Neues Studioalbum

Miley Cyrus: Die ewige Suche nach dem Ankommen

Musik
11.03.2023 07:00

Zwischen unerfüllter Liebe, Unsicherheit und einem Sommer in der Stadt der Millionen Träume - Miley Cyrus sucht auf ihrem neuen Album „Endless Summer Vacation“ sich selbst und ein Gefühl der Ungezwungenheit. Dabei fehlt ihr leider der Mut zur vollständigen Authentizität.

(Bild: kmm)

Es ist noch kein halbes Jahr her, dass die uneingeschränkte Pop-Königin Taylor Swift den Streamingriesen Spotify zum Einknicken brachte, weil Menschen quer über den Globus wie verrückt ihr brandneues Album „Midnight“ hören wollten. Rien ne va plus - erst einmal ging nichts mehr. Ganz so schlimm war es bei Miley Cyrus unlängst nicht, aber das lag vielleicht daran, dass ihr heiß ersehntes achtes Studioalbum „Endless Summer Vacation“ 24 Stunden vor der offiziellen Veröffentlichung doch noch geleakt wurde und damit den Hunger der allergrößten Lunatics früh zu stillen wusste. Ein Vorab-Leak in Zeiten des Gratis-Streamings sagt aber auch viel darüber aus, wie sehr man dieses Werk herbeigedürstet hat. In Zeiten der schwindenden Superstars und Festival-Headliner gibt es die ganz großen Weltereignisse doch noch: wenn sie eben Taylor Swift, Adele oder Miley Cyrus heißen.

Pulver verschossen
Ein knallharter Sturz vom kosmischen Orbit auf den Boden der Realität ist „Endless Summer Vacation“ zwar nicht, aber zumindest eine Dreiviertelstunde der verpassten Chancen. Mit ihrer - ausgerechnet an Ex-Mann Liam Hemsworths 33. Geburtstag veröffentlichten - ersten Single-Auskoppelung „Flowers“ gelang Miley sogar ein größerer Erfolg als vor zehn Jahren mit dem Formatradio-Dauerbrenner „Wrecking Ball“, doch die sieben Wochen an der Single-Spitze der US-Charts können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ihr qualitativ hochwertigstes Pulver damit schon sehr früh verschossen hat. Wie schon in Presse-Snippets und der Single angedeutet ist „Endless Summer Vacation“ eine Mischung aus überbordender Selbstliebe, Abrechnung mit der vor gut drei Jahren geschiedenen Ehe und Verbeugung vor dem flirrend heißen Sündenpfuhl Los Angeles.

Wo etwa Lana Del Rey, derzeit wohl das L.A.-Postergirl schlechthin, für ihren Stadtpatriotismus hingebungsvolle Melancholie verwendet, mischt Miley ihre Songs vinylgerecht in eine Tages- und Nachthälfte. Das bedeutet in der Praxis, dass die 30-Jährige mit hemdsärmeligen und durchaus an ihre intensivere Country-Phase erinnernden Songs beginnt und mit Fortdauer in elektronisch aufgeladene Synthiepop-Regionen abrutscht und sich mehr dem durchaus gelungenen 2020er-Werk „Plastic Hearts“ annähert. Unterteilt wird dieser klanglich sehr markante Bruch vom etwas kuriosen Mittelstück „Handstand“, in dem sie sich in psychedelisch anmutende Ambient-Sphären wagt und an ihre fast schon absurde Kooperation mit den Flaming Lips erinnert. Im Endeffekt erfindet sich Miley anno 2023 nicht wieder neu, sondern bündelt verschiedene Charakter und Alter Egos, die sie nicht nur künstlerisch über die Jahre begleiteten.

Suche nach sich selbst
Es gibt unschuldig anmutende „Hannah Montana“-Momente, es gibt den Psychedelic-Touch, die Country-Querverweise und - vor allem inhaltlich - eine Wagenladung Sex und Erotik, die an ihre Mitte der 2010er-Jahre erinnernden Live-Shows erinnert, wo sie im kaum merkbaren Tanga auf amerikanischen Autos turnte oder im knappen Höschen den amerikanischen Lyrik-Gott Bob Dylan coverte. Miley Cyrus war vor allem immer eine Person für alle. Objektifiziert und ausgestellt, um Gefühle und Gelüste zu befriedigen. Man kann es ihr nicht verübeln, dass sie auf „Endless Summer Vacation“ neben der Ruhe und Glück im Leben vor allem sich selbst und ihr wahres Inneres sucht. Der Song „You“ ist eigentlich ein „I“, denn darauf entkoppelt sich Cyrus von sich selbst und predigt ihr aus der dritten Person, dass sie sich selbst genüge, um im Leben Frieden und Vollendung zu finden. Das mit Brandi Carlile gesungene „Thousand Miles“ evoziert eine sanfte Verletzlichkeit, die unter die Haut geht.

Diese Momente des sich Öffnens sind die besonderen auf dem Album. In der ersten Hälfte, also dem „Tag-Teil“, kommen nicht nur ungeschönte und durchdringende Emotionen ins Licht, Cyrus treibt darin auch ihre einzigartige, sehr markante Stimme in lichte Qualitätshöhen. Dieses wichtige und gewichtige Markenzeichen geht im elektronischen Soundbrei des „Nacht-Teils“ dann leider unter. „Violet Chemistry“ oder „Wildcard“ setzen dazu an, kommen aber nicht ganz aus dem Stand. In „Island“ verfällt das Instrumentarium in Melancholie, nicht aber Miley selbst. Nur in dem mit Sia besungenen „Muddy Feet“ rückt das gebürtige Nashville-Girl das Mikrofon zurecht und lässt sich einfach mal gehen - ein seltener Moment der Wahrhaftigkeit, der Cyrus viel besser zu Gesicht steht als die angedachte Lady-Gagaisierung in den treibenden Popsongs. Originale lassen sich nur schwer übertreffen, das kennt man ja noch gut aus den Cyrus/Madonna-Vergleichen.

Ewiges Changieren
Im Endeffekt changiert Cyrus auf ihrem neuen Album in Stilen genauso wild durch die Gegend, wie man es immer von ihr gewohnt war. Öffentlichkeitsbilder zwischen Heiliger und Hure, Kinderstar und Sex-Vamp, bodenständiger Country-Aktrice und galaktischer Pop-Göttin. Musikinteresse zwischen Great American Songbook und Power-Pop. Außenrezeption zwischen Nepotismus und selbstständiger Unternehmerin. „Endless Summer Vacation“ ist ein Abgesang auf eine unerfüllte Liebe und gleichzeitig eine sommerlich-leichte Hingezogenheit zu einer Stadt, die ihr Heimat vermittelt und Träume erfüllt. „I can buy myself flowers“ singt sie als zentrale Botschaft in der Hauptsingle und zeigt dabei, wie einsam es am Pop-Thron sein kann. Man wird von Abermillionen Menschen geliebt und kann sich trotzdem nur bei sich selbst fallen lassen. „Endless Summer Vacation“ pendelt nach einem Ankommen suchend zwischen Radio und Art-Pop. Besser kann man das Phänomen Miley Cyrus nicht erklären.

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