„Krone“-Reporter Robert Fröwein flaniert durch die Stadt und spricht mit den Menschen in Wien über ihre Erlebnisse, ihre Gedanken, ihre Sorgen, ihre Ängste. Alltägliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Sie erinnern sich bestimmt. Als Österreich in den ersten beiden Corona-Lockdowns steckte, wurde gerne über die Frisuren der Regierungsmitglieder diskutiert. Friseure mussten, wie die meisten Dienstleister und Gewerbe, temporär schließen, was zu manch wild wucherndem Wuchs führte. Ex-Finanzminister Gernot Blümel etwa sehnte sich offenherzig nach einer Wiederöffnung, ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz ließ sich sein Haupt gleich direkt nach dem Lockdown-Ende zurechtstutzen. Bei manch anderen vermutete man ob der markanten Haarveränderungen zwischen zwei Fernsehauftritten gar den Schritt in die Illegalität. Was uns zumindest im Nachhinein ein Schmunzeln kostet, hat Martina ganz anders erlebt. Sie verlor im Zuge des zweiten Lockdowns ihren Job als Friseurin und musste sich erst einmal umorientieren.
„Für mich war das ein großer Schock. Meine Chefin wollte mich unbedingt halten, aber die Lage war ungewiss und ich war trotz der Regierungshilfen nicht mehr finanzierbar.“ Das immer noch weitreichend ausgeführte Gießkannenprinzip kam zumindest in Martinas Firma nicht ausreichend an. Ihre große Leidenschaft musste sie erst einmal zur Seite stellen, doch ans Aufgeben hat die Wienerin nie gedacht. „Ein paar Wochen musste ich mich vom Schock erholen, aber dann habe ich gleich versucht, aktiv zu helfen.“ Martina kommt mit dem Samariterbund in Kontakt und wird als Betreuerin in Hietzing engagiert. Dort befindet sich das Geriatriezentrum am Wienerwald (GZW) Pavillon 9, das von Beginn weg zur Betreuungseinrichtung für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen umfunktioniert wurde.
Der Kontakt mit Menschen und ständige Kommunikation waren wichtige Parameter in Martinas Erstberuf, weshalb sie schnell ins Team findet und sich einfühlend mit den Patienten verbindet. Doch nach einigen Wochen stößt sie öfters an ihre Grenzen. „Durch die psychischen Erkrankungen war es extrem schwierig, einen Draht zu manchen Leuten zu finden. Einer behauptete, in seinem Hirn wäre eine Kamera und ein Mikrofon unter seine Zunge operiert worden. Er meinte, er würde ständig überwacht und litt an einer unglaublichen Paranoia.“ Einen weiteren Patienten unterstützt Martina mit Kartenspielen. „Er hat meine Person und Aufmerksamkeit aber komplett auf sich projiziert. Habe ich mich nur einmal kurz weggedreht, um nach einer Kollegin zu schauen, hat er mich für den Rest des Tages keines Blickes gewürdigt.“
Die Aufgabe selbst, die Kollegenschaft und auch die Bezahlung seien aber großartig gewesen. „Ich arbeitete auch nachts, an den Wochenenden und an Feiertagen. So eine Bezahlung kriegst du in keinem Friseursalon der Welt.“ Dennoch ist sie unheimlich froh, mittlerweile wieder in ihr altes Metier zurückgekehrt zu sein. „Direkt nach dem langen Lockdown waren die Salons einen Monat lang ausgebucht, weil alle Haare schneiden wollten. Viele haben sich das mittlerweile aber selbst beigebracht und die Lage in der Branche ist nicht leichter geworden. Außerdem spüren wir die Teuerungen auch extrem.“ Für Martina war die Erfahrung beim Samariterbund nicht nur eine finanzielle Rettung, sondern in vielerlei Hinsicht lehrreich. „Ich habe viel über Menschen gelernt. In erster Linie bin ich aber Friseurin aus Leidenschaft und unheimlich froh, wieder hier zu arbeiten.“
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