Mit neuer Leidenschaft

Wie es mit christlicher Religion doch weitergeht

Oberösterreich
09.03.2023 16:30

Das Christentum scheint müde geworden zu sein. Das kann sich nur ändern, wenn es der Kirche gelingt, eine neue Leidenschaft in sich zu entfachen, um ihrer Bestimmung für die Welt gerecht zu werden, meint der weltberühmte Prager Theologe und Soziologe Tomáš Halík. Warum das notwendig ist und wie das gelingen könnte, erläuterte Halík am Donnerstag, 9. März, in einem Vortrag im Bildungshaus Schloss Puchberg (Wels), eine Veranstaltung in Kooperation mit der Sektion Linz der Stiftung PRO ORIENTE.

„Er ist ein Muntermacher und ein Mutmacher“, wird Tomáš Halík von LH a.D. Josef Pühringer vorgestellt; Pühringer ist Vorsitzender der Sektion Linz von PRO ORIENTE, eine Stiftung, die die Kontakte zu den Kirchen des Ostens verstärken soll. Der weltberühmte Prager Theologie und Soziologe Tomáš Halík attestiert dem Christentum einen „nachmittäglichen“ Zustand, der den Eindruck erwecken kann, dass es mit der christlichen Religion zu Ende geht. Die Kirchen befänden sich demnach in einem Zustand der Lähmung, welcher der Gesellschaft eine prägende Kraft entziehe. 

Wie sähe das Gegenmittel zur Lähmung aus?
Wie der Weg aus dieser Lähmung aussehen könnte, skizziert Tomáš Halík in seinem Vortrag im Bildungshaus Puchberg. Aus theologischer und soziologischer Perspektive wirft der Prager einen Blick auf die Zukunft von Kirche und Gesellschaft. Die Kirche müsse eine neue Leidenschaft in sich entfachen, um ihrer Bestimmung für die Welt gerecht zu werden, so seine Hauptbotschaft.

Die christlichen Gemeinschaften hinken hinterher
In seinem 40-minütigen Vortrag attestierte der Soziologe und Theologe dem Christentum eine Müdigkeit, die daraus resultiere, dass die Kirchen den Anschluss an die Gesellschaft verloren habe. Die unterschiedlichen Dialogversuche - im katholischen Bereich vor allem das Zweite Vatikanische Konzil - der christlichen Gemeinschaften zielen auf den modernen Menschen ab, dabei werde aber übersehen, dass sich die Welt bereits in einem postmodernen Stadium befinde, so Halík.

Tomáš Halík beim Vortrag im Bildungshaus Schloss Puchberg (Bild: PRO ORIENTE / Petra Lindinger)
Tomáš Halík beim Vortrag im Bildungshaus Schloss Puchberg

Glaube setzt ständiges Suchen voraus
Die Krisen der Kirche haben mit der Missbrauchskrise ihren traurigen Höhepunkt erfahren und nun sei es unabdingbar, dass tiefgreifende Reformen angegangen würden. Diese Reformen dürfen aber nicht an den Strukturen hängen bleiben, sondern müssen eine echte Glaubenserneuerung darstellen. Dies können nur geschehen, so Tomáš Halík weiter, wenn der Glaube als etwas Dynamisches verstanden würde, das ein ständiges Suchen voraussetze.

Ein offener Dialog ist notwendig
Auf diese Weise könne Kirche wieder dialogfähig auch mit dem postmodernen Menschen werden, da dieser in Zeiten der Globalisierungskrise ebenfalls auf der Suche sei. Die Kirche müsse mithilfe ihres eigenen Ringens Vorbild für einen offenen Dialog sein, der durch Ehrlichkeit und Kommunikation auf Augenhöhe geprägt sein müsse.

(v.l.) LH a.D. Josef Pühringer (Vorsitzender von PRO ORIENTE Sektion Linz), Florian Wegscheider (Sekretär des Arbeitsausschusses PRO ORIENTE Sektion Linz), Tomáš Halík (Professor für Soziologie an der Karlsuniversität in Prag), Adela Muchova (Assistenz-Professorin am Institut für Pastoraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz), Bischof Manfred Scheuer, Klara A. Csiszar (Professorin der Pastoraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz) (Bild: PRO ORIENTE / Josef Wallner)
(v.l.) LH a.D. Josef Pühringer (Vorsitzender von PRO ORIENTE Sektion Linz), Florian Wegscheider (Sekretär des Arbeitsausschusses PRO ORIENTE Sektion Linz), Tomáš Halík (Professor für Soziologie an der Karlsuniversität in Prag), Adela Muchova (Assistenz-Professorin am Institut für Pastoraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz), Bischof Manfred Scheuer, Klara A. Csiszar (Professorin der Pastoraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz)

Schluss mit „kollektivem Narzissmus“!
„Die Kirche darf nicht nur an sich selbst denken und hat sich von ihrem kollektiven Narzissmus zu befreien. Auf diese Weise kann die Glaubensgemeinschaft ein Bewusstsein für die Gesellschaft entwickeln, von welcher sie ja selbst ein Teil ist“, so Tomáš Halík in seinen Ausführungen. Dann könne Kirche auch wieder ihr ethisches Potenzial der Menschheit anbieten.

Neuer Wein in neuen Schläuchen
Am Ende seines Statements betonte Halík in einem Zehn-Punkte-Programm, dass die Kirche sich in einer Reformation befinde, in der Größenordnung jener protestantischen und katholischen Reformation am Beginn der Neuzeit. Diese Reformation sei eine ungemeine Chance, aber sie müsse zum Ziel haben, dass der neue Wein, die neu zu erwerbende spirituelle Vertiefung, in neue Schläuche, die neu zu erarbeitende kirchliche Struktur, gefüllt werde.

Halík steht für eine Hoffnung
Diözesanbischof Manfred Scheuer bedankte sich am Ende der Veranstaltung bei Tomáš Halík für sein Lebenszeugnis, seine wissenschaftlichen Reflexionen im Dienst der Gesellschaft und hob hervor, dass Halík für eine Hoffnung stehe, die inmitten der Stürme der Kirche, der Gesellschaft und der Kriege immer noch die Stimme Jesu höre: „Habt keine Angst.“ und titulierte ihn als einen „Zeugen der Auferstehung“.

Der Nachmittag des Christentums
Tomáš Halíks jüngstes Buch „Der Nachmittag des Christentums. Eine Zeitansage“ finden Sie hier, eine ausführliche Rezension hier.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele
Vorteilswelt