Live in der Arena

Ville Valo: Wiedergeburt mit H.I.M.-Nostalgie

Musik
06.03.2023 07:00

In der restlos ausverkauften Wiener Arena lud die einstige H.I.M.-Legende Ville Valo mit seinem neuen Soloprojekt VV zu einem Abend voll Dunkelheit, Nostalgie und großer Melodiebögen. Die Mischung aus alten und neuen Songs gelang überraschend gut, dafür wurde aber leider sein Gesang zu stark zurückgedreht.

(Bild: kmm)

Ein ungeschriebenes Gesetz der späten Adoleszenz lautete einst: wenn du dem Death Metal oder Black Metal verfallen bist, dann hat schwülstiger Goth-Rock der Marke H.I.M. keine Existenzberechtigung. Wenn Finnland, dann infernalisches Gekreische der Marke Impaled Nazarene, kellertiefes Demilich-Gegrunze oder - falls man unbedingt Melodie benötigt - die dem Speed Metal entlehnten Childen Of Bodom mit dem Ende 2020 viel zu früh verstorbenen Gitarrenzauberer Alexi Laiho. Doch mit dem Alter kommt Reife und Einsicht und irgendwann gibt man offen zu, was man damals hinter versperrten Zimmertüren und dicht zugezogenen Vorhängen in versteckter Einsamkeit zelebriert hat: Songs wie „Join Me In Death“, „Pretending“ oder „Gone With The Sin“ haben einen ohrwurmträchtigen Hit-Faktor, dem man sich nicht entziehen kann. Mit H.I.M. war es nach großen Hits und vielen Suff-Skandalen und Eskapaden 2017 zu Ende. Zu der Zeit lagen die letzten Österreich-Gigs drei Jahre und die letzten wirklich wichtigen Songs schon eine Dekade zurück.

(Bild: Andreas Graf)

Mehr Indie statt Metal
Frontmann Ville Valo zählt mittlerweile 46 Lenze und hat sich nach jahrelanger Abwesenheit vom Rampenlicht zu einem erwachsenen Alter Ego seiner selbst geformt. Zigaretten und Rotwein sind tabu, die gelockte Mähne hat er strikt unter einem akkurat sitzenden Barett versteckt und statt klassischer Rockstar-Pöbeleien gibt es Dankesbekundungen und humorige Anekdoten. Während der Pandemie brachte er sich Schlagzeugspielen und Produzieren bei, gründete sein Soloprojekt VV und meldete sich vor knapp zwei Monaten mit dem eher gespalten aufgenommenen Comeback-Werk „Neon Noir“ zurück. Die wesentlichste Änderung: die Heavy-Metal-Anteile seiner einstigen Band hat er schwer zurückgeschraubt und durch eine Mischung seiner frühen Einflüsse ersetzt. Kurz umrissen: mehr Indie und mehr Hard Rock der alten Schule, dafür etwas weniger vom Gothic-Metal-Gestus und damit einhergehend weniger von der alten Hittauglichkeit.

(Bild: Andreas Graf)

Dass die neuen VV-Songs so gut zu den alten H.I.M.-Klassikern passen, liegt auch daran, dass Valo seine musikalische Identität längst gefunden hat und nicht wirklich aus ihr ausbrechen kann. Diese Selbsterkenntnis ist ebenso ehrlich und erfrischend wie die Tatsache, dass er nicht auf Biegen und Brechen versucht, seinem Publikum nur aktuelle Songs einzuimpfen. Jeder zweite Track in der seit Monaten restlos ausverkauften Wiener Arena ist ein H.I.M.-Klassiker aus vergangenen Tagen. Vor allem im Anfangsdrittel erkennt man kaum Unterschiede. Die VV-Singles „Echocolate Your Love“ und „Neon Noir“ haben einen ähnlich leichten Zugang wie die Klassiker „The Funeral Of Hearts“ und „Right Here In My Arms“. Die Abweichungen erkennt man dennoch klar heraus. Der Ville der Gegenwart setzt kaum noch auf kitschige Keyboards und traut sich auch so einiges zu, was im Bandkontext zu Teenie-„Bravo“-Zeiten niemals möglich gewesen wäre.

