Autokrat und allein
Ex-Offizier: Putin lebt in „Informationsvakuum“
Putins Welt ist „verzerrt“ und „voller Barrieren“. Das behauptet ein ehemaliger Offizier seiner Präsidentengarde. Der Flüchtling zeichnet in einem Interview ein düsteres Bild zum Zustand des Autokraten.
Am 24. Februar 2022 wusste Gleb Karakulow, dass er in Russland keine Zukunft mehr hat. Der russische Staatspräsident Wladimir Putin hatte gerade den Überfall auf die Ukraine befohlen und für den ehemaligen Offizier der Präsidentengarde war klar, „dass es ein noch größeres Verbrechen gewesen wäre, wenn ich in meinem Job geblieben wäre. Nicht nach russischem Recht, aber nach menschlichem Ermessen“, berichtet er in einem Interview mit dem oppositionellen „Dossier Center“.
Nach Monaten der Planung nutzte Karakulow seine Chance, das Land zu verlassen: eine berufliche Auslandsreise nach Kasachstan. Er wollte nicht mehr unter einem „Kriegsverbrecher“ dienen. Karakulow, der unter anderem für eine sichere Kommunikation des Präsidenten zuständig war, liefert nun tiefe Einblicke in die „verzerrte“ Welt des Wladimir Putin.
Fakten
Nicht alle Aussagen lassen sich dabei unabhängig verifizieren, viele werden allerdings untermauert durch bereits veröffentlichte Berichte in internationalen Medien. Das „Dossier Center“, das mit Karakulow gesprochen hat, ist eine Plattform, die vom russischen Oppositionellen und Putin-Kritiker Michail Chodorkowski finanziert wird.
Nur „saubere“ Mitarbeiter dürfen sich Putin nähern
Karakulow beschreibt Putin als „extrem isoliert“. Der russische Präsident lebe in einem „Informationsvakuum“. Nur ein sehr kleiner Teil des Geheimdienstes würde ihn über aktuelle Geschehnisse informieren, Putin verzichte zudem auf Internet und Handy.
Der Autokrat bestehe darauf, „dass an jedem Ort, an dem er sich aufhält, russisches Fernsehen zu sehen ist“. Wer sich Putin ungefragt nähert, bekomme große Probleme. Der 70-Jährige sei aufgrund der Pandemie noch immer sehr vorsichtig und bestehe ständig auf Tests. „Wir haben noch immer einen sich selbst isolierenden Präsidenten. Wir mussten zwei Wochen lang eine strenge Quarantäne vor jedem Ereignis einhalten, auch wenn es nur 15 bis 20 Minuten dauerte.“
Es würde konstant einen Pool an „sauberen“ Mitarbeitern geben, die sich mit Putin in einem Raum aufhalten dürfen. In den vergangenen Monaten wurden immer wieder Bilder publik, in denen der russische Präsident Gäste und Gesprächspartner auf Abstand hält. Spekulationen über womöglich kritische Erkrankungen Putins bestätigt Karakulow hingegen nicht: „Falls er Gesundheitsprobleme hat, dann müssen die an seinem Alter liegen.“
Zur Fortbewegung nutze Putin einen Spezialzug. Der Zug „erschien erstmals irgendwann 2014 oder 2015“ im Fahrplan, unterscheide sich von gewöhnlichen kaum und sei dementsprechend „schwer zu verfolgen“. Putin verfüge über mehrere identisch ausgestattete Büros, um bei TV-Auftritten seinen Aufenthaltsort zu verschleiern.
Karakulow: Putin hat sich drastisch verändert
Putin habe in den vergangenen Jahren zudem einen drastischen Wandel vollzogen. Als der ehemalige Geheimdienst-Chef „Premierminister und später Präsident wurde, war er energisch und aktiv“. Jetzt bestehe seine Welt allerdings aus „Barrieren“. Und weiter: „Sein Blick auf die Realität ist verzerrt. Ein vernünftiger Mensch des 21. Jahrhunderts, der alles, was in der Welt geschieht, objektiv betrachtet, geschweige denn die Entwicklung zumindest mittelfristig vorhersehen kann, hätte diesen Krieg nicht zugelassen.“
Ihr dürft keine kriminellen Befehle befolgen und diesem Kriegsverbrecher dienen.
Gleb Karakulow
Am Ende des Interviews wendet sich Karakulow an seine Kollegen: „Was jetzt geschieht, ist völlig inakzeptabel, es entzieht sich der Vernunft. Ihr dürft keine kriminellen Befehle befolgen und diesem Kriegsverbrecher dienen.“
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