„Krone“-Interview

Ellie Goulding: Eine Welt mit Frieden und Freiheit

Musik
09.04.2023 09:00

Ein Album ohne große Inhalte, das Spaß macht und die Menschen aus den Fängen der harschen Realität holt - das wollte Englands Pop-Superstar mit „Higher Than Heaven“ erreichen. Mission gelungen, auch wenn es dieses Mal am nötigen Anspruch fehlt. Im Interview spricht sie mit uns über ihre Ängste, Erkenntnisse aus der Pandemie und wie die Geburt ihres Sohnes Arthur ihr Leben verändert hat.

(Bild: kmm)

„Krone“: Ellie, dein neues Album „Higher Than Heaven“ ist ein elektronisches Werk ganz im Stil der 80er, das unheimlich viel Spaß versprüht und bewusst nicht auf Tiefgang setzt. Ist das so als Botschaft gedacht?
Ellie Goulding:
 Es ist sehr optimistisch und fröhlich geraten und genau das sind die Begriffe, die ich momentan in meinem Leben haben möchte. Ich bin vor zwei Jahren Mutter meines Sohnes Arthur geworden, was mein Leben gewaltig verändert hat. Die Pandemie hat uns alle betroffen und nachhaltig verändert. „Higher Than Heaven“ ist die direkte Reaktion darauf. Die Texte haben keine großen Hintergründe und kann man absolut gar nichts in sie hineininterpretieren. Es ist ein geradliniges, ganz klares Pop-Album. Viele Leute sind damit nicht ganz glücklich, weil sie der Meinung sind, als Künstlerin muss ich ein sehr persönliches Album erschaffen. Ich weiß nicht, wann ich das gesagt oder jemals so gemeint habe? Es ist verdammt schwierig, Pop-Songs zu schreiben. Mit jedem Song, den du im Radio hörst, wurden 1000 andere gute Songs nicht dort aufgenommen. Ich habe seit meinem Karrierebeginn konstant Radiosongs geschrieben und weiß ganz gut, wie schwierig das ist. (lacht) Ich weiß, was ich an diesem Punkt in meinem Leben tue.

Du hast in einem Interview erwähnt, dass sich die Songs auf dem Album hauptsächlich darum drehen, wie man leidenschaftlich voller Liebe steckt - nicht nur in Beziehungen, sondern in unterschiedlichsten Bereichen des Lebens. Ist ein Song über die Liebe nicht die absolute Königsdisziplin, weil es doch schon so viele davon gibt?
Die Herausforderung ist es immer, die Liebe aus einem sehr einzigartigen, noch nicht dagewesenen Gesichtspunkt heraus niederzuschreiben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als Bon Iver 2008 das Album „For Emma, Forever Ago“ veröffentlichte, das ich mir wieder und wieder angehört habe und das so viele neue Richtungen einschlug. Er beschrieb die Liebe darauf gleichermaßen gefühllos wie wunderschön und nicht alle Menschen fanden Zugang dazu. Aber selbst, wenn nur 100 Menschen ungefähr verstehen, was du damit aussagen willst, hast du gewonnen. „Higher Than Heaven“ ist ein Album voller Gefühle und Emotionen. Wenn du die Texte weglässt, dann wabert immer noch die untrügliche Botschaft von Selbstliebe und einem guten Gefühl mit. Es nimmt dich mit in eine Welt, wo es zumindest temporär Frieden und Freiheit gibt. Einen Lovesong zu schreiben, den es noch nicht gibt, ist sehr schwierig. Aber wenn du tief in dich hineinblickst, ehrlich zu dir selbst bist und vielleicht eine etwas abgedrehte, seltsame Position dazu einnimmst, dann wird dir etwas ganz Neues gelingen. Irgendjemand da draußen versteht dich unter Garantie.

Wie fasst der Albumtitel denn die Songs zusammen? Hast du dich selbst in den letzten Jahren öfters „Higher Than Heaven“ gefühlt?
Der Titel passt einfach zu mir. 2010 veröffentlichte ich den Song „Lights“ und er hat mich zu der Zeit perfekt widergespiegelt. Es war klar, dass auch das erste Album so heißen müsste. „Halcyon“ spielte auf die seltenen Tage an, in denen alles wie perfekt wirkt und wunderschön ist. Ich glaube an diese Tage und liebe sie. „Delirium“ war eine Anspielung darauf, dass man die Realität manchmal ausblenden muss, um in einem Zustand des Deliriums Freude zu finden. Ich habe mich schon immer mit den Alben aus der Realität ausgekoppelt und genau das ist die Aufgabe von Popmusik. Sie retten uns als Teenager und junge Erwachsene in den schwierigsten Phasen und die meisten erinnern sich sogar noch an ihre Lieblingslieder zurück, als sie Kinder waren. Das ist die Magie der Musik.

