Die Geburt seines Sohnes hat den deutschen Sänger Tim Bendzko nachhaltig verändert. Das besingt er auf seinem brandneuen Studioalbum „April“ und beweist er im täglichen Leben, das er am liebsten in einem Camper auf ziellosen Reisen durch Europa verbringt. Auch für das Interview in Wien hat er Luxushotel gegen Naturbelassenheit getauscht - und referierte launig über sein neues Werk, seine Familiensituation, die Lage der Welt und wieso er immer optimistisch bleibt.
„Krone“: Tim, du warst mit einem Camper auf Promotour unterwegs und hast auf Campingplätzen statt in noblen Hotels geschlafen. Kannst du dir das auch für Tourneen vorstellen?
Tim Bendzko: Ich kann mir das nicht nur vorstellen, ich werde das sicher so machen. Ich schlafe im Camper besser als in meinem eigenen Bett. Ich fahre sonst auch alles mit dem PKW ab, also kann ich jetzt auch den Camper nehmen. Im besten Fall kann man ja bei der Location stehenbleiben oder schon drei Tage vorher am Festivalgelände aufschlagen. Das kriegt ja eh keiner mit, dass wir dort stehen. Wenn du jetzt Standbesitzer kennst, bevor du auf die Bühne hüpfst, ist das schon sehr speziell.
Dein neues Album „April“ erschien am 31. März. Man kann also sagen: fast perfektes Timing.
Leider kommen Alben immer nur freitags aus, das ging sich mit dem 1. April nicht aus. Schade.
Der Titel dreht sich aber auch nicht um den Monat an sich, sondern um das abwechselnde Gefühl zwischen Chaos und Neuanfang. Bist du jemand, dessen Launen an den April erinnern?
Nein, eigentlich nicht. In 99 Prozent der Fälle bin ich sehr gut gelaunt. Habe ich schlecht geschlafen, bin ich etwas ruhiger, aber auch nicht superschwankend.
Du hattest das Album ursprünglich schon zweimal so gut wie fertig, hast es dann aber immer wieder verworfen und neu gestartet. Was waren die Gründe dafür?
Erst hatte ich nicht das Gefühl, dass es der richtige Zeitpunkt wäre, ein Album zu veröffentlichen. Die meisten meiner Songs vermitteln Mut und tragen Aufbruchstimmung in sich und das kam mir während Corona sehr merkwürdig vor. Dann verging so viel Zeit und es kamen neue Ideen für Songs, die ich dann einfach geschrieben und ausgearbeitet habe. Das Album hätte dann im November 2022 kommen sollen, aber dann gab es noch einmal einen großen Umbruch. Ich wollte, dass das Album „April“ heißt und einen gleichnamigen Song dazu hat. Der ist teilweise gerappt und klingt anders, was mir neue Soundwelten eröffnet hat. Von da an habe ich dann das halbe Album noch einmal neu geschrieben, weil ich meine Sprache für das Album gefunden habe. Songs wie „Zu viel“, „Magneten“ oder „Parallelwelt“ sind erst nach „April“ passiert.
Spielen die Songs „Phantomschmerz“ und „Geisterjagd“ auf dein fragiles Seelenleben an?
„Phantomschmerz“ auf jeden Fall. Ich wollte schon immer einen Song über dieses Thema schreiben, dass man morgens aufwacht und das Gefühl hat, es fehlt einem was, das aber da ist. Ich bin 2020 Vater geworden und plötzlich hat man was zu verlieren. Man kann manchmal antizipieren, wie sich das anfühlen würde und man, aber man kann es sich nicht mehr schön denken. Bei „Geisterjagd“ hatten wir einen anderen Song im Studio geschrieben und nur noch ein paar Stunden Zeit. Meine beiden Produzenten Bene und Timothy haben in Windeseile dieses Instrumental gemacht und als ich es hörte, hatte ich sofort ein Bild vor mir, wo jemand in einem Trenchcoat vermummt im Dunkeln die Straße entlanggeht und unter einer Laterne von seinem eigenen Gewissen verfolgt wird. Von den eigenen Dämonen und Ängsten. Man wird im Leben doch immer von denselben Erinnerungen und Erlebnissen eingeholt. Ob man sie mag oder nicht.
