Die russischen Truppen haben in ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine nach britischer Einschätzung erneut ihr Vorgehen geändert. „Ihr Feldzug zielt jetzt wahrscheinlich hauptsächlich darauf ab, das ukrainische Militär abzunützen, anstatt sich darauf zu konzentrieren, beträchtliche Mengen an Territorium zu erobern“, teilte das Verteidigungsministerium in London zum Jahrestag des Kriegsbeginns am Freitag mit.
„Die russische Führung verfolgt wahrscheinlich einen langfristigen Ansatz, bei dem sie davon ausgeht, dass Russlands Vorteile bei Bevölkerung und Ressourcen die Ukraine letztlich erschöpfen werden“, hieß es unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse.
Zuerst subversiv, dann offensiv
Die russische Strategie, das Nachbarland zu kontrollieren, sei seit 2014 weitgehend konstant geblieben. Bis 2021 sei dieses Ziel „subversiv“ verfolgt worden, indem Moskau die ukrainische Halbinsel Krim annektierte und den nicht erklärten Krieg im ostukrainischen Donbass schürte. „Am 24. Februar 2022 schwenkte Russland auf einen neuen Ansatz um und begann eine umfassende Invasion, mit der versucht wurde, das ganze Land zu erobern und die Regierung zu stürzen.“
Bis April 2022 habe Russland dann realisiert, dass dies gescheitert sei und habe sich darauf konzentriert, seine Herrschaft über den Donbass und die Südukraine auszudehnen und zu formalisieren. „Es hat langsame und extrem kostspielige Fortschritte gemacht“, hieß es aus dem britischen Verteidigungsministerium, das täglich Informationen zum Kriegsverlauf veröffentlicht. Damit will die britische Regierung sowohl russischer Propaganda entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine Desinformationskampagne vor.
Medwedew droht weiter mit Unterwerfung
Verbal hält der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew am ursprünglichen Plan fest: Er drohte am Freitag mit einer vollständigen Unterwerfung des Nachbarlandes. Einmal mehr wiederholte der berüchtigte Kriegspropagandist den haltlosen Moskauer Vorwurf, die Ukraine sei von Neonazis beherrscht und deshalb für Russland gefährlich. „Deshalb ist es so wichtig, dass die militärische Spezialoperation ihr Ziel erreicht. Um die Grenze der Gefahr für unser Land so weit wie möglich zurückzudrängen, selbst wenn das die Grenze Polens ist“, schrieb Medwedew im sozialen Netzwerk Telegram. „Um den Neonazismus völlig zu vernichten.“
Es bleibe sonst die Gefahr, dass selbst nach Verhandlungen „neue blutgierige Jungs, die sich legale ukrainische Staatsmacht nennen, einen weltweiten Konflikt provozieren“, schrieb der jetzige Vizesekretär des russischen Sicherheitsrates. Medwedew galt in seinen Zeiten als Ministerpräsident und Präsident als eher liberal. Im laufenden Krieg tritt er als absoluter Hardliner auf und versucht Beobachtern zufolge, seine Position im russischen Machtapparat durch überbordend scharfe Stellungnahmen zu untermauern.
Russland „zu Kriegswirtschaft geworden“
Je länger der Krieg dauerte, desto mehr sei Russland de facto „zu einer Kriegswirtschaft geworden“ analysiert das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Die aktuelle Planung des russischen Staatshaushalts zeige deutlich eine Hinwendung zu „einer von Verteidigungs- und Sozialpolitik geleiteten Kriegswirtschaft - sogenannter ‘Guns-and-Butter‘-Strategie“. Um diese finanzieren zu können, mache Russland mehr Schulden. „Um Putins Kriegsmaschinerie weiter zu schwächen, muss daher der wirtschaftliche Druck durch Sanktionen aufrechterhalten und international ausgebaut werden“, erklärte das IW.
Großbritannien erließ am Freitag bereits neue Sanktionen gegen Moskau, weitere Strafmaßnahmen der EU und der USA sollen folgen. Es handle sich um ein international abgestimmtes Paket, teilte das britische Außenministerium mit. Die Ausfuhrbeschränkungen betreffen demnach unter anderem Flugzeugteile, Funkgeräte sowie elektronische Komponenten, die von der russischen Rüstungsindustrie etwa zur Herstellung von Drohnen verwendet werden könnten.
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