Scheidung, Pandemie und Kinderwunsch - auf die aus Georgien stammende Sängerin Katie Melua kam in kurzer Zeit sehr viel zu, dass sie erst einmal verarbeiten und ordnen musste. Mittlerweile ist die 38-Jährige wieder glücklich vergeben, junge Mutter ihres Sohnes Sandro und geht mit dem neuen Album „Love And Money“ bald auf große Tour. Ein Gespräch über Angst, Veränderungen und Kampfgeist.
„Krone“: Katie, dein neues Album nennt sich „Love And Money“. Zwei Begriffe, die auf den ersten Schein eher nicht zusammenpassen, aber unerlässlich fürs Leben und Überleben sind. Würdest du die Liebe immer über das Geld stellen?
Katie Melua: Natürlich würde ich das. Wenn du dich geliebt fühlst und eine stabile Familie hast, dann ist alles andere unwichtig. Der Titeltrack dreht sich um meine Familie und ich bin unendlich froh darüber, dass ich in sie hineingeboren wurde. Wenn du genug Liebe verspürst, eröffnen sich dir Optionen, auch Geld daraus zu machen. Man hat eine gewisse Stabilität, von der aus man das andere Ziel mit mehr Ruhe verfolgen kann. Ich finde die beiden Begriffe gar nicht so widersprüchlich. Mir ist es wichtig, in meinen Songs offen über alle Themen sprechen zu können, die mich interessieren. Meine Familie und ich sind vor vielen Jahren von Georgien nach Großbritannien gezogen und der Unterschied war in allen Bereichen immens. Heute hat sich das zum Glück etwas verändert und Georgien ist nicht mehr ganz so verarmt wie früher. Wann immer man umzieht, lässt man Verwandte zu Hause zurück. Auch das war ein wichtiges Thema für mich.
Bist du noch dankbarer für deine Familie und dir nahestehende Menschen, weil du mit ihnen die Lockdowns und die Pandemie überstehen konntest und nicht so einsam warst, wie viele andere?
Natürlich. Die Pandemie hat sehr viel in meinem Leben verändert. Ich war immer ein Familienmädchen, habe aber auch meine Freiheiten, die Touren und die Arbeit geschätzt. In der Pandemie musste ich, wie alle anderen auch, sehr stark bremsen. „Album No. 8“ war von meiner Scheidung und der damit einhergehenden Traurigkeit geprägt, die sich über mein Leben gelegt hat. Ich war 36 und als die Pandemie losging, war ich so gut wie geschieden. Gleichzeitig wollte ich aber Mutter werden und machte mir Sorgen, ob die Monogamie überhaupt etwas für mich wäre. Ich habe mich auf eine dieser Webseiten registriert, um einen Samenspender zu finden, weil der Druck immer größer wurde. Die Pandemie machte mir aber klar, dass ich einen Seelenpartner und ein Gegenüber möchte. Jemanden, mit dem ich das Leben teilen kann. In der Pandemie habe ich mit meiner Familie zusammengelebt und das klappte großartig.
Ihr habt euch alle sicher auf eine neue Art und Weise kennengelernt?
Absolut. In den ersten drei Wochen haben wir unglaublich stark auf uns geachtet und hinterfragt, ob es uns wohl gut geht. Als der erste Schock vorbei war, hatten wir auch mal genug voneinander, aber es ging ja allen ziemlich gleich. (lacht)
Wenn man als Frau Kinder bekommen möchte, unterliegt man einem großen biologischen Druck, den man nicht einfach so beiseiteschieben kann …
Ich habe mir diese Agentur-Optionen wirklich überlegt, aber sie sagten mir dann doch nicht so zu. Im Jänner 2020 war ich bereit, wieder auszugehen und Männer zu daten. Ich habe mir vier schöne Kleider gekauft, aber dann kam die Pandemie, also war das aus dem Fenster geschmissenes Geld. (lacht) Im Sommer 2020 hat mich eine sehr gute Freundin mit einem Mann namens Olli verknüpft. Wir waren auf einem Date und alles hat gut funktioniert. Normalerweise sind solche Infos privat, aber sie haben auch auf dem Album Einzug gefunden. Die Pandemie hat mir die Augen geöffnet und mir gezeigt, was mir im Leben wichtig ist und was nicht. Ich wollte ganz frei und offen darüber schreiben können und habe das auch getan. „Love And Money“ ist mein Weg, mein Privat- und mein Berufsleben zusammenzufügen. Ich bin als Mutter meines kleinen Sohnes viel daheim und arbeite viel von Zuhause aus. Ich habe keine klassische Work-Life-Balance, es ist alles vermischt. Musik und Kunst fließen ins persönliche Leben ineinander. Auch das spiegelt das Album wider.
