Sechseinhalb Jahre nach „Hardwired... To Self-Destruct“ veröffentlichen Metallica wieder ein Studiowerk - und „72 Seasons“ beginnt fulminant mit dem starken Titelsong, der ziemlich alle musikalischen Trademarks der Rockband beinhaltet. Über weite Strecken verlangt das zwölfte Album der Formation aber Hörern einiges ab, in manche rohe und sperrige Lieder muss man sich mühsam reinhören - oft lohnt sich das. Metallica haben Kindheitstrauma in Granit gemeißelt.
„72 Seasons“ ist so etwas wie ein Konzeptalbum, ein Buch hat Sänger und Rhythmusgitarrist James Hetfield zu den Texten animiert. „Es geht im Grunde darum, die Kindheit als Erwachsener zu verarbeiten. Und die 72 Jahreszeiten stehen für die ersten 18 Lebensjahre. Wie man sich entwickelt, wächst, reift“, erklärte er in einem Statement zum Release. „Manches wird man nicht wieder los, das trägt man für den Rest seines Lebens mit sich herum.“ Viel Licht darf man sich in den Lyrics nicht erwarten.
Schwere Brocken
Über 77 Minuten haben Metallica einige schwere Brocken produziert, oft im Mid-Tempo, angetrieben von dem viel gescholtenen Drummer Lars Ulrich, der hier jedoch ganze Arbeit abliefert. Das Rhythmuskorsett passt (am wuchtigen Bass von Robert Trujillo gibt es ohnehin nie etwas auszusetzen), die Soli von Kirk Hammett sitzen, schneiden tief ins Fleisch und kombinieren Aggression mit Melodie. Hetfields Stimme hat über die Jahre keine Kraft eingebüßt.
Fans werden beim Titelsong vor Freude strahlen, Metallica gelingt damit das Kunststück, mehr als 40 Jahre Bandgeschichte zusammenzufassen und dabei frisch zu klingen: Brachial und temporeich legt man los, bettet harte Riffs in Melodien und erinnert an frühere Arbeiten, ohne zum Eigenplagiat zu verkommen. Klug, dass Metallica mit „Shadows Follow“ gleich noch einmal auf das Gaspedal steigen - dieses aber nicht durchdrücken - und so einen sechsminütigen feinen Headbanger vom Stapel lassen.
Thrash fehlt manchmal
„Screaming Suicide“ kann da nicht mehr mithalten. Es wird zäher: „Sleepwaking My Life“ erinnert an die Mid-Tempo-Stücke vom „Black Album“, ohne deren Klasse oder Dynamik zu erreichen. „You Must Burn!“ schleppt sich mit Black-Sabbath-Anleihen dahin, es braucht mehrere Durchgänge, bis sich der Song im Ohr festfährt. Ein superbes Soli Hammetts veredelt den rhythmisch weniger originellen Stampfer. Gut, dass mit „Lux Æterna“ der schnellste Beitrag folgt - wenn schon der Thrash der frühen Tage gänzlich fehlt, so fegen Metallica hier immerhin in bester Tradition ihrer New Wave Of British Heavy Metal-Helden dahin.
Mit „Crown Of Barbed Wire“ und „If Darkness Had A Son“ werfen Metallica den Hörern zwei schwere, ungehobelte und letztendlich langweilige Brocken vor die Beine. Eindringlicher kommen da schon „Chasing Light“, „Too Far Gone?“ und „Rooms Of Mirror“ daher, vielleicht keine Klassiker, aber Songs, die musikalisch Spaß machen (wenn auch die Texte alles andere als lustig sind). Am Ende trumpfen die in San Francisco beheimateten Schwermetaller auf: Über elf Minuten dauert der Jam „Inamorata“, ein melancholisches Stück, fein aufgebaut, meisterlich instrumentiert, psychedelisch angehaucht und progressiv. Das Beste steht bei „72 Seasons“ am Anfang und am Ende.
APA/Wolfgang Hauptmann
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