Der direkte Vorgänger „Brightest Blue“ 2020 war sehr persönlich, intim, ruhig - „Higher Than Heaven“ ist wirklich der größtmögliche Gegensatz zu diesem Album, den man sich vorstellen konnte. Ging diesem Sprung eine persönliche Reflexionsphase während und nach der Pandemie voraus?
Der größte Unterschied zwischen diesen beiden Alben war die globale Pandemie. Wir alle mussten auf die Stopp-Taste drücken und unsere Sichtweise auf das Leben wurde fundamental geändert. Plötzlich gingen wir nicht mehr jeden Tag zur Arbeit und gewöhnten uns daran. Wir haben nie an den Tod oder das Ende gedacht, bis die furchtbaren Bilder von den Särgen gesendet wurden und uns plötzlich unsere eigene Sterblichkeit bewusst wurde. Wir haben uns überlegt, was im Leben wirklich zählt und wie wir unsere Zeit verbringen wollen. Ich habe mich sehr stark mit der Natur verbunden, dann wurde ich schwanger und bekam Arthur. Auch für mich hat sich alles verändert, aber ich bin bislang noch nicht an den Punkt gekommen, wo ich das Album schreibe, das sich alle aufgrund dieser Ereignisse erwarten würden. Jetzt will ich meine Fans dazu einladen, aus der Realität zu flüchten und einfach mal die Leinen loszulassen.

Ist ein Album wie „Higher Than Heaven“ in diesen Tagen noch wichtiger, wo die Klimakrise nicht nur die Natur, sondern unsere ganze Existenz bedroht?
Es gibt so viele Themen und Gedanken, die mich bewegt haben. Die Pandemie, die Klimakrise, die Lüge rund um den Brexit, der eigentlich nur Verschlechterungen brachte. Dann brach auch noch in unmittelbarer Nähe in Europa ein Krieg aus, woraufhin das Leben für jeden teurer und schwieriger wurde. Diesen Krieg spüren wir geopolitisch überall. Dazu kamen persönliche Ängste und Krisen, in den USA muss man sich auch noch vor Waffen und Waffennarren fürchten, die von einem Ex-Präsidenten noch bestärkt werden. Viele Menschen gehen derzeit durch wirklich harte Zeiten und sehnen sich danach, ein bisschen Leichtigkeit im Leben zu haben. Da kommt dieses Album ins Spiel. Als Teenager wollte ich immer Musik hören, die meine Stimmung widerspiegelt, aber das hat sich geändert. Klassische Musik lässt mich von meinem wahren Ich davonschweben und ich betrachte mich dabei von außen. Danach brauche ich Musik, die mich in die Realität zurückholt. Ich verstehe jeden, der seine Flucht in der Musik sucht.

Ist die Musik für dich als Fan und Hörerin ein Ventil, in dem du inneren Frieden oder Trost suchst?
Ich höre nachts sehr viel klassische Musik, weil sie mich ruhiger macht. Die Musik hat mein Leben schon immer gerettet, wenn es mir nicht gut ging. Sie ist mein bester Freund und war lange die Nummer eins in meinem Leben. Ich kann Gott nur dafür danken, dass es Musik gibt.

Hat sich die Wichtigkeit von Musik in deinem Leben durch die Geburt deines Sohnes Arthur verringert?
Ich bin mir nicht sicher. Ich freue mich schon so darauf, wenn ich ihm erstmals Songs vorspiele. Ihm Lieder zeige, die ich selbst immer geliebt habe. Viele Songs haben heute eine andere Bedeutung, weil ich sie aus dem Blickwinkel einer Mutter anders sehe, aber die Wichtigkeit hat nicht wirklich abgenommen. Ich bin unfassbar glücklich, dass ich meinen großartigen Sohn bekommen habe, aber ich sehe die Musik deshalb nicht anders. Unterbewusst passieren vielleicht Dinge, die ich nicht direkt wahrnehme, aber an sich hat sich an meiner Haltung zur Musik und zur Arbeit nichts geändert. Manchmal sehe ich aber auch nicht direkt, was im Leben gerade passiert und reflektiere das erst drei Jahre später.

