In erst drei Jahren Karriere hat die junge Britin Mimi Webb fast schon eine Milliarde Streaming-Aufrufe gesammelt - nun legt die 22-Jährige mit „Amelia“ ihr sehr persönliches Debütalbum vor, das auf Langstrecke aber nicht die hochgesteckten Erwartungen erfüllen kann. Am 16. März kann man sich im Wiener Flex selbst vom Top-Talent überzeugen.
Die Geschichte ist eigentlich schon tausend Mal erzählt und trotzdem noch immer faszinierend. Junges Mädchen mit toller Stimme und viel Talent kommt in einem malerischen englischen Städtchen (in diesem Fall: Canterbury) zur Welt, lernt Gitarre- und Klavierspielen und schreibt schon mit 13 die ersten Songs in ihr privates Tagebuch. Mit 15 erkennt der Klavierlehrer als erstes, dass da mehr drin sein könnte als ein schönes Hobby, mit 16 kappt sie die elterliche Nabelschnur und beschließt, auf das Brighton Music College zu gehen. Doch auch diese Station ist nur als Durchlauf gedacht. Ein findiger Manager düst mit der mittlerweile 18-Jährigen nach Los Angeles, wo sie nur zwei Monate später einen Vertrag beim Branchenriesen Epic Records unterschreibt. Der Rohdiamant wird kurz geschliffen und veröffentlicht im April 2020 die erste Single namens „Before I Go“. Nicht nur der Song sitzt, auch die US-amerikanische Influencerin Charli D’Amelio ist begeistert, teilt ihn auf TikTok und bringt der Urheberin in kürzester Zeit 85 Millionen Streams ein - Weltkarriere gestartet.
Internet als Zünder
Vom Aschenputtel zum Weltstar ist zwar nicht exakt die Story der hier gemeinten Mimi Webb, doch so weit entfernt ist man von der Mär um den „American Dream“ schließlich auch nicht. Trotz der Covid-Pandemie folgten zahlreiche Chart-Erfolge, eine Support-Tour mit der ebenfalls durchstartenden Tate McRae, die EP „Seven Shades Of Heartbreak“ und im Juni gar ein Auftritt zum Platin-Jubiläum der damals noch aktiven Queen in London. „Die letzten Jahre waren ziemlich verrückt“, erzählt sie uns im Interview, „plötzlich explodierte um mich herum alles, weil meine Songs im Internet völlig durch die Decke gingen. Das war mein großes Glück, denn zu einem großen Teil der Pandemie war es nur dank des Internets möglich, überhaupt zu den Leuten durchzudringen. Trotz all der negativen Beigeschmäcker ist das ein gutes Beispiel dafür, wie gut und hilfreich soziale Medien sein können.“
Zur Musik inspiriert haben Webb unterschiedlichste Sängerinnen, die aber allesamt mit einer großartigen Stimme und einem besonders ausgeprägten Charakter ausgestattet sind. Adele, Amy Winehouse, Aretha Franklin oder Ella Fitzgerald zählen zu ihren Heldinnen. Ganz besonders angetan hat es ihr aber Pop-Superstar Dua Lipa, die aufgrund ihres zwangloseren Mainstream-Zugangs zur Musik auch besser zu Webbs eigener Auffassung von Populärmusik passt. „All diese Frauen sind unglaublich stark und selbstständig. Sie haben sich ihren Weg gebahnt und mit viel Durchsetzungsvermögen ihr eigenes Königreich erschaffen. Teilweise in einer Zeit, in der das noch schwerer war als heute und man förmlich unterdrückt wurde. Das hat als Botschaft eine unheimliche Kraft auf mich als junge Künstlerin. Wir Damen im Musikgeschäft sollten alle den Antrieb haben, so großartig wie diese Frauen zu sein.“
Zwei Persönlichkeiten
Ihr brandneues Debütalbum „Amelia“ steht wenig geheimnisvoll für ihren voll ausgeschriebenen Vornamen und soll Wesen, Persönlichkeit und Leben der mittlerweile 22-jährigen Protagonistin nach außen zugänglich machen. Gut drei Jahre lang hat sie mit diversen Produzenten und Songwriting-Partnern am Werk gefeilt und schon im Vorfeld darum gebeten, dass die Hörer ihre zur Schau gestellte Verletzlichkeit ohne Vorurteile akzeptieren mögen, denn sie wolle damit die beste Version von sich selbst präsentieren. Im Prinzip soll „Amelia“ ihre zwei Seiten widerspiegeln. Einerseits das unschuldige Mädchen vom britischen Land, das gerne auf der Couch bei Netflix chillt und sich mit Familie, Freundinnen und Hunden umgibt. Andererseits der angehende Pop-Star, der sich gerne mitten auf den größten Bühnen der Welt bewegt und damit die Welt erobern möchte.
Mit der geschickt austarierten Mischung aus nach vorne preschenden Dance-Pop-Tracks und stimmgewaltigen Balladen (herausragend etwa das an Adele erinnernde Piano-Stück „Last Train To London“) tritt sie jedenfalls nicht in die Fußstapfen von Dua Lipa oder Ava Max, die ihre Kunst viel stärker im Tempo und der Effekthascherei verortet sehen. Webb gibt ihren Songs mehr Raum zum Atmen, lässt Platz für nötige Leerstellen und positioniert sich damit schon jetzt in einer Ecke, die sich bewusst von jedem Teen-Pop-Vorwurf freistrampelt. Acht der zwölf Songs kann man als Breakup-Songs bezeichnen, aber den großen Mut zur persönlichen Gefühlsentfaltung findet man dann doch nicht, dafür sind die Texte in Songs wie „Both Of Us“ oder „Remind You“ zu allgemein geraten. „Amelia“ hat viele tolle Ansätze, aber allzu oft werden Songstrukturen und Textaufbauten nach erwartbarer Schichtung gefertigt, was den angepeilten großen Wurf mit dem Debüt verhindert.
Irgendwo muss man anfangen
„Ich möchte mich in meinen Songs auf jeden Fall immer so zeigen, wie ich wirklich bin. Meine künstlerische Persönlichkeit soll im Vordergrund stehen, aber man kann auch die Mimi Webb dahinter kennenlernen“, diktiert sie uns, „wir haben bewusst auf große Songs gesetzt, weil ich das Gefühl hatte, dass sie mich am besten zeigen.“ Webb folgt auf „Amelia“ dem Weg ihrer Debüt-EP und durchschreitet ein ausladend ausgewalztes Tal der Emotionen, das von frischer Liebe über gebrochene Herzen bis hin zur Selbstfindung mit hoffnungsvollem Ausblick reicht. Wie schon erwähnt: alles bereits dagewesen, nichts neu oder revolutionär. Trotz diverser Schwächen und Längen bekommt man aber einen wunderbaren Einblick in die Welt von „UKs Next Superstar“. Der Weg dorthin ist gerade erst frisch beschritten, aber irgendwo muss man ja mal anfangen.
Live im Wiener Flex
Im Zuge ihrer „Amelia“-Tour ist Mimi Webb morgen, am 16. März, live im Wiener Flex zu sehen. Mit an Bord hat sie Henry Moodie. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten, um sich zum wahrscheinlich letzten Mal in so kleinem Rahmen von der Kunst der 22-Jährigen zu überzeugen.
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