Kritik an Vorschlägen

Fronten verhärtet: Heftiger EU-Streit um Pestizide

Politik
03.03.2023 06:00

Der Einsatz von Pestiziden soll reduziert werden. Nur um wie viel? Darüber herrscht in der Europäischen Union keine Einigkeit. Die Grünen wollen Pflanzenschutzmittel erlauben, die im Biolandbau zugelassen sind. Bei der Reduktion der Schädlingsbekämpfung prallen Welten aufeinander, die Fronten sind verhärtet. Gut möglich, dass die Frage verschleppt wird.

Das Match ist eröffnet - und es wird ein Kampf mit harten Bandagen werden, so viel steht bereits jetzt fest. An vorderster Front: österreichische Abgeordnete. Schon in der Diktion zeigen sich die unterschiedlichen Interessen: Während die einen von Pflanzenschutzmitteln sprechen, reden die anderen nur von Pestiziden und Gift.

Die Europäische Union will den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf Äckern, Feldern, Weingärten und Co. reduzieren. Bis hierhin können noch alle zustimmen. Die heikle Frage ist jedoch, um wie viel. Die Kommission hat im vergangenen Sommer einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, der eine Reduktion um 50 Prozent bis zum Jahr 2030 vorsieht. Grundlage für den Wert soll die durchschnittlich verkaufte Menge aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 sein.

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Mein Bericht ist einmal ein erster Vorschlag. Studien zeigen: Es ist sehr wohl möglich, Pestizide zu reduzieren, ohne dass der Ertrag sinkt.

Sarah Wiener (Grüne), Berichterstatterin der Verordnung

Der grünen EU-Abgeordneten Sarah Wiener, sogenannte Berichterstatterin zu diesem Thema, geht der Brüsseler Vorstoß nicht weit genug. Sie fordert in ihrem am Donnerstag im Umweltausschuss vorgestellten Bericht ein Minus von 80 Prozent für besonders gefährliche Pestizide. Außerdem ein Verbot von Pestiziden in Städten, Wohngebieten und öffentlichen Parks, mehr Verantwortung für die Industrie (diese soll nach dem Verursacherprinzip für Schäden, etwa die teure Säuberung von Trinkwasser, aufkommen) sowie eine EU-weite, risikobasierte Pestizidsteuer (hier lautet die noch recht vage Formel: Je giftiger, desto teurer).

Volkspartei verfällt in totalen Alarmismus
Noch bevor der Report der bekannten TV-Köchin Wiener, die seit 2019 für die Grünen im EU-Parlament sitzt, überhaupt offiziell präsentiert wurde, blies die Europäische Volkspartei zum Angriff auf die Grünen. Dabei greifen die Konservativen ganz tief in die Alarmismus-Kiste und skizzieren ein absolutes Horrorszenario nach dem anderen. Würden die Vorschläge von Wiener umgesetzt, so behauptet die ÖVP, gefährde dies die Lebensmittelsicherheit, die heimische Erdäpfel-Produktion käme mehr oder weniger zum Erliegen, und in der idyllischen Wachau könnte kein Wein mehr angebaut werden, die Region würde ihren UNESCO-Welterbe-Status verlieren.

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Der Bericht der Europäischen Grünen ist mehr als irritierend und ein Vorschlag voller praxisferner Ideen.

Alexander Bernhuber, Chefverhandler der Volkspartei in der Causa

Gegen Schädlinge braucht die Natur Unterstützung
Das alles ist zweifelsohne zu dick aufgetragen, klar ist aber, dass Schädlingsbekämpfungsmittel meist unverzichtbar sind, um die Ernte zu schützen. Mehltau, Reblaus, Unkraut - dagegen braucht es Unterstützung für die Natur. Und diese gibt es auch im Biolandbau - mit speziell zugelassenen Präparaten, die nicht chemischen Ursprungs sind. Diese Mittel sollen, geht es nach den Vorstellungen von Sarah Wiener, künftig in sensiblen Gebieten, wie etwa NATURA-2000-Regionen, erlaubt sein. Ein informelles Dokument der EU-Kommission sieht jedoch vor, den Einsatz von Pestiziden in sensiblen Arealen vollständig zu verbieten.

Parlament: Schwierige Suche nach Mehrheiten
Die Situation ist verfahren, Einigkeit ist in dieser Frage ein Fremdwort. Weder zwischen den Fraktionen im EU-Parlament noch in den Ausschüssen. Die Parteien versuchen nun, Mehrheiten für ihren Standpunkt zu finden. Sarah Wiener will das ÖVP-Argument, ihr Plan gefährde die Lebensmittelsicherheit, so nicht stehen lassen: 20 bis 30 Prozent der Lebensmittel landen im Müll, ein Teil in Futtertrögen, ein weiterer Teil im Tank. Da bestehe wohl keine Gefahr, dass es nicht genug für die Teller gebe, so die Köchin. Die Volkspartei stößt sich an den Reduktionszielen der Kommission und der Grünen, will selbst aber keinen Wert angeben.

Das könne man so nicht beziffern, weil es unterschiedliche Mittel gebe und davon unterschiedliche Mengen benötigt werden, so Alexander Bernhuber, Chefverhandler der Europäischen Volkspartei für dieses Gesetzesprojekt. Außerdem müsse auf Regionen mit speziellen Bedürfnissen Rücksicht genommen werden. Er ortet jedenfalls auch in anderen Fraktionen eine große Skepsis gegenüber dem Plan von Wiener.

Das wichtige Thema könnte lange auf Eis liegen
Das EU-Parlament ist aber nur eine der Baustellen auf dem Weg zu einer Reduktion der Pestizide. Denn schlussendlich braucht es Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und EU-Rat. So manche Länder haben es jedoch mit einer Lösung nicht eilig. Die Zeichen stehen auf Hinauszögern und Verschleppen. Ob sich ein Beschluss noch in dieser Legislaturperiode ausgeht, ist fraglich. Wenn nicht, bedeutet dies: Zurück an den Start. Und das so wichtige Thema könnte lange Zeit auf Eis liegen.

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