Ich stelle mir das nicht so einfach vor, zwischen Lockdowns als eine Berühmtheit, die im Rampenlicht steht und den Druck des Kinderkriegens verspürt, auf ein Date zu gehen und dem Gegenüber gleich zu vertrauen …
Das könnte natürlich schwierig sein, aber wenn man nur so denkt, dann sperrt man sich komplett weg. Ich weiß, wie es ist, wenn man einen mentalen Zusammenbruch hat und weiß auch, wie man aus dieser Spirale wieder rauskommt. Olli war ein guter Freund einer Freundin und kein Fremder. Er war außerdem kein großer Fan meiner Musik, auch wenn er sie ganz gerne hat. (lacht) Man muss die Angst einfach mal vorbeiziehen lassen, weil man sich sonst komplett gegen das Leben sperrt. Früher einmal hatten Leute mit einem guten Reisepass Angst, jemanden zu daten, der mit seinem vielleicht nicht so leicht wohin kommt. Das sind zwar nachvollziehbare, aber furchtbare Gedankengänge.
Wenn die Musik deine Passion ist, dann gab es aber ohnehin nie so wirklich eine Work-Life-Balance …
Nein, das ist wahr. Ich war so lange besessen von meinem Job, dass ich lange nicht wusste, ob ich überhaupt Mutter werden möchte. Ich fragte mich, ob ich jemals so eine gute Mutter sein kann, wie ich eine Musikerin bin. Diese Ängste hört man im ersten Song des Albums „Golden Record“. Aber jetzt bin ich Mutter und weiß, dass sich alles locker ausgeht und verbinden lässt. Natürlich ist es ermüdend und auslaugend. Letzte Nacht musste ich meinen Sohn dreimal füttern und das war schon eine gute Nacht. Aber das muss man aushalten. (lacht)
Du gehst mit deinem erst wenige Monate alten Sohn ja bald auf große Tour. Auch eine immense Herausforderung.
In Großbritannien gibt es aber ein System, das meinen Partner freistellt. Wenn ich also auf Tour bin und arbeite, ist Olli mit dabei und kann wie eine Nanny auf Sandro aufpassen. Wir sind in den großen Städten Europas unterwegs, nur leider nicht in Wien. Natürlich müssen wir viel probieren und im Vorhinein herausfinden, in welchen Betten er schläft und wie wir ihn angenehm transportieren. Über das Essen müssen wir uns keine Gedanken machen, weil er noch die Brust bekommt. Wir nützen auch wiederverwendbare und auswaschbare Windeln, weil mir das Umweltbewusstsein wichtig ist. All diese Dinge müssen im Vorfeld gut durchdacht und geplant werden.
Hast du aufgrund der Geburt von Sandro mal daran gedacht, die Albumveröffentlichung oder die Tour zu verschieben?
Ich habe im Sommer 2022 eine kleine Tour durch Deutschland gemacht, als ich schwanger war. Das Album habe ich in Amerika eingespielt und als wir damit begannen, war ich schon leicht schwanger. Ich war also früh gewohnt, mit der Schwangerschaft zu arbeiten, habe dann das Album aber daheim in den Real World Studios in Großbritannien fertiggestellt. Meine Schwangerschaft war zum Glück einfach und unkompliziert, was einiges stark erleichtert hat. Sandro kam im November auf die Welt und da war mir bewusst, dass ich ein paar Monate mit ihm habe, bevor wir auf Tour gehen. Es hat sich alles gut gefügt und wir haben die Dinge gut um ihn herum geplant.
Man muss natürlich die Kraft dazu haben, all das so zu arrangieren und durchzuziehen. Das wäre wahrscheinlich nicht für alle Mütter so zu lösen.
Das stimmt natürlich und ich habe Glück, dass ich eine tolle Plattenfirma und ein fantastisches Management habe, die das total verstehen. Ich gebe nur wenige Interviews und bleibe dabei immer daheim. Es fühlt sich alles gut und natürlich an.
So wie du die Dinge beruflich und privat in die Hand nimmst oder nehmen kannst, dienst du vielleicht auch als Vorbild für andere Mütter, die ihr Leben gerne so managen möchten?
