Mit unglaublicher Stimmgewalt und Mut zur Veränderung zeigte sich Birdy Dienstagabend rund 2500 Fans im Wiener Gasometer. Zwölf Jahre nach ihrem Karriere-Kickstart mäandert die heute 26-Jährige zwischen Folk und Nostalgie-Tanzfläche und ist dabei so authentisch und mit sich selbst im Reinen wie nie zuvor. Das nächste Studioalbum folgt bereits im Juli.
Plattenvertrag und erste Schritte im Rampenlicht mit 12. Mit 14 folgt durch das Bon-Iver-Cover „Skinny Love“ die Grätsche in die britischen Single-Charts und mit 15 erobert ihr aus unterschiedlichen Cover-Versionen bestehendes Debütalbum „Birdy“ die Chartspitze in verschiedenen Ländern. Dass Jasmine van den Bogearde, wie Birdy eigentlich heißt, nun mehr als eine Dekade später noch immer relevant und vor allem normal geblieben ist, ist Wunder und Glücksfall zugleich. Zu viele Geschichten und Anekdoten über in Drogen oder Alkohol abgeglittene Kinderstars kennen wir, die dann oft auch noch mit dem Vormund um die beträchtlichen Einnahmen kämpfen mussten. Hinter der Maschinerie Birdy standen jedoch immer Eltern, Großeltern, Verwandte und Freunde, die mit inbrünstiger Liebe dafür sorgten, dass ihr kleines Vögelchen nicht von den gnadenlosen Mühlen der Musikindustrie zerrieben wird.
Mit Beharrlichkeit und Konstanz
Mittlerweile ist die sympathische Britin 26 und trotzdem erst das dritte Mal auf einer österreichischen Bühne. Nach einem taghellen Auftritt beim Bumm-Bumm-Festival Frequency und einer würdigen Prozession im Wiener Konzerthaus, jubeln ihr an einem winterlich-kalten Aprildienstag rund 2500 Fans im Gasometer zu. Dass die Halle doch nicht restlos ausverkauft ist, verwundert, wird der Künstlerin aber nur recht sein. So sehr sie ihre Musik und die damit einhergehenden Erfolge zweifellos schätzt, so wichtig ist es offensichtlich auch, nicht in lichte Sphären abzudrehen, sondern die Karriere weiterhin so authentisch und leichtfüßig wie möglich voranzutreiben. Nach einer langen Covid- und Durchschnaufpause erschien ihr bislang letztes Werk „Young Heart“ im Frühjahr 2021 und erwies sich als astreines Folk-Album im Stile einer Joan Baez oder Joni Mitchell.
Von der inneren Selbstbetrachtung hat sie genug, auch die Pandemie und ihre Wirren haben ihr zu lange zugesetzt - in der Gegenwart ist Birdy auf Spaß gebürstet. Visuell und auditiv. Die neue Frisur, der Sport-Aerobic-Body und die neonflackernden Lichteffekte sind genauso auf 80er-Huldigung gedreht wie neue Songs des im Juli erscheinenden Albums „Portraits“. Von denen gibt es auf dieser Tour ganze fünf pro Abend und sie alle mäandern im Windschatten großer Kompositionen von Kate Bush. Das melancholisch-einnehmende „Raincatchers“, der hymnische Dancefloor-Kracher „Automatic“ oder das einnehmende „Heartbreaker“. „Auf dem kommenden Album gibt es nur mehr eine Ballade“, diktiert sie uns vorher im „Krone“-Gespräch. Diese heißt „Your Arms“, wird von Birdy ganz alleine auf dem Piano zelebriert und zeigt, dass sie zumindest im Livekorsett immer noch authentischer und echter wirkt, wenn sie die ruhige Verletzbarkeit über den Tanzstadl stellt.
Mit Flügeln ins Wohnzimmer
So flott und lebensbejahend vor allem die neueren Songs sind, mit Birdys überragendem Stimmvolumen und ihrer grazilen Gestalt verbindet man Begriffe wie Intimität, Seelenbruch oder sanfte Zugänglichkeit. Diese liefern eher ruhigere Songs wie das grandiose „Surrender“, das auch live überraschend gelungene Folk-Lehrstück „Young Heart“ und nicht zuletzt das mit einem Crescendo im Refrain ausgestattete Meisterwerk „Wings“. Ein Song, für den gut und gerne 90 Prozent der Popkünstlerinnen da draußen bereitwillig ihren linken Arm opfern würden. Auch die Power-Ballade „People Help The People“, im Original von Cherry Ghost, entfacht trotz der klinisch-kühlen Umgebung des Gasometers eine wärmende Wohligkeit, die den seelenlosen Industriekomplex für vier Minuten in ein kuschelweiches Wohnzimmer verwandelt.
Birdy sitzt die meiste Zeit, aber längst nicht nur mehr hinter dem Klavier. Bei „Voyager“ oder „Automatic“ schnallt sie sich die Gitarre um, beim flotten „Keeping Your Head Up“ etwa bewegt sie sich rhythmisch, aber nicht tanzend nur mit dem Mikrofon auf der Bühne. Die große Pop-Performerin und Entertainerin wird Birdy in diesem Leben nicht mehr, dafür ist sie in ihrem Naturell zu schüchtern und bescheiden. So wirken die Momente abseits ihrer Instrumente immer etwas verkrampft und zu sehr gewollt. Hat sie aber ein Klanggebilde als Schutzschild vor oder um sich stehen, entwickelt sie erst gänzlich ihre stimmlichen Superkräfte, die live genauso beeindruckend herausgebildet sind wie auf den famosen Vinyl-Aufnahmen. Die Cover-Versionen macht sie sich zumeist souverän zu eigen, was ein weiteres Qualitätsmerkmal ihrer Kunst darstellt.
Familie in der Musikindustrie
Im 90-minütigen Wien-Set beweist Birdy, dass sie in ihrer noch so jungen Karriere bereits viele musikalischen Haken geschlagen hat und sich nicht eingrenzen lassen will. Dass sie vor allem mit dem starken „Fire Within“ offenbar gar nicht mehr kann, beweist die Entscheidung, nur mehr einen Song („Wings“) davon zu spielen. Die erwachsene, gereifte Birdy changiert irgendwo zwischen dem naturbelassenen, einsamen Folk der jüngeren Vergangenheit und der ausgelassenen Disco-Liebhaberin der näheren Zukunft. Live fügen sich diese unterschiedlichen Kapitel noch nicht ganz so leichtfüßig zusammen, wie sie es gerne hätte. So ist etwa der nahtlose Übergang von „Silhouette“ auf das Kate-Bush-Cover „Running Up That Hill“ ein bisschen überambitioniert ausgefallen. Nach zwölf Jahren im Rampenlicht hat sich Birdy aber von den letzten Fesseln ihrer Kindheit befreit und holt sich die Ungezwungenheit ihres Tuns und Seins ins Erwachsenenleben hinein. Den treusorgenden Großeltern dankte sie mit einer Einladung nach Wien zum Konzert. So geht Familie in der Musikindustrie.
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