Über Partnergewalt zu sprechen, ist immer noch mit Scham behaftet. Teilweise sei auch das Umfeld ängstlich oder mit der Situation überfordert, sagt Sylvia Aufreiter. Sie ist Mitarbeiterin von StoP (Stadtteil ohne Partnergewalt) Linz - einem Projekt, das zu mehr Zivilcourage ermutigen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen will.
Ungefähr jede sechste Frau ist von körperlicher oder sexueller Gewalt in ihrer Partnerschaft betroffen. Jede Dritte hat psychische Gewalt wie Beleidigungen und Drohungen in intimen Beziehungen erlebt (Quelle: Statistik Austria). Dennoch hört Sylvia Aufreiter in ihren Workshops oder in Gesprächen oft, dass es in der eigenen Nachbarschaft oder Verwandtschaft keine Partnergewalt gebe.
Später stelle sich dann immer wieder heraus, dass diese Annahme falsch war. Betroffene können etwa Scham verspüren und sich anderen als perfektes Paar präsentieren. Ein weiterer Grund ist fehlendes Wissen, etwa dass nicht nur Schläge oder Vergewaltigungen Formen der Gewalt sind. Körperliche Gewalt bemerkt das Umfeld laut der Sozialarbeiterin am ehesten, wenn die Betroffene nach einem lautstarken Streit beispielsweise blaue Flecken davongetragen hat.
Täter isolieren Betroffene
Gleichzeitig gibt sie zu bedenken, dass Täter die Betroffene oft kontrollieren und isoliert halten. So meldeten sich beim Linzer Frauenhaus (StoP ist ein Projekt des Frauenhauses, Anm.) nach den Lockdowns mehr Gewaltbetroffene als während der Ausgangssperren - dem Zeitpunkt, zu dem der Täter vermutlich mehr zu Hause war.
Ins Frauenhaus kommen ganz unterschiedliche Frauen mit ihren Kindern. Es werde entgegen mancher Vorstellungen nicht nur von Gewaltbetroffenen mit Migrationshintergrund aufgesucht, sagt Aufreiter. „Partnergewalt wird häufig als importiertes Problem abgetan“, dabei ziehe es sich durch alle Staatsbürgerschaften und sozialen Schichten.
Ein weiteres Missverständnis sei, dass Gewalt privat ist. Wenn das soziale Umfeld etwas ahne, wolle es sich teils gar nicht einmischen. StoP sieht es als Aufgabe, mit diesen gesellschaftlichen Vorstellungen aufzuräumen. Sylvia und ihre Kolleginnen sind in unterschiedlichen Linzer Stadtteilen wie dem Franckviertel unterwegs, um dort aufsuchende Sozialarbeit zu leisten. Angeboten werden unter anderem Frauen- und Nachbarschaftstische. Bei den zweiwöchigen Tischen treffen sich Menschen, die etwas über Gewalt an Frauen erfahren und sich gegen Gewalt engagieren wollen.
Gegen Sexismus argumentieren
Über den genauen Inhalt können die Interessierten mitbestimmen. Im Franckviertel gab es den Wunsch, immer einen theoretischen Input zu bekommen, zum Beispiel zu Gewalt im Internet und Kinderschutz. In Urfahr wurden gemeinsam Schilder zu ermordeten Frauen gestaltet. Darüber hinaus stehen regelmäßig weitere Veranstaltungen, wie demnächst ein Argumentationstraining gegen Sexismus, ein Selbstbewusstseinstraining und ein theaterpädagogischer Workshop zu Zivilcourage, auf dem Programm.
„Wir haben langfristig einen großen Wert davon, wenn die Gesellschaft merkt, dass Partnergewalt nicht mehr toleriert wird“, sagt Aufreiter. Im Kleinen kann jedoch jede Person ihren Beitrag leisten. Aufreiter empfiehlt, in akuten Situationen von Gewalt (anonym) die Polizei zu rufen und weiter hellhörig zu sein beziehungsweise hinzuhören. Um eine Gewalthandlung in der Nachbarschaft zu unterbrechen, könne auch bei der Tür angeläutet und beispielsweise um Milch gebeten werden. Dadurch könne die Dynamik abflauen.
Wir haben langfristig einen großen Wert davon, wenn die Gesellschaft merkt, dass Partnergewalt nicht mehr toleriert wird.
Sylvia Aufreiter, StoP-Mitarbeiterin
Weitere Ratschläge der Sozialarbeiterin sind: der Betroffenen eine Karte vom Frauenhaus oder einer Beratungsstelle zustecken, ein Plakat mit Anlaufstellen im Stiegenhaus aufhängen (StoP stellt auf der Webseite welche zur Verfügung) und der Betroffenen Gesprächsangebote machen. Wichtig sei dabei, sowohl die eigenen Grenzen als auch die der Betroffenen zu beachten und respektieren. Nach einem abgelehnten Angebot sollte man weder anklagend noch wertend werden. Schließlich ist der Hintergrund unbekannt und ein solches Verhalten schadet den Gewaltbetroffenen erst recht.
Ein unmittelbarer Erfolg sei zudem meist nicht zu sehen. „Den Schritt der Trennung zu wagen, erfordert viel Mut“, sagt Aufreiter. Die Frauen wüssten nicht, was danach komme, auch ihre Existenz sei nicht immer gesichert. Hier ist dann unter anderem die Regierung gefragt - sei es im Schaffen ausreichender Kinderbetreuungsplätze oder in der langfristigen Finanzierung von Gewaltschutzeinrichtungen und entsprechenden Projekten.
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