Ob ich ein Vorbild bin, weiß ich nicht. Ich versuche alles so zu planen, dass es für alle angenehm ist. Ich habe es aber auch leicht, weil meine Familie bei mir wohnt und mich mein Partner immer unterstützen kann. Dieses Glück haben nicht alle. Ich hoffe für alle, dass sie Lösungen finden und auch die Regierungen sind gefordert, Frauen beim Aufziehen der Kinder und bei ihren Jobs zu unterstützen. Unsere Kinder sind die Zukunft und das sollte vom Staat anerkannt werden. Frauen müssen sich gegenseitig unterstützen und als Mutter weiß ich, wie wichtig es ist, gute Freundinnen zu haben und Erfahrungen zu teilen.
Worauf spielst du im ersten Song „Golden Record“ genau an?
Es ging in erster Linie um meine Arbeitssucht. Alben aufzunehmen und auf eine Bühne zu gehen, wo viele Menschen deinen Namen schreien, ist einerseits eine Passion, andererseits auch ein Egotrip. Viele Jahre lang hat mich das sehr glücklich gemacht, aber viele Freundinnen haben andere Wege eingeschlagen. Die älteste Tochter meiner besten Freundin in Georgien ist heute bereits 18. Als ich in dem Alter war, entstand mein Debütalbum „Call Off The Search“ - das bringt einen natürlich zum Nachdenken. Als ich „Golden Record“ schrieb, war ich noch gar nicht schwanger und realisierte, dass ich glücklich mit meinem Leben sein sollte. Was ich mache und wo ich stehe, anstatt immer nach mehr zu streben. Ich hatte immer Angst, nicht gut genug als Musikerin, Mutter oder beides zu sein. Als Mutter hast du eine unglaubliche Verantwortung und das kann dir sehr viel Angst machen, aber diese internen Dynamiken in mir wollte ich unbedingt festhalten.
Dein Job hat auch eine besondere Zeitdynamik für ein Familienleben. Man ist zwar in längeren Blöcken von der Familie getrennt, wenn aber daheim ist, hat man mehr Zeit für sie als Menschen in normalen Jobs. Was war denn der entscheidende Moment, in dem du für ein Kind bereit warst?
Nach dem achten Album habe ich realisiert, dass ich mich längst bewiesen hatte. Ich hatte große Erfolge und habe immens viel erreicht, bin nun einfach einmal glücklich mit der Lage, wie sie ist. Das war eine wichtige Einsicht. Dann habe ich meinen Partner getroffen und war mit mir selbst total im Reinen. Das hatte ich davor noch nie. Ich wollte all meine Erfahrungen und Erlebnisse mit der nächsten Generation teilen. Sandro ist noch keine fünf Monate alt, aber so male ich mir das in meiner Fantasie gerade aus. Vielleicht wird er mal ein toller Wissenschaftler, der für das Klima kämpft. Ich will ihn einfach nach den richtigen Werten zu einem guten Bürger dieser Gesellschaft erziehen. Das visualisiere ich mir und gleichzeitig rücke ich immer stärker aus dem Hamsterrad der Musikindustrie raus, ohne den Job dabei aufzugeben.
Viele Menschen wollen keine Kinder mehr kriegen, weil sie die Welt schon als verloren achten. Du gehst bewusst in die Gegenoffensive.
Ich sorge mich sehr um die Umwelt, bin aber eine ewige Optimistin. Man muss optimistisch sein, weil man nur so weiterkommt und eine Progression entfachen kann. Füllen wir die Welt doch mit guten Menschen und machen sie zu einem besseren Ort. Der Song „Reefs“ behandelt die aktuelle Lage der Welt und gleichzeitig das Thema, wie schwierig es heute ist, sich auf ein Thema zu fokussieren, wenn es so viele gibt, die einer bestimmten Aufmerksamkeit bedürfen. Zuerst war die Umwelt das große Thema, dann kam die Pandemie und dann der Ukraine-Krieg. Es ist für uns Menschen extrem schwierig, das alles überhaupt noch aufzunehmen und richtig zu verarbeiten.
Die Realität ist so zerfahren und brutal, dass Kids heute bewusst in ihre TikTok-Videos flüchten und einfach alles ausblenden. Sie wollen Momente des Friedens und der Freiheit genießen können.
