4 Tage unter Trümmern
Mutter: So haben mein Baby und ich überlebt
Auch sieben Tage nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit Zehntausenden Toten werden in einem Wettlauf gegen die Zeit noch Überlebende aus eingestürzten Gebäuden gerettet. Darunter befand sich auch die zweifache Mutter Necla Camuz. Sie, ihr Ehemann und zwei Söhne wurden unter Schutt und Trümmern lebendig begraben. Doch es geschah ein Wunder: Sie und ihr erst zehn Tage alter Säugling wurden nach 96 Stunden gerettet.
Necla (33) war erst am 27. Jänner erneut Mutter geworden, nannte den neugeborenen Sohn Yagiz - „der Mutige“. Sie und ihre Familie leben in der türkischen Provinz Hatay, im „zweiten Stock eines fünfstöckigen, modernen Hauses“. Sie habe sich dort bislang „sicher gefühlt“.
Bis zu dem verheerenden Erdbeben am 6. Februar (siehe Video oben), dem bislang rund 40.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Tausende werden noch vermisst, die Zahl der Toten dürfte noch auf über 50.000 steigen.
Neclas Schilderungen über 96 Stunden in absoluter Dunkelheit berühren, sind teilweise schwer zu glauben. Und doch, die 33-Jährige erzählt eine schier unglaubliche Geschichte, die von innerer Stärke, Überlebenswillen und Durchhaltevermögen zeugt. Der Kampf einer Mutter, einer starken Frau, die der BBC von 96 Stunden Schrecken, Verzweiflung und Hoffnung erzählte.
Bilder vom Rettungseinsatz in der Türkei und in Syrien
Lebendig begraben unter Trümmern - Neclas Chronologie:
6. Februar, kurz nach 4 Uhr früh. Necla stillt gerade ihr Neugeborenes, ihr Mann Irfan und der dreijährige Sohn Yigit befinden sich im Zimmer nebenan. Plötzlich beginnt die Erde zu beben, nur Sekunden später liegt ihre Familie unter Trümmern begraben. „Als das Beben aufhörte, merkte ich nicht, dass ich eine Etage nach unten gefallen war. Ich rief ihre Namen, aber es kam keine Antwort“, so Necla, die ihr Baby immer noch sicher im Arm hielt. Eine umgefallene Garderobe hatte die beiden vor herabstürzendem Schutt gerettet. Necla und Yagiz würden vier Tage in ihrer Position ausharren müssen.
„Ist da jemand?“
Tiefe Schwärze hätte Necla und Yagiz umgeben, der Staub hätte ihr zuerst das Atmen erschwert. Unter den Trümmern aber sei es zumindest warm gewesen, sie habe ja nur einen Pyjama getragen. Anfangs habe sie immer wieder „Ist da jemand?“, gerufen, mit kleinen Steinen gegen die Garderobe geklopft. Eine Antwort jedoch blieb aus, so habe sie sich bald dazu entschlossen, ihre Energie zu sparen. „Ich hatte schreckliche Angst“, sagte sie der BBC. Die so nahe Decke über ihr hätte jederzeit einbrechen und sie vollends begraben können.
Baby gab Necla Kraft - und Hoffnung
In absoluter Dunkelheit habe sie jedes Zeitgefühl verloren. Irgendwie habe sie es geschafft, ihren Sohn zu stillen. Er habe die meiste Zeit geschlafen, sie selbst litt an Hunger und Durst. Verzweifelt habe sie versucht, ihre Muttermilch zu trinken - erfolglos. Die Schritte und Schreie über ihr habe sie gehört, doch die gedämpften Geräusche hätten sich „weit entfernt“ angefühlt. Die ganze Zeit habe sie an ihren Mann und ihren älteren Sohn gedacht. Ob sie wohl überlebt hätten? Ob es ihnen gut ginge? Für sich selbst hatte Necla wenig Hoffnung. Nur dank Yagiz‘ Präsenz habe sie die Hoffnung nicht aufgegeben.
Die Rettung
Nach mehr als 90 Stunden schließlich hörte Necla Hunde bellen, Menschen schrien wild durcheinander. „Bist du in Ordnung? Klopfe einmal für Ja“, drang zu ihr durch. Sie waren gefunden worden! Ihre Retter von der Istanbuler Feuerwehr gruben sich sorgsam zu ihr durch. Schließlich brach die Dunkelheit entzwei, Licht blendete sie und Necla atmete erstmals wieder frische Luft. Sie wurde auf eine Trage gehievt und in ein Krankenhaus gebracht. Noch im Rettungswagen erkundigte sie sich nach ihrem zweiten Sohn.
Necla und Yagiz blieben körperlich unversehrt
Im Spital wurde sie bereits von erleichterten Familienangehörigen erwartet, die ihr mitteilten, dass ihr Ehemann Irfan und ihr zweiter Sohn ebenfalls gerettet worden waren. Die beiden aber waren aufgrund ernster Verletzungen an ihren Beinen in ein anderes Krankenhaus gebracht worden. Necla und Yagiz hingegen hatten keine physischen Verletzungen erlitten. Sie wurden nach 24 Stunden wieder entlassen.
„Hallo, Krieger, wie geht es meinem Sohn?“
Wie Tausende andere wurden sie in Notunterkünften untergebracht, leben mit elf anderen Familienmitgliedern in einem Zelt. In der kleinen Behausung unterstützt sich die Familie gegenseitig, kocht Kaffee auf einem kleinen Herd, spielt Schach und erzählt sich Geschichten. Necla „versucht“ zu verarbeiten, was passiert ist. Sie sagt, dass sie es Yagiz zu verdanken hat, dass ihr Leben gerettet wurde. Wäre er nicht so stark gewesen, hätte sie es „auch nicht geschafft“. Sie hoffe, dass er so etwas nie wieder erleben müsse und sie sei froh, dass er noch zu klein sei, um sich an das Erlebte erinnern zu können. Da klingelt ihr Handy. Ihr Mann Irfan erkundigt sich nach seiner Frau und seinem kleinen Sohn. „Hallo, Krieger, wie geht es meinem Sohn?“, fragt er stolz.
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