In Wiens Elektronik-Szene ist Joyce Muniz seit mehr als 20 Jahren präsent. Mit „Zeitkapsel“ veröffentlicht sie dieser Tage ihr zweites Album, für das sie sich während der Pandemie klanglich und inhaltlich von der Vergangenheit und Gegenwart inspirieren ließ. Im „Krone“-Talk spricht die 39-Jährige über Wiens Elektronikszene, wie es zu den Gästen am Album kam und wieso die humanistische Message wichtiger denn je ist.
Patrick Pulsinger, semilegale Underground Raves, stilprägende Labels wie G-Stone Records, Cheap Records, Abuse Industries oder Mego, Gasometer-Raves, das Flex oder Kruder & Dorfmeister - nur ein paar Beispiele dafür, dass das oft so verstaubt und klassisch wirkende Wien vor allem in den 90er-Jahren ein Schmelztiegel der elektronischen Musik war. In diese Welt stürzte einst auch die blutjunge Joyce Muniz, die vom brasilianischen Sao Paulo in die österreichische Bundeshauptstadt zog und sofort Musik und Szene verfiel. „Ich habe schnell mit I-Wolf von den Sofa Surfers und anderen kollaboriert und mich schnell mit den Leuten verbunden“, erzählt sie im „Krone“-Gespräch, „ich habe als DJ im Flex gearbeitet und durfte auch als Sängerin mit vielen tollen Leuten im Studio arbeiten. Bereits mit 17 mit den coolen Elektronikern abhängen zu dürfen, hatte für mich eine große Bedeutung. Mein Grundstock waren immer brasilianische Rhythmen, aber ich habe schnell viel von der Deepness und Melancholie der Wiener Elektronik für mich mitgenommen.“
Werdegang als Soundtrack
Den kommerziellen Höhepunkt erreicht Muniz 2010. Für den beatlastigen Sommerhit „Kabinenparty“ gab es einen verdienten Amadeus für den „Song des Jahres“. „Der Beat stammte von einem sehr guten Freund von mir und ich fand es cool von Skero, dass er mir das Vertrauen gab. Der Award ist ein schöner Bonus.“ Muniz legt auf, produziert, kreiert und reist immer wieder um die Welt. 2016 entsteht ihr leichtfüßiges und warmes Debütalbum „Made In Vienna“, dieser Tage nun der lang ersehnte Nachfolger „Zeitkapsel“, der sich - Nomen est Omen - musikalisch und auch inhaltlich mit dem Leben und Sein der Interpretin befasst und dementsprechend bunt ausgefallen ist. „Ich wollte auf dem Album über meinen Werdegang als Musikliebhaberin und Musikmacherin erzählen. Während Covid hatte ich endlich die Zeit, dieses Projekt in die Hand zu nehmen und mir dafür die technischen Skills aufzuerlegen. Ich mische darauf ältere mit trendigen Sounds und decke alle Genres ab, die mich bewegt haben.“
Die elektronische Musik an sich dient als roter Faden, doch wer sich in die Welt von Muniz‘ Zweitwerk stürzt, gerät in eine Achterbahn der bunten Vielseitigkeit. Electro-House, Dancefloor, Acid-Anklänge, Hip-Hop-Beats, 80er-Nostalgie-Synthesizer oder Drum&Bass-Anleihen werden durch die Gegend jongliert und bekommen durch die Zusammenstellung doch eine Richtung, die es nicht an Nachvollziehbarkeit mangeln lässt. „Der Opener ,These Days‘ beginnt elektronisch, ,Grey Skies‘ weist einen smokigen Hip-Hop-Stil auf und ,Never Brushing The Sound‘ hat einen Crunch- und Punk-Vibe.“ Prägnante Bass-Lines und ein guter Groove sind Muniz in ihren Kompositionen am wichtigsten, denn trotz der vielen stilistischen Schlenker in unterschiedlichste Richtung ist jeder Track Club-tauglich und verliert sich nicht in experimentellen Ausuferungen. „Ich wollte mit dem Album jedenfalls eine entspannte Atmosphäre erzeugen.“
Humanistische Message
Beeindruckend ist einmal mehr die Gästeliste auf „Zeitkapsel“. Rapperin Leciel lernt Muniz während einer illegalen Dinnerpary im zweiten Lockdown kennen, Roland Clark beschwört in „Imagine“ die Utopie einer freien Welt und eines vereinenden Miteinanders herauf, Fritz Helder verstärkt „The Rhythm Is Love“ und der britische Rapper Le3 bLACK macht aus „Never Brushing The Sound“ den politischsten Song des Albums. „Hier geht es natürlich um Rassismus. Als ich nach Österreich kam, sprach ich anfangs kein Deutsch. Ich bin eine queere Latina-Frau - da fühlt man sich manchmal wie ein Einhorn. Ich habe bewusst Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Geschlechtern, Welten, Religionen und Kulturen zusammengeführt, um mit ,Zeitkapsel‘ eine humanistische Message auszustreuen. Die grobe Botschaft des Albums ist, dass man genau dort zu Hause ist, wo das Herz ist.“
Muniz‘ Alltag teilt sich seit einigen Jahren zwischen Wien und Berlin auf. Ihrer deutschen Heimat huldigt sie mit dem Closer „Tempelhof“, der die unbeschwerten Momente der Pandemie in den Mittelpunkt stellt. „Alle waren damals draußen, haben ihre Boombox aufgedreht und sind mit Inline-Skates und Skateboards gefahren. Eine unbeschwerte Atmosphäre, die ich unbedingt auf das Album bannen wollte.“ „Bangalore Girl“ spielt mit verträumten Vibes auf ihre Nähe zu und Erfahrungen mit Indien an, „Joy Toy“ war ihr Spitzname in jüngeren Jahren und auf „Arrivederci Bella“ singt sie gar selbst. Einen besonderen Favoriten kann sie bei diesem Herzensprojekt nicht so einfach für sich rausfiltern. Wichtig war ihr vor allem die Ruhe im Entstehungsprozess. „Ich habe Anfang 2020 begonnen an diesem Projekt zu arbeiten und Ende 2022 habe ich alles fertig abgemischt. Corona brachte viel Zeit mit, um in sich hineinzuhören und zu meditieren.“
Horizonterweiterung
So sehr Muniz von der Wiener Clubszene jahrelang geprägt wurde, so wichtig ist ihr ihre zweite Heimat Berlin und das Reisen quer durch die Welt. „2016 war der Moment, wo ich wusste, dass ich mir in Deutschland eine Connection aufbauen müsste oder in Wien versumpfen würde. In Wien ist mein Studio und ich bleibe der Stadt immer verbunden, aber für meine persönliche Entwicklung war dieser Schritt sehr wichtig. Ich sage auch jungen Künstlerinnen immer, dass sie ihren Horizont erweitern und mehr von der großen Welt sehen sollen. In Wien gibt es viele tolle Clubs und DJs, aber wenig Musikmacher und Plattenfirmen im elektronischen Bereich. Es fehlt ein bisschen an einer geschlossenen Community, wie es früher der Fall war.“ Muniz öffnet mit „Zeitkapsel“ jedenfalls die Box all ihrer Einflüsse und legt sie offen dar. „Das Album fasst bewusst alle Stimmungsbilder zusammen.“
Release-Party im Club Sass
Am 14. April findet die offizielle Album-Release-Party von „Zeitkapsel“ im Wiener Club Sass statt. Unter www.sassvienna.com finden Sie alle Informationen zum Event und auch die Info, wie Sie zu Karten für das elektronische Club-Highlight kommen.
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