Es ist auch wirklich hart. Kunst kann den Menschen als Rückzugs- und Ruheort dienen. Egal, ob auf Vinyl oder auf TikTok. Sie kann deine Seele erleuchten, dein Herz umschmeicheln und dich inspirieren. Ich hoffe inständig, dass auch meine Musik die Menschen dabei unterstützt, ihren Wegen zu folgen und Dinge von sich aus zu verändern.
Ist es dir als junge Mutter heute wichtiger, den Hörern eine Botschaft zu vermitteln, als es vor 15 oder 20 Jahren der Fall war?
Ich bin mir meines Privilegs viel mehr bewusst als früher. Ich war ein Teenager, als ich im Musikbusiness startete und hatte anfangs noch kein Publikum, will Dinge und Themen gar nicht in Botschaften reduzieren. Meine Musik bildet ab, wie ich das Leben sehe. Mein Bruder sagt immer, ich wäre die größte Optimistin der Welt und weiß mein Leben und mein Glück sehr zu schätzen. Wenn ich nach draußen gehe und durch die wunderschöne Natur spaziere, dann will ich diese Emotionen sofort in Songs verpacken. Dieses Blaue-Himmel-Denken soll den Menschen Freude und Frieden vermitteln und sie bestenfalls dazu animieren, Dinge zum Besseren zu verändern. Aber das mache ich nie zu direkt, denn das will niemand so vorgesetzt bekommen.
Wichtig ist auch, Positivität nicht mit Naivität zu verwechseln. Aber das richtige Mindset kann Dinge tatsächlich eklatant verändern und verbessern.
Exakt. Ich wurde oft naiv genannt, aber man kann auch optimistisch und realistisch sein. Der Zirkel der Medien und des Lebens fokussiert sich immer so stark auf das Schlechte dieser Welt. Das muss nicht sein, man kann das Pferd auch von der anderen Seite aufzäumen. Das ist mein Ziel.
Du hast in einem Interview gesagt, dass du mittlerweile dein unrealistisches Bild von einer ewigen romantischen Liebe, die du in frühen Alben besungen hast, bereust. Hat dich da die Scheidung auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt?
Jedes Album ist ein Spiegelbild der jeweiligen Lage deines Lebens. 2019 war ich der Liebe gegenüber sehr negativ eingestellt, aber als ich Olli traf, haben sich die Dinge nachhaltig verändert. Wenn ich ein Album schreibe, dann sehe ich durch meine ganz persönliche Form des Wissens und der Erfahrung. In meinen jungen Tagen habe ich nur verrückte Lovesongs geschrieben und als ich mich scheiden ließ, machten mich diese Songs wütend und das wollte ich festhalten. Man lernt jedes Jahr neu dazu und verändert sich. So ist das Leben.
Fällt es dir automatisch schwer, dich mit deinen älteren Songs zu identifizieren?
Da hast du nicht Unrecht, manchmal ist es wirklich hart. Ich habe zum Beispiel „Airtime“ für die kommende Tour von der Setlist gestrichen, weil er am deutlichsten gegen die Liebe steht und ich nicht in dem Zustand bin, diesen Song zu singen. Professionell zu sein bedeutet aber auch, Songs ins Leben zurückzuholen, die einem gerade nicht so gut zu Gesicht stehen. Ja, sie tun weh und bringen mich zurück in eine Phase, die nicht angenehm war. Aber deshalb muss ich trotzdem damit umgehen können. Es ist nicht immer leicht.
Was würdest du denn der 18-jährigen Katie Melua mit den Erfahrungen und dem Wissensstand von heute gerne mit auf den Weg geben?
Umgebe dich mit den richtigen Menschen, denen du vertrauen kannst. Rückblickend war ich da nicht so schlecht unterwegs und habe oft die richtigen Entscheidungen getroffen. Wenn etwas danebengeht, dann mach einfach weiter und ärgere oder sorge dich nicht zu lange. Es bringt nichts.
Über die letzten 20 Jahre hat sich das gesamte Musikgeschäft radikal verändert und mehrfach gedreht. Bist du mit diesen Neuerungen und Adaptierungen immer klargekommen und fühlst du dich noch wohl?
Als ich jung war, hat mich Mike Batt produziert und er hat mich sehr schützend in seinem System gehalten. Ich musste also nicht mit dutzenden Produzenten oder Songwritern arbeiten, wie es heute für viele junge Künstlerinnen ganz normal geworden ist. Es gab keine alten Männer, die mir irgendwie etwas einreden wollten. Seit gut zehn Jahren habe ich mein Team gefunden und das ist okay. Natürlich gibt es das berühmte „Haifischbecken“, aber ich kenne das eher nur vom Hörensagen. Ich fokussiere mich seit jeher auf das Songwriting und jetzt vermehrt auf meine Familie. Vielleicht ist das etwas naiv, aber so gehe ich seit jeher mit der Industrie um.