(Bild: Andreas Graf)

Mut zahlt sich aus
So steigert sich etwa das melancholische „In Trenodia“ zu einem instrumental dichten Crescendo und gibt „The Foreverlost“ einen guten Einblick in Valos Pandemie-Kreativitätsphase, weil dort persönliche Helden wie The Mission oder die Smiths deutlicher hervorlugten, als es ihm selbst wohl klar war. Von den zwei allerstärksten Songs seines VV-Projekts spielt er leider nur einen - das doomige „Saturnine Saturnalia“ beschließt das Set nach handgestoppten 90 Minuten als Black-Sabbath-Gedenkstück samt New Model Army-Chic. Das grandiose und zugleich vertrackte „Vertigo Eyes“ war Valo für seine erste anständige Tour nach gut sechs Jahren wohl leider doch etwas zu schräg - man kann nur hoffen, dass er sich beim nächsten Mal drüber traut. Die Kehrseite der Medaille sind „Loveletting“ oder die Nachtschattengewächs-Hymne „Run Away From The Sun“, deren melodiöse Eingängigkeit nicht mehr weit von pumpenden Schlagerrhythmen entfernt ist.

(Bild: Andreas Graf)

Beim düsteren Nostalgie-Kabinett ist natürlich kein Tupfer Farbe erlaubt, sogar das Schneuztücherl des Frontmanns ist in kompromisslosem Schwarz gehalten. Im Gegensatz zu H.I.M. wirkt Valos VV-Band druckvoller, experimentierfreudiger und vor allem variabler. Mühelos changieren die eigentlich aus Indie- und Alternative-Sphären stammenden Musiker zwischen den verschiedenen Ären und lassen die alten H.I.M.-Musiker nie vermissen. Valo fühlt sich sicht- und spürbar wohl vor seinem kundigen Rhythmusfundament, dem immer wieder Zeit zum Solieren eingeräumt wird. Dass der Frontmann relativ statisch und ohne Small Talk durchs Programm führt, ist man von früher gewohnt und wirkt durchaus angenehm. Erst ganz zum Schluss stellt er seine kundigen Mitmusiker vor und überlegt sich, wie er einem Fan-Wunsch nach einer Zeichnung, die sich derjenige tätowieren lassen möchte, nach dem Konzert nachkommen sollte. Wenn Valo zum Gespräch ansetzt, ist nichts mehr von der nordischen Kühle zu spüren und man merkt ihm an, dass er sein „Mojo“ für Liveauftritte lange gesucht und zu seiner großen Freude wiedergefunden hat.

(Bild: Andreas Graf)

Kajal für alle
Das Publikum ist zu einem großen Teil mit dem Jugendschwarm von früher mitgealtert und trägt für den großen Nostalgiesonntag noch einmal extra Kajal auf, singt bei den H.I.M.-Klassikern volle Lautstärke mit und hält die Erinnerungen im schmucken Boomer-Querformat auf seinen Smartphones fest. Vor allem das treibende „Wings Of A Butterfly“ und das an diesem Abend sehr hart gespielte „Soul On Fire“ sind mehr als gut gealtert. Die einst im gängigen Formatradio totgespielte Düster-Hymne „Join Me In Death“ hat ihren Zenit dafür tatsächlich schon vor einigen Jahren überschritten - für ein kurzweiliges Wiederhören reicht es natürlich immer noch. Valo ist zudem mehr als gut bei Stimme und erreicht auch die selten benötigten Höhen und Tiefen problemlos. Leider wurde sein Gesang allgemein zu leise in das gesamte Soundbild gemischt. Das Comeback ist jedenfalls mehr als gelungen und das weltberühmte „Heartagram“ leuchtet wieder - ein Wiedersehen gibt es schon in drei Monaten beim Nova Rock.

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