Bis er zur Schule geht, ist ja auch das Touren mit ihm im Schlepptau noch relativ problemlos …
Er liebt es zu lernen, liest die ganze Zeit Bücher und spielt mit Dingen herum. Das ist bei vielen Kleinkindern so, aber er braucht niemanden, der mit ihm spielt oder sich dauernd mit ihm befasst, weil er sich stundenlang in aller Ruhe mit sich selbst beschäftigen kann. Ich bin mir sicher, dass er die Schule einmal lieben wird, aber ich freue mich auch darauf, dass er mitfährt und mich auf der Bühne sieht.

Gab es einen ausschlaggebenden Song oder Moment, der zum Rest von „Higher Than Heaven“ geführt hat?
Ich habe gar nicht darüber nachgedacht. Wir haben Coronatests gemacht, sind ins Studio gegangen, der Produzent hatte Ideen, ich hatte Ideen und all das haben wir einfach zusammengestückelt. Wir haben ganz natürlich zu schreiben begonnen und die Ideen und Melodien flogen uns einfach so zu. Manchmal schreibe ich Texte, dann Gedichte, dann höre ich nur Musik. Wir wussten anfangs nicht, ob eine neue Welle der Pandemie kommt, ob wir uns wieder räumlich trennen müssten oder sich alles normalisiert. Es gab gar keinen Plan, außer jenen, dass wir ein Album machen wollten. Der Rest war spontan, innovativ und machte Spaß. Ohne Direktiven und große Vorsätze. Das gab uns die Freiheit, die ich vorher so noch nicht kannte.

Du hast in den letzten Jahren sehr offen und deutlich über deine Ängste und mentalen Probleme gesprochen. Bedeutet dieses Spaßalbum, dass du selbst auch so glücklich bist wie seit Jahren nicht mehr?
Eigentlich nicht. Ich kämpfe immer noch gegen meine Ängste und Unsicherheiten und hoffe jeden Tag, dass es besser wird. Die Angst ist ein Teil meines Lebens und ich habe gelernt, damit zu leben. Wenn sie gerade nicht da ist, sehe ich die Schönheit des Lebens erst in ihrer vollen Pracht, aber diese Momente sind sehr selten. Es ist schön, sich mit anderen Menschen darüber zu unterhalten, weil ich mich dann nicht so alleine fühle und mein Sohn macht auch alles sehr viel besser. Er versprüht unschuldige, kindliche Freude und da gibt es keinen Platz für andere Emotionen. Ich weiß, dass ich mehr Yoga machen und Kräutertees trinken sollte, aber stattdessen gebe ich Interviews und promote mein Album. Es ist aber okay, wie es ist. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich mit diesem Problem umgehen gelernt habe. Ich freue mich, wieder auf Tour zu gehen und zu singen gehört zu den wichtigsten Dingen, um Ängste zu bekämpfen.

Was sind denn die wichtigsten Lektionen, die du in rund 15 Jahren Musikbusiness gelernt hast?
Das ist eine sehr große Frage. Du musst dir treu bleiben und deinen Instinkten und Gedanken vertrauen. Lass dir diese Dinge nicht ausreden, denn mit ziemlicher Sicherheit lenkt dich deine Intuition in die für dich richtige Richtung. Lass niemanden deine Gedanken missinterpretieren, sondern achte darauf, was sich für dich gut anfühlt. Egal, ob es um die Kreativität, deine Kleidung oder die Songs geht, die als Nächstes rauskommen sollen. Als Frau ist es wichtig, sich nicht von der immer noch sehr männlich dominierten Industrie unterkriegen zu lassen. Ich bin unheimlich froh, dass ich von vielen starken Frauen umgeben bin. Man braucht viel Ausdauer und Durchhaltevermögen, muss körperlich und mental fit sein und vor allem seinen Selbstwert kennen. Wenn etwas Erfolg hat oder du Awards bekommst, dann hast du all das auch verdient. Es ist wichtig, sich das immer wieder klarzumachen.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele
Vorteilswelt