So sehr du dich auf Kunst und Kreativität konzentrierst, stehen immer Leute dahinter, die auf die Verkaufszahlen und ausverkauften Hallen schauen. Der ökonomische Druck lässt sich also nicht einfach so beiseiteschieben.
Das ist nicht immer leicht, aber gehört dazu. Als ich nach „Ketevan“ 2013 meine alte Plattenfirma verließ, sorgten sich alle darum, dass wir keine guten Streamingzahlen schaffen würden. Mir wurde eingeredet, ich wäre keine Streamingkünstlerin, aber die Zahlen stiegen und steigen noch immer, also ist alles gut.
Wir haben vorher kurz von den „Real World Studios“ gesprochen, in denen du in London aufgenommen hast. Sie gehören Genesis-Legende Peter Gabriel. Hast du ihn mal getroffen oder war er wichtig für deine musikalische Laufbahn?
Vor ein paar Jahren starb ein großartiger irischer Moderator namens Terry Wogan und ich wurde gefragt, ob ich auf seinem Begräbnis singen könnte. Dort habe ich Peter Gabriel getroffen. Damals arbeitete ich gerade mit dem georgischen Chor und er fand das Projekt großartig. Ich liebe seine Musik und sein Studio ist unglaublich. Es ist mitten im Herz der Natur und man fühlt sich sehr wohl. Leider habe ich ihn dieses Mal aber nicht gesehen.
Macht es für dich einen Unterschied, wo und wann du deine Songs schreibst? Hat das direkte Umfeld Auswirkungen auf deine Kunst?
Das macht sehr viel aus. Bevor Sandro auf die Welt kam, habe ich mir ein Büro eingerichtet. Ich mag den Gedanken, dass ich einen Platz habe, wo ich von 10 bis 17 Uhr arbeite und mich voll und ganz dem Schreiben oder der Kunst hingeben kann. Als ich vor einigen Jahren am Album „In Winter“ schrieb, habe ich viel in Georgien geschrieben und das hat das Album stark geprägt.
Stichwort Georgien - dein Heimatland wurde von Putin schon 2008 attackiert und es ist offen, wie es dort weitergeht. Hält dein grenzenloser Optimismus auch bei diesem schwierigen Thema an?
Das ist natürlich sehr schwierig. Ein Onkel von mir lebt in Kiev. Er hat einen 13-jährigen Sohn und sie wollen die Stadt nicht verlassen. Dieser Krieg ist so extrem schockierend, das ist nicht in Worte zu fassen. Niemand hat das so erwartet. Russland und Georgien teilen sich ihre Geschichte und derzeit flüchten extrem viele Russen nach Georgien, weil sie kein Teil dieses sinnlosen Angriffskrieges sein wollen. Was der Ukraine passiert, ist der absolute Horror und eine Schande. Ich bete dafür, dass es endlich endet.
Weltpolitisches hält in deiner Musik aber keinen Einzug. Die ist dann doch eher für deine Gefühlswelt und die zwischenmenschlichen Emotionen bestimmt?
Als Kreativer solltest du über die Dinge schreiben, die dir geläufig sind und wo du dich auskennst. Im Song „Reefs“ benenne ich den Ukraine-Krieg. Ich bin alles andere als eine Expertin zu diesem Thema, aber die schmalen Fenster, durch die ich sehe, sind jene, die die Umwelt zerstören und nachhaltig ruiniert haben. Ich kenne einen Singer/Songwriter, der dezidiert über das Thema singt und Lieder schreibt, sich aber auch sehr stark damit befasst hat. Ich bin der Meinung, dass man seine Texte immer nur über Themen verfassen sollte, von denen man eine gewisse Ahnung hat.
Ist es dir wichtig, zeitlose Texte zu schreiben? Nicht allzu tagesaktuell auf Themen einzugehen?