Deine Songs bilden immer Mikro- und Makrokosmos ab. Persönliches und Weltliches sind gleichermaßen interpretierbar.
So schreibe ich Songs, das ist meine Art. Auf „April“ gibt es zu vielen Songs eine ganz konkrete Geschichte, obwohl ich nicht so der Geschichtenschreiber bin. In „Für dich“ erzähle ich das erste Mal überhaupt etwas im Detail, doch solange ich es nicht präzise erläutere, ist es immer noch nicht klar, wie es genau gemeint ist. (lacht) Ich mag einfach nicht zu sehr ins Detail gehen und trotzdem will ich konkret sein. Es widerspricht sich ein bisschen, aber am Ende passiert es immer so.
„Für dich“ ist deinem Sohn gewidmet und dann gibt es mit „Wer rettet die Welt für mich“ den Nachfolger deines Top-Hits „Nur noch kurz die Welt retten“. Rettest du die Welt heute für deinen Sohn und nicht mehr für dich?
Die Frage, was denn in 50 Jahren alles sein wird, muss man ausblenden, denn dann würde man erst einmal keine Kinder mehr in die Welt setzen. Es gab eine Version mit Kinderchor, der am finalen Album nicht zu hören ist. Als die Erstversion rauskam, dachte ich mir, dass sich ohnehin jede Generation bei der Generation davor beschwert, dass nur geredet, nicht aber gemacht wird. Das ist am Ende auch die Idee des Songs. Jetzt kommt die nächste Generation zu mir und fragt, warum ich nicht die Welt rette und vor zwölf Jahren habe ich das die älteren gefragt. Jedes Jahr wird mir seit 2011 gesagt, dass die Welt zu retten wunderbar passt und wie ich das machen würden. Als kleiner Erklärbär sage ich dann immer, wie das gehen könnte. Wir alle haben Schwierigkeiten dabei Dinge zu tun, die in 20 Jahren Relevanz haben - da schließe ich mich durchaus ein. Der aktuelle Klimareport sagt uns, 2030 wird schon eng. Wir sind absolut in der Lage, alles zu schaffen. Die Pandemie war eine Katastrophe, aber sie hat uns gelernt, dass die Menschheit unheimliche Dinge, wie die Impfstoffe entwickeln oder sich adaptieren kann. Wir sehen immer nur die schlechten Seiten, aber es ist unglaublich, dass das möglich war. Der Mensch braucht aber extrem viel Druck, damit er in die Gänge kommt.
Wenn man in diesem Tempo forschen und entwickeln würde, könnte man wahrscheinlich längst die meisten Krebsarten heilen.
Voll. Am Ende des Tages muss Forschung finanziert werden. Du nimmst die Krebsforschung heran, aber da kommt jemand anders und fordert das Budget für andere Krankheiten ein, was auch nachvollziehbar ist. Das ist alles nicht so leicht, es muss einfach alles bezahlt werden. Die Krebsforschung schreitet sicher extrem schnell voran, weil es so ein Riesenproblem ist. Wenn eine Krankheit auf einer Million Menschen nur zwei Fälle hat, wird man wahrscheinlich nicht so schnell Geldgeber finden. Das ist leider die Welt, in der wir leben.
Als Vater hast du natürlich Verantwortung und kannst nicht mehr so egozentrisch durchs Leben gehen.
Das stimmt schon. Die eigene Motivation ist eine ganz andere. Ich sehe mich ein bisschen als den Nico Rosberg der Musikbranche. Der wurde Formel-1-Weltmeister und hat dann direkt aufgehört. Was Musik angeht, habe ich alles, was ich mir hätte ausmalen können, schon zehnfach erreicht. Dieses höher-, schneller-, weiter-Prinzip interessiert mich überhaupt nicht. Das Schönste ist, dass ich das alles so machen darf, einfach toll. Ich mache alles nicht mehr nur für mich, sondern für meine Familie. Ich finde es ziemlich geil, dass ich sagen kann: Ich arbeite jetzt für meine Familie.
