Nach Bekanntwerden von Verschleppungsvorwürfen im Zusammenhang mit ukrainischen Kindern geht SOS-Kinderdorf gegen seinen russischen Mitgliedsverein vor. Wie die in Österreich ansässige Organisation am Donnerstagabend mitteilte, „werden vorübergehend alle internationalen Geldflüsse eingefroren“. Der russische Verein konnte nämlich „bisher nicht nachweisen, dass bei der Betreuung von 13 ukrainischen Kindern alle kinderrechtlichen und humanitären Standards eingehalten werden“.
In diesem Fall sei „nach wie vor davon auszugehen, dass ein besorgniserregender Zusammenhang mit Zwangsumsiedlungen besteht“, so die Organisation weiter. Es gebe zwar keine Hinweise darauf, dass SOS-Kinderdorf in diese involviert sei. Allerdings gebe es Informationen, dass der Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf Russland Chefredakteur eines Magazins für Kinder sei, in dem propagandistische Inhalte verbreitet werden. „Wir stellen uns entschieden gegen den Einsatz von Kindern für jegliche Form von politischer Arbeit und Propaganda und verurteilen jede Art der Zwangsadoption, der gewaltsamen Umsiedelung oder der Zwangseinbürgerung“, betonte die Organisation.
„Bis zur vollständigen Klärung“ kein Geld mehr
Die aktuelle Situation erfordere es, Maßnahmen gegen den russischen Verein zu setzen. Neben dem Einfrieren der internationalen Geldflüsse „bis zur vollständigen Klärung der Situation in Russland“ habe SOS-Kinderdorf Österreich als Gründungsland und weltweiter Markeninhaber auch ein Markenprüfverfahren angestoßen.
Das ZDF-Magazin „frontal“ hatte in der Vorwoche berichtet, dass die internationale Hilfsorganisation in die Verschleppung ukrainischer Kinder durch Russland verstrickt sei. Dies wurde in der Vorwoche von SOS-Kinderdorf noch scharf zurückgewiesen. „Wir haben mit den Verschleppungen nichts zu tun. Wir machen unseren Job und helfen Kindern in Not“, sagte Sprecher Jakob Kramar-Schmid. Er sprach vom „Dilemma“, dass die Kinder auf der Straße stünden, wenn man ihnen nicht helfen würde, und bescheinigte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Russland einen „wahnsinnig guten Job“, zumal sie „unter großem politischen Druck“ stünden. SOS-Kinderdorf betreut eigenen Angaben zufolge mehr als 600 Kinder in Russland.
Netrebko als Patin
Im konkreten Fall geht es um das SOS-Kinderdorf Tomilino bei Moskau. Die Siedlung wurde nach den „frontal“-Recherchen im Dezember 2022 von der russischen Kinderrechtsbeauftragten Maria Lwowa-Belowa besucht. Ihre Behörde organisiere Zwangsadoptionen ukrainischer Kinder mit dem Ziel der Russifizierung, hieß es in dem Bericht. Während ihres Besuches seien Propagandabilder mit verschleppten ukrainischen Kindern entstanden. Patin der Betreuungseinrichtung ist seit dem Jahr 2007 die russisch-österreichische Star-Sopranistin Anna Netrebko. Sie wurde zu Jahresbeginn von der Ukraine als angebliche Propagandistin des Aggressorstaates mit Sanktionen belegt. In der Vergangenheit galt das SOS-Kinderdorf, das heute offenkundig entführte ukrainische Kinder beherbergt, auch als Vorzeigebeispiel für die österreichisch-russischen Beziehungen. Anfang 2004 erhielten die dortigen Kinder Besuch von den damaligen First Ladies Russlands und Österreichs, Ljudmila Putina und Margot Klestil-Löffler.
Die Entführung von Minderjährigen zählt zu den schändlichsten Taten Russlands in der Ukraine. Bis Anfang Februar wurden insgesamt 16.207 Kinder deportiert, sagte der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Dmytro Lubinets. „11.593 Kinder wurden direkt in die Russische Föderation gebracht“, sagte er dem „Standard“. 347 Kinder seien bei der ukrainischen Polizei als vermisst gemeldet. „Dabei handelt es sich jedoch nur um registrierte Fälle, während es in Wirklichkeit Hunderttausende solcher Kinder gibt.“
„Ein Zeichen von Völkermord“
Laut Lubinets gelten in Russland nunmehr vereinfachte Regelungen für die Adoption von ukrainischen Kindern. „Entführungen fanden und finden häufig unter dem Vorwand der Evakuierung statt. Ukrainische Kinder können aus verschiedenen Einrichtungen zur Pseudorehabilitation entführt werden. Auch solche Fälle sind uns bekannt. Und dann werden diese Kinder zur Erziehung in russische Familien gebracht“, sagte der Menschenrechtsbeauftragte. Er sieht einen schweren Verstoß gegen das internationale Recht: Die Entführungen seien „ein Zeichen von Völkermord“.
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