Die Zeitlosigkeit der Texte ist eine der wichtigsten Marksteine für mich und meine Arbeit. Der andere Stein ist, ob ein Song rein akustisch wirklich gut klingt. Auf „Love And Money“ wollte ich weniger auf die Zeitlosigkeit schauen, sondern mehr auf Themen, die mich wirklich beschäftigten: der Krieg in der Ukraine und die Umweltkatastrophen, die zunehmen. Wie es ist, sich wieder zu verlieben und eine Mutter werden zu wollen. Ich wollte vor allem ein glückliches Album machen und das geht nur, wenn man Glück im Leben spürt und es für andere freilässt.
Songs wie „First Date“ oder „Those Sweet Days“ scheinen sehr nostalgisch angehaucht zu sein. Blickst du gerne zurück, wenn dir gerade danach ist?
Vor allem die Alben von Nick Drake, aber auch das großartige Werk „Elis & Tom“ von Antonio Carlos Jobim und Elis Regina haben mich sehr stark zu meinem Werk inspiriert. Ich wollte das Positive des Lebens festhalten.
Du hast die ersten Songs aber schon vor deiner Schwangerschaft geschrieben?
Die meisten sogar. Ein paar habe ich während der Schwangerschaft fertiggemacht, aber im Grunde stand alles vorher. Ich habe in der Schwangerschaft eine besondere Form des Friedens und der Ruhe in meinem Leben gefunden, sodass ich mich mit meinen Ängsten konfrontieren konnte und „Golden Record“ schrieb. Die Schwangerschaft hat meine ganze Psyche verändert, aber nicht unbedingt zum Schlechteren. Ich habe mich natürlich währenddessen auch gesorgt und hatte Angst, aber nach der berühmten Zwölf-Wochen-Marke fühlte ich mich als Frau und werdende Mutter total sicher und entspannt. Das war ein sehr großer Moment für mich. In der Musikindustrie gibt es von Adele und Lana Del Rey über Beyoncé und Rihanna bis hin zu Taylor Swift so viele tolle Frauen und Vorbilder. Wir sind sehr stark vertreten und das ist schön.
Wirst du nach dieser Tour eigentlich in diesem Tempo weitermachen, oder dir dann mit dem kleinen Sandro doch wieder mehr Pause und Zeit zu Hause gönnen?
Bis er mit der Schule anfangen muss, kann ich sehr gut mit ihm touren - dann wird es doch deutlich schwieriger. Das Gute ist aber, dass er ja Sommerferien hat und man dann zumindest Festivals spielen kann. Wir werden sehen, ich habe das noch nicht so weit vorgeplant. Ich plane derzeit nur von Tour zu Tour und nicht weiter. Das würde uns alle überfordern.
Du hast dich als Musikerin schon in so vielen Bereichen versucht. Wird es mit der Zeit schwieriger, dich selbst zu überraschen?
Interessante Frage. Sobald ich mich hinsetze und schreibe, ist alles okay. Seit ich eine Mutter bin, ist die Musik an sich aber nicht mehr so relevant für mich. Früher war sie ganz oben in meiner Prioritätenliste, mittlerweile hat sich das deutlich gedreht. Ein Album zu machen, war alles, was mir wichtig war. Sich selbst zu motivieren, sich jeden Tag hinzusetzen, das ist schwierig. Man muss sich aber immer die Neugierde bewahren. Dann kann daraus auch immer etwas ganz Spezielles entstehen.
Das Leben beinhaltet bei dir jetzt definitiv mehr Planung und Vorbereitung, was gerade für Kreative nicht immer einfach ist …
Ich weiß auch noch nicht, wie ich das alles schaffe, aber ich bin mir sicher, dass es okay wird. Als ich so vier oder fünf Jahre alt war, wollte ich unbedingt von meinen Eltern weg. Auch wenn ich sie liebe und sie großartig sind, man braucht schon früh Freiräume. So sehe ich das auch bei Sandro - man muss irgendwann nicht mehr rund um die Uhr an ihm kleben.
Nachdem du gerne hättest, dass dein Sohn einmal die Welt verändern wird - ist es deine größte Angst, dass er in deine Fußstapfen steigt und Künstler wird?
(lacht) Ich habe keine Angst davor, so schlimm ist es nicht. Vielmehr fürchte ich mich, wie man als Künstler in Zukunft leben kann. In Großbritannien stoppen sie im Schulwesen zunehmend die zwischenmenschlichen Fächer. Mathematik, Physik und Chemie werden immer wichtiger, aber alles, was kreativ ist, wird stark zurückgefahren. Entscheidest du dich aktiv dafür, Künstler zu werden, wird das Leben damit noch schwieriger als es jetzt ist ...
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