Münzkirchen (OÖ), kümmert sich in Syrien um die Opfer des Erbebens. (Bild: Missio Österreich)
Gerry Baumgartner, Missio-Pater aus Münzkirchen (OÖ), kümmert sich in Syrien um die Opfer des Erbebens.

Was benötigen die Menschen derzeit am meisten?
Man braucht vor allem dringend Nahrungsmittel und Decken. Sonst werden Tausende Menschen erfrieren oder verhungern. Schon vor dem Erdbeben war der Strom rationiert, Benzin für die Autos gab es kaum. Manche haben nur ihren Pyjama an, den sie in der Nacht von Sonntag auf Montag trugen. Die Menschen brauchen jetzt unsere Hilfe mehr denn je!

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