Du bist kein Deutschrapper, aber achtest du jetzt anders auf deine Texte, nachdem du weißt, dass dein Nachkomme irgendwann deine Lieder verstehen und analysieren wird?
Eben nicht, weil ich ja kein Deutschrapper bin. (lacht) Ich habe immer versucht Songs zu schreiben, die Inhalt haben und im besten Fall in mir und allen anderen Menschen etwas auslösen. Das Feedback, das ich bekomme, geht in diese Richtung. Unlängst war ich in München und da kam jemand zu mir, der mir sagte, er wäre vor zehn Jahren nach Deutschland gekommen und hätte mit meinen Songs die deutsche Sprache gelernt. Das ist mir schon einmal passiert und das schönste Kompliment überhaupt. In Berlin hat da auch mal jemand gesagt, weil er sich bei mir bedanken wollte.
Im Song „Das Glück kommt zurück“ ist das Glas für dich auch halbvoll und nicht halbleer. Ist das nicht schon Zweckoptimismus, wenn man sich die zahllosen Krisen der Welt so ansieht?
Wir haben doch gar keine Wahl. Keulenschläge gibt es jedes Jahr. Mindestens eine große Krise, die eine riesengroße mediale Präsenz hat und uns das Gefühl gibt, dass es die Welt nächstes Jahr nicht mehr geben wird. Eine weltweite Pandemie kannten wir nicht und auch für mich fühlte sich das wie ein Angriff von Aliens an. (lacht) Optimismus muss man lernen. Das ist sehr schwer und ich kämpfe damit wie alle anderen auch, aber ich will mich nicht nur auf das Negative konzentrieren. So viele positive Dinge werden immer an den Rand gedrängt. Ich ertrage es aber auch nicht, wenn man naiv am Realismus vorbeigeht, das ist das andere Extrem. Wenn meine Lieblingsmannschaft nach 80 Minuten mit 0:8 zurückliegt und ich glaube, das drehen die Jungs noch, dann haut das auch nicht ganz hin. So bin ich gar nicht drauf.
Ich bin totaler Realist, aber versuche den Weg aus den Schwierigkeiten herauszufinden. Das ist auch die Klammer des Albums. Bei allem Hin und Her und all dem Chaos versuche ich das Beste daraus zu machen. Corona hat dazu geführt, dass das Album jetzt so klingt, wie es klingt, also ganz anders als das, was man von mir bislang kannte. Auch live hat die Show nichts mehr damit zu tun, mit dem, was wir bislang machten. Wenn die Musikbranche am Boden liegt und die Welt zusammenbricht, hat man ja nichts mehr zu verlieren. Da kann man ruhig ein Risiko eingehen. Das ist meine Denke und so hat sich alles entwickelt. Im negativen Sinne macht der April, was er will. Im besten Sinne ist er abwechslungsreich und am Ende ist alles gut.
Ausgehend vom Song „Parallelwelt“ - hast du dich in den letzten Jahren auch plötzlich in solchen befunden?
