Deutscher Atomausstieg
Alle AKWs vom Netz: Schon Ruf nach Weiterbetrieb
Nach gut sechs Jahrzehnten Atomenergie sind am späten Samstagabend die drei letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gegangen. Ab Mitternacht war die Stromproduktion in den Meilern Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Emsland in Niedersachsen durch Kernspaltung nicht mehr erlaubt. Und schon werden Rufe nach einer Gesetzesänderung laut, die einen Betrieb weiter ermöglichen soll.
Als Erstes wurde nach Angaben der Betreiber im Meiler Emsland um 22.37 Uhr die Verbindung zum Netz getrennt. Es folgten Isar 2 um 23.52 Uhr und zuletzt Neckarwestheim 2 um 23.59 Uhr. „Das Kapitel ist nun abgeschlossen“, sagte der Chef des Emsland-Betreibers RWE, Markus Krebber. „Jetzt kommt es darauf an, die ganze Kraft dafür einzusetzen, neben Erneuerbaren Energien auch den Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken möglichst schnell voranzutreiben, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt, wenn Deutschland 2030 idealerweise auch aus der Kohle aussteigen will.“
Das Kapitel ist nun abgeschlossen.
Chef des Emsland-Betreibers RWE, Markus Krebber
„Wir arbeiten nach Recht und Gesetz und da ist es eindeutig, dass der Leistungsbetrieb ab dem 16. April eine Straftat wäre“, sagte der Chef-Atomaufseher des Bundes, der Abteilungsleiter für Nukleare Sicherheit und Strahlenschutz im Umweltministerium, Gerrit Niehaus.
Fukushima-Katastrophe führte zum Atom-Ausstieg
Vor gut 62 Jahren war Deutschlands erstes Atomkraftwerk im unterfränkischen Kahl in den kommerziellen Betrieb gegangen. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 setzte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den endgültigen Ausstieg aus der Technologie in Deutschland durch. Eigentlich hätten die Meiler demnach schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine entschied die Ampel-Koalition ihres Nachfolgers Olaf Scholz (SPD) nach wochenlanger Diskussion im Herbst jedoch, die drei Meiler über den Winter bis Mitte April weiterlaufen zu lassen.
„Atomausstiegsfeste“ gefeiert und Trauer wegen Jobverlusts
Mit dem Ausstieg beginnt nun eine neue Energie-Zeitrechnung: Kernkraftgegner feierten den historischen Schritt am Samstag mit Festen in Berlin und anderswo. Mehrere Hundert Menschen kamen zu einem „Abschaltfest“ nach Neckarwestheim und auch in München veranstalteten der Bund Naturschutz und Greenpeace ein „Atomausstiegsfest“. Im niedersächsischen AKW-Standort Lingen demonstrierten Hunderte Atomkraftgegner gegen die dort ebenen veranstalteten der Bund Naturschutz und Greenpeace ein „Atomausstiegsfest“. Im niedersächsischen AKW-Standort Lingen demonstrierten Hunderte Atomkraftgegner gegen die dort ebenfalls ansässige Brennelementefabrik ANF, die zum französischen Framatome-Konzern gehört, und forderten auch deren Schließung.
Betroffenheit über den Ausstieg herrschte hingegen am Atomkraftwerk Isar 2 im bayerischen Essenbach. Für die Mitarbeiter des Meilers ist das Abschalten nach Angaben des Vorsitzenden des Konzerns Preussen-Elektra, Guido Knott, ein emotionaler Moment: „Heute endet nach 50 Jahren die Stromproduktion aus Kernenergie bei Preussen-Elektra. Das geht uns allen sehr nahe, und das macht auch mich persönlich sehr betroffen.“
Reaktor „kaltgefahren“
Der Konzern hatte zuvor den Ablauf genau erklärt, der für alle drei Meiler quasi gleich ist: Nach der Trennung vom Stromnetz sollte der Reaktor etwa innerhalb einer Viertelstunde abgeschaltet werden. Danach wird er „kaltgefahren“. Das bedeutet, dass die Temperatur in der Anlage innerhalb von etwa zwölf Stunden auf Umgebungstemperatur gesenkt wird. Etwa neun Stunden nach der Abschaltung sollte über dem Kühlturm kein Dampf mehr zu sehen sein.
International viele Abschiede von Atomenergie
Es ist international aber nicht der erste Abschied von der Atomenergie: Italien ist schon im Zuge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986) aus der Kernenergie ausgestiegen. Andere Länder gehen andere Wege. In Belgien sollen AKWs doch bis mindestens Ende 2035 weiterlaufen können. Die Schweizer Kernkraftwerke dürfen so lange betrieben werden, wie sie sicher sind; der Bau neuer Anlagen ist aber verboten. Spaniens linke Regierung will alle Kernkraftwerke des Landes zwischen 2027 und 2035 schließen.
Herausforderungen bleiben
Die Herausforderungen im Umgang mit der Hochrisikotechnologie bleiben in Deutschland aber auch nach dem Abschied vom Atomstrom. Zunächst einmal müssen die Meiler möglichst schnell zurückgebaut werden. Das Atomgesetz habe die Regelung, dass die Kernkraftwerke unverzüglich abzubauen sind, sagte Atomaufseher Niehaus. „Das heißt einerseits, das Abbau-Genehmigungsverfahren voranzutreiben, aber auch schon erste zulässige Schritte in Richtung Abbau vorzunehmen.“
Nach Angaben des baden-württembergischen Betreibers EnBW sei bereits 2012 eine Strategie für den Rückbau ihrer Kernkraftwerke entwickelt worden. So würden auch bereits alle Rückbaugenehmigungen vorliegen. Der Isar-2-Betreiber, die Eon-Gesellschaft Preussen-Elektra, rechnet hingegen mit der Erteilung in den kommenden Monaten und damit, dass der Rückbau dann Anfang 2024 beginnen könnte.
Wohin mit dem radioaktiven Abfall?
Und dann stellt sich noch die Frage, wohin mit den radioaktiven Abfällen? „Wir haben etwa drei Generationen lang Atomkraft genutzt in unserem Land und dabei Abfälle produziert, die noch für 30.000 Generationen gefährlich bleiben“, hatte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) gesagt. „Diese Verantwortung übergeben wir an unsere Enkel, Urenkel und noch viele weitere Generationen.“ Deutschland stecke mitten in der Endlagersuche, was eine komplexe Aufgabe für die gesamte Gesellschaft sei.
Forderungen, AKWs weiterzubetreiben
Querschüsse kamen indes aus Bayern: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder von der konservativen CDU-Schwesternpartei CSU will Atomkraftwerke wie den Samstagnacht abgeschalteten Meiler Isar 2 in Landesverantwortung weiterbetreiben und verlangt vom Bund daher eine Änderung des Atomgesetzes.
Man fordere eine eigene Länderzuständigkeit für den Weiterbetrieb der Kernkraft, sagte Söder (CSU) der „Bild am Sonntag“. „Solange die Krise nicht beendet und der Übergang zu den Erneuerbaren nicht gelungen ist, müssen wir bis zum Ende des Jahrzehnts jede Form von Energie nutzen.“
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