1971 gab es in ganz Großbritannien gesellschaftliche und popkulturelle Umbrüche. Während T. Rex mit Glam Rock die Charts eroberten, versuchte sich David Bowie gerade neu zu finden. Davon erzählt die mit fiktionalen Elementen aufgefettete Rückschau „David Bowie: Odyssee 71“ von Musikjournalist Simon Goddard.
Simon Goddard ist ein in Wales geborener Schotte, der in London als freier Musikjournalist arbeitet und durch seine Aktivität in den 90er-Jahren sehr nahe an die großen Stars des Pop- und Rockbusiness rankam. Der ambitionierte Fan und Schriftsteller wagte sich fortan auch an Bücher und recherchierte im Laufe der Jahre zu unterschiedlichen Größen wie Elvis Presley, The Smiths und den Rolling Stones.
Ein ganz besonderes Projekt brachte er in der Pandemie auf Schiene, denn als sich die Welt nach außen hin abschloss, verfiel Goddard nicht in planlose Trübseligkeit, sondern startete mit seiner David-Bowie-Serie. Unter dem Namen „Odyssee“ beleuchtet er Bowies wichtigste Jahre 1970 bis 1980 in je einem Band, wobei er Reales mit Fiktionalem vermischt und Leben und Karriere des schillernden Protagonisten immer mit den kulturellen Veränderungen des jeweiligen Jahres in Kontext setzt.
Proteste und Demonstrationen
Das hier vorliegende „Odyssee 71“ ist folgerichtig das bislang zweite Werk, das sich natürlich nur dann wirklich erschließt, wenn man Bowies Vita aus dem Effeff zitieren kann, oder eben auch schon Band eins im Regal stehen hat. Dort wurden bereits Manager Tony Defries, Produzent Tony Visconti, seine Spiders From Mars oder Wunderwuzzi Mick Ronson vorgestellt. 1971 ist Bowie noch immer weit vom Weltstar-Status entfernt, durchläuft aber eine markante Wandlung, die sich in ganz England breitmachen soll. In fast schon live-artig niedergeschriebenen Szenarien lässt uns Goddard teilhaben an den Umbrüchen in der Gesellschaft, die sich darin niederschlagen, dass Feminismus und Gleichberechtigung in Form von Protesten und Demonstrationen gegen die herrschende Polizeigewalt stellen und damit für einen Aufbruch sorgen, der sich durch konservative Gegenbewegungen nur leicht verzögern, aber nicht mehr aufhalten lässt.
In dieser allumfassenden Spannungssituation wandelt sich Bowies alter Freund Marc Bolan mit seiner Band T. Rex zunehmend gen Glam Rock und erobert damit die Single-Charts, während Bowie noch auf der Stelle tritt. Der Brite ist gebannt von den Veränderungen und zeigt sich am Cover von „The Man Who Sold The World“ in Frauenkleidern. Das wiederum geht dem berühmten „Melody Maker“ zu weit und er weigert sich vehement, das Interview mit Fotos in dieser Aufmachung zu begleiten. Auch der Produzent der populären TV-Show „Top Of The Pops“ ist völlig von der Rolle und holt das Album noch nicht einmal aus der Schutzhülle. Während sich der Großteil der Gesellschaft nicht an diese neue Form der Offenheit gewöhnen kann, genießen Bowie und seine Frau Angela Barnett die dazugewonnenen Freiheiten, feiern Partys mit Kunst- und Kulturmenschen und erwarten in großer Liebe ihr erstes gemeinsames Kind.
Erste Konturen
Während Bowie in England bekannt ist und auf der Stelle tritt, schickt ihn die Plattenfirma auf eine knochenharte Promotour in die USA, wo man weder weiß, wem man hier gegenübersitzt, noch wie man dessen Namen richtig ausspricht. Bowie kommt in Kontakt mit seinen großen Idolen Lou Reed, Iggy Pop und Andy Warhol und kreiert in seinem Kopf eine später extrem wegweisende Figur namens „Ziggy“, die in diesem Jahr noch nicht völlig ausgereift erste Konturen annimmt. Goddard zieht im Direktvergleich immer wieder Bolan oder den aus den USA kommenden Gruselpapst Alice Cooper heran, die zu dieser Zeit bereits auf massive Erfolge verweisen können und mehr oder weniger prägend auf Bowies nahe Zukunft einwirken. Der eine direkter, der andere wiederum eher als Beispiel dafür, wie David Robert Jones seine musikalische und optische Zukunft definitiv nicht gesehen hat.
Bowie sucht in hippen Großstadtschwulenclubs genauso nach Inspiration für sein musikalisches Fortkommen wie beim dreckigen Glastonbury draußen am Land und kreiert aus der Gemengelage an Eindrücken schlussendlich das Ende 1971 erscheinende „Hunky Dory“, das einen wichtigen Vorgeschmack darauf geben wird, welche Reise das alienartige Chamäleon als Nächstes antreten würde. „Odyssee 71“ ist eine prinzipiell interessante Mischung aus Dokumentation und Roman, scheitert aber zu oft an unnötigen Schachtelsätzen, wortreichen Verkomplizierungen und abrupten Szenenwechseln. Rein technisch liegt das vielleicht an der hier vorliegenden deutschen Übersetzung. Der knapp 200-seitigen Reise in eine der fruchtbarsten Ären der Pop-Historie wird damit leider nicht ausreichend Genüge getan, was die grandiose Idee des Werkes und der Serie Unrecht tut. Bowie-Fanaten lassen sich davon aber sowieso nicht abschrecken.
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