Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Wer mit Baran durch die Stadt fährt, fühlt sich unweigerlich in die eigene Kindheit oder Adoleszenz zurückversetzt. Wenn man nach nächtelangem Durchlernen in einem stickigen Raum voll vergilbter Wände einer strengen Prüfungskommission gegenübersitzt, und nicht mehr genau weiß, ob der Schweiß nun aufgrund der Wärme oder purer Angst von der Stirn tropft. So ging es Baran in den letzten Jahren öfters, genau gesagt viermal. Erst nach dem vierten Anlauf hat der leidenschaftliche Uber-Fahrer die Taxischein-Prüfung geschafft. „Es gab dort einen türkischen Professor, der hat nicht nur mir die Tour vermasselt“, erinnert sich spürbar aufgeregt zurück, „bei meinem zweiten Anlauf hat er alle Anwesenden durchfallen lassen. Nicht ein einziger hat die Prüfung geschafft.“
Eine bittere, aber keinesfalls traumatische Erfahrung, wie er schnell klarstellt. „Traumatisch war die Flucht aus Syrien 2015. Zum Glück haben meine Frau, meine beiden Kinder und ich es damals nach Wien geschafft. Hier kann man sich nicht im Entferntesten vorstellen, wie es ist, dort zu leben.“ Nach knapp acht Jahren in der Bundeshauptstadt ist Baran längst zum Wiener geworden. „Wie nennt ihr die Launen hier? Granteln? Das kann ich auch ganz gut“, lacht er, „aber das Schöne an der Stadt ist die Mischung. Türken, Kurden, Tschetschenen, Araber, Israeli, Palästinenser - alle Kulturen sind hier gestrandet und kommen ganz gut miteinander aus. Das wäre in meiner alten Heimat unvorstellbar. Man bekommt hier eine ganz andere Perspektive auf die Welt und die Menschen im Allgemeinen.“
In seiner Heimat war Baran leidenschaftlicher Lehrer für arabische Literatur. Er sei eine Leseratte, habe sich schon immer für verschiedene Kulturen und kulturelle Schmelztiegel interessiert und wollte sein erworbenes Wissen weitergeben. Versuche, dahingehend in Wien Fuß zu fassen, gab es einige. Erfolge aber nicht. „Natürlich habe ich gehofft, dass ich mit diesem Wissen hier etwas machen könnte. Aber es gibt einige Experten auf diesem Gebiet und nur wenige Bereiche, in denen ich das beruflich umsetzen kann. Aber wer weiß, vielleicht öffnen sich ja noch irgendwann andere Türen?“ Barans Intellekt kommt ihm auch beim Taxifahren zugute. Stolz erzählt er, dass er fünf Sprachen spreche, von beherrschen könne aber keine Rede sein. „Doch darum geht es nicht. Verständigen kann man sich schnell und die Leute freuen sich und sehen es als Zeichen des Respekts, wenn man ihnen in ihrer Muttersprache begegnen kann.“
Respekt, den Baran im Alltag vor allem von Migranten in höheren Positionen vermisst. „Ich war mit meiner Frau unlängst bei einem angesehenen arabischen Arzt. Er war extrem unfreundlich, hat sie befehligt und nicht wirklich auf Nachfragen reagiert. Das ist mir bei Österreichern in solchen Positionen noch nie aufgefallen.“ Baran ist Weltbürger, doch solche Erlebnisse kleben sich fest. „Es war auch beim Taxischein der türkische Prüfer und nicht andere, der dafür sorgte, dass so viele Leute durchgefallen sind.“ Überhaupt sieht Baran beim gesamten System vieles, das man vereinfachen und verbessern könnte. „Für den schriftlichen Test am Computer muss man unheimlich viel lernen und alles wissen. Es können alle möglichen Fragen kommen. Warum gibt es dann noch eine mündliche Prüfung, in der eine einzige Frage alles ruinieren kann?“
Zwischen zwei Prüfungsterminen müssen drei Monate liegen. Jeder Antritt bei der Taxischeinprüfung wird mit jeweils 80 Euro bemessen. Ein knappes Durchfallen kostet also viel Zeit und noch mehr Geld, denn dazwischen hatte Baran wenig Einkommen. „Ich war beim AMS gemeldet und habe gehofft, dass sich die Sache schnell lösen würde. Ich habe noch ein drittes kleines Kind, das bereits hier in Wien geboren wurde, weshalb ich auch den Job so gerne mache. Wenn die Kinder irgendetwas brauchen, dann stelle ich das Auto ab und bin für sie da. Es gibt kaum einen Beruf, in dem das sonst so möglich ist.“ Dass Baran den Taxischein schlussendlich bekommen hat, war mit Glück verbunden. „Da war der türkische Professor nämlich nicht da“, lacht er rückblickend, „und so war es möglich, diese Prüfung endlich zu schaffen, damit ich meinen Beruf wieder so ausführen kann, wie es vorher problemlos ging.“ Ansonsten bleibt noch der Traum vom Arabistik-Lehrer. Man weiß ja nie …
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