Live in der Stadthalle

George Ezra: Musik in ihrer unverfälschten Essenz

Musik
23.02.2023 00:51

Vier Jahre nach seinem letzten Stelldichein in Wien lieferte George Ezra Mittwochabend eine effektarme, aber stimmstarke Show für die ganze Familie ab. Rund 8000 Fans hingen ihm an den Lippen und ließen sich für gut 90 Minuten aus den Wirren der harschen Realität tragen.

(Bild: kmm)

George Ezra ist gerne unterwegs. Der britische Singer/Songwriter mit dem zunehmenden Hang zur Experimentierfreude betitelt seine Songs gerne nach Städten („Budapest“, „Barcelona“, „Manila“) oder fährt seine Fühler gleich ganz weit ins „Paradise“ aus. Abseits davon verbringt er liebend gerne Zeit mit guten Freunden an den entlegensten Ecken der Welt oder wandert mit ihnen während der Pandemie 1200 Meilen vom südlichsten Punkt Englands zum nördlichsten in Schottland. Das Unterwegssein dient ihm gleichermaßen als Inspiration wie Flucht. Inspiration zu neuen Songpreziosen und massentauglichen Ohrwürmern. Flucht vor kapitalistischen Umtrieben und NLP-gesteuerten Aasgeiern im Musikbusiness, die diesen so freundlichen jungen Mann wie eine Zitrone auspressten und ihn mit einem leichten Burn-Out auswrangen.

(Bild: Andreas Graf)

Vom Garten in die Arena
Diesen Juni wird Ezra 30 und hat dabei mehr erlebt, als andere im dreifachen Alter. Er tourte mehrmals quer über den Globus, hat in seiner Heimat Großbritannien mit allen drei Studioalben die Charts-Spitze erreicht und nebenbei auch noch einen prestigeträchtigen BRIT-Award abgeräumt. Was aber noch viel schwerer wiegt, ist die menschliche Komponente. Ezra ist ein Entertainer für die ganze Familie. Wie ein Tony Bennett ohne Anzug, dafür mit mehr Demut und Dankbarkeit. Seine Songs drehen sich um die Liebe, das Fernweh und eine gute Zeit. Er verzichtet seit jeher auf Kraftausdrücke und Fluchen und kommt mit seiner Bescheidenheit auch in den vollsten Hallen so rüber, wie der pickelige Nachbarsbub bei seiner Entschuldigungsrunde, weil er beim Fußballspielen im Garten schon wieder die Küchenscheibe zerschoss.

(Bild: Andreas Graf)

Etwa zur Halbzeit des gut 90-minütigen Sets in der Wiener Stadthalle kündigt er den auf seinem aktuellen Studioalbum „Gold Rush Kid“ befindlichen Song „In The Morning“ an und hofft, zurückhaltend und mit leiser Stimme, dass ihn doch bitte schon jemand gehört hat. So viel Bodenständigkeit ist in einer Welt des Strahlens und Blendens unüblich und wird mit viel Applaus goutiert. Ezra intoniert stimmkräftig, doch die Backing Vocals lassen aus dem Lagerfeuer-Akustikgitarrenstück ein hallendes Gospel-Monstrum gedeihen. Zu der Zeit sind der Brite und die rund 8000 Fans längst warmgespielt und befinden sich in einer leichtfüßigen Symbiose, die sich auf und vor der Bühne deutlich zu erkennen gibt. Freilich, „nice guys“ sind auch James Blunt oder Ed Sheeran, aber Ezra ist nicht nur Schwiegersohn, sondern auch variables Stimmwunder.

(Bild: Andreas Graf)

Echt und unverfälscht
Blues, Soul, Pop, Gospel, Folk, ja, selbst Country - all das befindet sich in der Range des „Gold Rush Kid“ und seiner siebenköpfigen Band. Besonders wichtig ist die Drei-Personen-Bläsersektion, die sich in Songs wie „Budapest“, „Sweetest Human Being Alive“ oder dem US-Westküsten-Stück „Cassy O‘“ wunderbar in den Vordergrund drängt und den Songs eine besondere Partyatmosphäre gibt. Vor allem gelingt es den Musikern, eine feiernde Mardi-Gras-Atmosphäre zu vermitteln und nicht im bayrischen Bierzelt-Polka zu versinken. Ezra glänzt dabei mit einer Stimmkraft, die man eins zu eins so im Radio hört. Kein Autotune, keine Verstärkung, keine Tricks - wer beim nur mit Piano begleiteten Akustikstück „Hold My Girl“ oder dem grandiosen Frühwerk „Did You Hear The Rain?“ nicht Gänsehaut bekommt, dem ist nicht mehr zu helfen.

(Bild: Andreas Graf)

Fast ironisch, dass Ezras Set mit dem vom Band abgespulten Tom-Jones-Klassiker „It’s Not Unusual“ einleitet. Er ist großer Fan des walisischen Tigers und lud ihn unlängst gar zu einem Podcast-Talk ein. Dass Jones‘ „Green Green Grass Of Home“ und Ezras „Green Green Grass“ dann auch einen ähnlichen Titel tragen, ist aufgrund der zugrunde liegenden persönlichen Geschichte Ezras tatsächlich mehr Zufall als Ehrerbietung. Mühelos intoniert sich das glattrasierte Bubengesicht durch die Musikhistorie. Lasziver R&B in „Manila“, Vampire Weekend-Referenzen in „Get Away“, Gospel in „In The Morning“, oder ein wüstentrockenes US-Feeling bei „Saviour“ - Ezra spult seine eklektische Melange wie ein Wurlitzer ab und hält die Aufmerksamkeit im Publikum konstant hoch. Er applaudiert, erzählt nette kleine Geschichten und versucht inbrünstig, das ohnehin grelle Rampenlicht nicht noch zusätzlich zu absorbieren.

(Bild: Andreas Graf)

Gitarre und Bariton
In Ezras Kunst stecken weder Arroganz noch Verbitterung. Er liebt seine x-fach gespielten Hits noch immer innig und ist nicht müde, sie mit fettem Grinsen vorzutragen. Details sorgen dafür, dass sie ihm nicht fad erscheinen. Etwa wenn sich „Blame It On Me“ mit einem explosiven Crescendo in lichte Höhen drängt oder „Paradise“ durch einen Arcade-Fire-artigen Zwischenteil ausufert und mit einem auf den Knien rutschenden Frontmann sogar für den echten Rock’n’Roll-Moment des Abends sorgt. Freilich züchtig im Rahmen und fernab von wilder Ekstase und Ausbruch aus Normen. Ezra mag dem einen oder anderen zu brav sein, aber in einer von Tag zu Tag grauenvoller werdenden Welt voller Starrköpfe, Egoismen und nicht nachhaltigen Entscheidungen ist eine eineinhalbstündige Konzertreise in ein sattgrünes Traumland voller Liebe, Frieden und Gemeinschaftlichkeit tröstlich und notwendig. Keine Pyrotechnik, kein Konfettiregen, keine Effekte - nur ein Mann, seine Gitarre und sein Bariton. Musik in ihrer unverfälschten Essenz.

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