Fragen & Antworten
Alles Angeberei? Was zum US-Datenleak bekannt ist
Wollte der Maulwurf des US-Datenleaks nur seinen Freunden in einer geschlossenen Chatgruppe gefallen? Was steht über Russland und die Ukraine in den Dokumenten? Diese und vier andere drängende Fragen hat krone.at für Sie beantwortet.
Das US-Verteidigungsministerium ist gerade dabei, „jeden Stein“ umzudrehen. Die ukrainische Führung um Präsident Wolodymr Selenskyj ist „genervt“ und andere Staaten sehen sich plötzlich in akuter Erklärungsnot. Grund dafür ist das größte militärische US-Datenleck seit Edward Snowden.
Soziale Medien und andere Stammtische dieser Welt brodeln - und dabei wird mit den wildesten Theorien um sich geworfen. krone.at erklärt, was bisher über die Veröffentlichung von teilweise streng geheimen Geheimdienstinformationen der USA bekannt ist. So viel vorweg: Mit ideellen Werten, wie bei Snowden, dürfte der aktuelle Fall wenig zu tun haben.
Wo tauchten die Dokumente zuerst auf?
Fotos von gedruckten Briefing-Berichten, ein Großteil davon für US-General Mark Milley, wurden nach übereinstimmenden Medienberichten zuerst in einer geschlossenen Chatgruppe mit etwa zwei Dutzend Mitgliedern auf Discord gepostet. Einer beliebten Messenger-Plattform für Gamer.
Der erste Post von geheimen Dokumenten - damals noch handschriftlich - soll in der Discord-Gruppe bereits Ende 2022 aufgetaucht sein, wie Gruppenmitglieder der „Washington Post“ bestätigten. Am 28. Februar wurden einige Dokumente auch auf einem anderen Discord-Server gepostet. Die Papiere verbreiteten sich anschließend exponentiell auf anderen Plattformen wie Twitter, 4chan und Telegram. Was uns zur nächsten Frage bringt.
Wer setzte den ersten Post ab?
Der Maulwurf soll ein junger Mann namens Jack Teixeira sein. Der US-Soldat ist 21 Jahre alt und IT-Fachmann auf einem Militärstützpunkt in Massachusetts. Unter dem Alias „OG“ - Internetslang für „Original“ - soll er Ende 2022 handschriftliche Notizen gepostet haben. Zwei Gruppenmitglieder beschreiben ihn als einen „jungen, charismatischen Waffenliebhaber, der streng geheime Dokumente mit einer Gruppe weit verstreuter Bekannter teilte, die in der Isolation der Pandemie nach Gesellschaft suchten“.
Da Teixeira mit handschriftlichen Kopien geheimer Dokumente bei seinen Internet-Freunden aber wenig Eindruck schinden konnte, ging „OG“ dazu über, Bilder der gedruckten Briefing-Berichte zu posten. Wie ihm das gelang, ist nicht bekannt. Nach eigener Aussage hielt sich der junge US-Amerikaner mitunter in abgesicherten Einrichtungen auf, in der Mobiltelefone und andere elektronische Geräte verboten gewesen seien, mit denen Fotos oder Videos gemacht werden können.
Er ist kein russischer Agent. Er ist kein ukrainischer Agent.
Freund von „OG“
Der US-Zeitungen zufolge verband die rund zwei Dutzend Mitglieder ihre Vorliebe für Waffen, Militärausrüstung und ihren Glauben an Gott. Teixeira selbst sei kein Whistleblower, der Missstände aufdecken wolle. „Er ist kein russischer Agent. Er ist kein ukrainischer Agent“, zitiert die Zeitung eines der Mitglieder.
Soll heißen: Es ist gut möglich, dass sich die USA mit einem der größten militärischen Datenlecks ihrer Geschichte herumschlagen müssen, weil einer ihrer Regierungsmitarbeiter seinen digitalen Freunden gefallen wollte. Das Pentagon hat bereits angekündigt, ihre Zugangspolitik zu geheimen Dokumenten zu überdenken.
Was steht über Russland im US-Datenleak?
Die geheimen Dokumente legten offen, wie stark die USA den russischen Nachrichtendienst und andere Behörden unterwandert haben. So berichtet die „New York Times“ von Querelen zwischen mächtigen Parteien innerhalb des russischen Verteidigungsverbundes.
So beschuldigt der Inlandsgeheimdienst FSB das Militär, das Ausmaß der Opfer auf russischer Seite zu verschleiern. In einem Dokument heißt es etwa, dass bei Putin Zahlen und Fakten wie beispielsweise zu Verlusten stark verändert ankommen würden. Die Leaks beinhalten aber auch Schlachtpläne und Mannstärke der Russen.
Zudem offenbarten die neuen Dokumente Details über einen öffentlich ausgetragenen Disput zwischen dem Chef der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, und Verteidigungsminister Sergej Schoigu über angeblich vom Militär zurückgehaltene Munition für die Wagner-Truppe. Demnach soll Putin persönlich versucht haben, den Streit zwischen beiden zu schlichten. Nach jüngsten Informationen des britischen Geheimdienstes arbeitet der Kreml aktiv an der Entmachtung der Söldnertruppe.
Aus den Dokumenten lassen sich laut dem Militäranalysten und Garde-Kommandanten des Österreichischen Bundesheers, Markus Reisner, auch Hinweise auf „gesundheitliche Herausforderungen“ Putins ablesen. Es gebe demnach bei der Fortführung der Offensive der Russen „interne Querelen“. Der russische Generalstabschef Witali Gerassimow wollte den Dokumenten zufolge den Angriffskrieg beenden und suchte dafür einen geeigneten Zeitpunkt. Es handelte sich dabei wohl um Anfang März 2023, als „Putin seine Chemotherapie“ bekam.
Was steht über die Ukraine im US-Datenleak?
Das Datenleck offenbart aber auch die Bedenken der US-Regierung zum Stand des Krieges. Die Ukraine könnte die ursprünglichen Pläne zur Rückeroberung besetzter Gebiete „weit verfehlen“, heißt es in den veröffentlichten Unterlagen.
Die Situation der Ukraine werde in den Dokumenten laut Reisner „sehr prekär“ dargestellt. So habe die ukrainische Luftabwehr offensichtlich nicht ausreichend Flugkörper für ihre Fliegerabwehrsysteme zur Verfügung. Die Russen würden es zudem schaffen, den Einsatz von Präzisionsbomben, die die USA geliefert hätten, zu „stören“ - und „offensichtlich“ komme es auch beim Abwurf „zu Herausforderungen, die man kaum lösen kann. Und das kann ja auch unter Umständen kriegsentscheidend sein“, so der Militäranalyst in einem Ö1-Radiointerview.
Sind die Dokumente echt?
Ja, sagen US-Beamte - zumindest zum größten Teil. Einige Dokumente seien nach Veröffentlichung verändert worden. Es ist unklar, wer die Berichte gefälscht hat. Hier ist allerdings nicht von Einzeltätern auszugehen, da die Dokumente seit März einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren.
Und obwohl US-Beamte bestätigten, dass viele der Dokumente authentisch sind, ist es unklar, wie akkurat die nachrichtendienstlichen Einschätzungen sind. Für Reisner ist klar, dass vieles in den Unterlagen inhaltlich stimmt, erklärte er gegenüber der „Krone“. Dies sei „eine fatale Situation für die USA“.
Wie groß ist das Problem nun für die USA?
Die Außenwirkung für die USA ist blamabel. Die Leaks könnten zudem fatale Folgen für Informanten weltweit haben. Da durch die Dokumente auch bekannt wurde, dass die USA engste Verbündete wie Südkorea, Israel, Ägypten oder auch die Ukraine ausspioniert haben.
Fakten
Das US-Datenleak scheint weit über die Ukraine hinauszugehen. Analysten zufolge enthält der Fundus an Dokumenten auch sensibles Material über Kanada, China, Israel und Südkorea sowie über den indopazifischen Militärraum und den Nahen Osten.
Für die USA sind die durchgesickerten Dokumente zwar verheerend in der Außenwirkung, nachhaltiger Schaden wird für die Vereinigten Staaten aber kaum entstehen. „Der Schaden für die USA hält sich in Grenzen, auch wenn das paradox klingt“, sagt etwa der Politologe Thomas Jäger dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Die US-Geheimdienste sind so mächtig, dass es sich kein Staat der Welt leisten kann, die Zusammenarbeit mit ihnen einzustellen.“
Was für andere Staaten kriegsentscheidend sein könnte, wird für die USA in der Rückschau wohl als Blamage in die Geschichte eingehen. Mehr aber nicht.
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