Ich habe den Song gar nicht so sehr auf die Pandemie bezogen, wohl wissend, dass man ihn darauf beziehen wird. Es ging mir mehr darum, dass ich zum Zeitpunkt des Schreibens das Gefühl hatte, dass ich von Bekannten und weiter Entfernten immer mehr Geschichten hörte, wo ich mir dachte, dass die abdriften. Ich neige sehr dazu, Sachen verstehen zu wollen und zu hinterfragen und andere denken das nicht und tun Dinge ab mit „Parallelwelt“ - mit dem bloßen Wort. Man denkt nicht darüber nach, warum der jetzt Drogen nimmt oder der andere glaubt, die Welt wäre eine Scheibe. Wenn du jetzt feststellst, dass ich in einer Parallelwelt lebe, dann bringt es schlussendlich mit, dass nicht so ganz klar ist, wer von uns beiden jetzt in einer Parallelwelt lebt. Das ist ein bisschen wie die Escher-Treppe, die unendlich ist. Insofern habe ich ein bisschen Verständnis für Menschen, die in einer Situation sind und glauben, alle anderen sehen alles falsch und noch zwei, drei andere finden wollen, die ihre Meinung teilen. Es superschwer zu entscheiden, wer von beiden nun der Verrückte ist. Der Song versucht dieses Thema im Kleinen ironisch zu benennen. Das kann man ja auch wieder auf den Fußball ummünzen. Du glaubst, dein Team muss mit der Viererkette spielen, aber alle anderen fordern die Dreierkette.
Jetzt musst du natürlich verraten, was dein Lieblingsverein ist.
Ich bin Bayern-Fan und habe letztens festgestellt, dass in meinem Alter sehr viele gleich sind, was wohl daran liegt, dass Bayern lange Zeit der einzige Verein war, der immer im Free-TV zu sehen war. Und natürlich bin ich Union Berlin-Fan, weil ich ja selbst sehr lange dort spielte. Damals war nicht damit zu rechnen, dass sie kurz vor einem Champions-League-Platz stehen. Für mich ist das eine Megasaison und wenn sie gegeneinander spielen, dann bin ich für Union, weil es der Underdog ist.
„Magneten“ ist ein astreines Liebeslied, wie man es von dir nicht wirklich gewohnt ist. Mit solcherart von Songs hast du es bislang nicht so gehabt.
Nein. Die meisten Leute interpretieren in ein Lied immer eine Liebesgeschichte rein. Das habe ich aber größtenteils nicht so gemeint. „Wenn Worte deine Sprache wären“ oder „In dein Herz“ waren richtige Liebeslieder, die anderen eher nicht. Bevor ich jetzt immer erkläre, dass kein Lied ein Liebeslied ist, schreibe ich einfach eins, das eines ist. Ich hatte zwei Astronauten vor meinem geistigen Auge, die im Weltall aufeinander zu schweben, weil das die eigentlich kaum vorhandene Möglichkeit widerspiegelt, dass sich zwei Menschen finden, die wirklich gut zusammenpassen. Für mich ist es ein krasses Phänomen, dass das geht.
Ist das Liebeslied auf Deutsch die größte Königsdisziplin des Songwritings?
Das weiß ich nicht, glaube ich aber nicht. Es ist immer eine Frage des Blickwinkels. Es geht auch darum, wer etwas singt. Würde „Magneten“ jemand anders singen, wäre das ein komplett anderer Song. Es ist fast schwieriger, ernste Themen anzusprechen, ohne mit dem Zeigefinger auf Leute zu zeigen. Das Weltretten ist auch ein erstens Thema, das witzig ist, ohne witzig zu sein. Das ist für mich die schwierigste Form eines Songs. Ein Bedürfnis nach Liebesliedern ist allgemein so groß, dass man da gar nicht viel falsch machen kann. Die Leute tun immer so cool, aber es ist genau das Thema, worum es geht. Die Liebe ist das einzige, um das sich alles dreht.
Empfindest du diese besonderen Momente des Alltags vielleicht leichter oder intensiver als andere Menschen?
Das kann schon sein. Das klingt ein bisschen nach Esoterik und Lagerfeuer, aber ich spüre schon häufig, dass sich Momente fügen und es einfach passt. Als ich mit meinem Camper unterwegs war, dachte ich an einen bestimmten Becher, den ich wollte. Der war überall ausverkauft und dann bleibe ich bei einem Rastplatz stehen und dort gibt es ihn. Das ist ein blödes Beispiel, aber über solche Momente freue ich mich drei Tage lang. Wenn man mit dem Camper durch die Welt fährt, erfährt man das ganze Land. Dann fahren wir auch noch in den Frühling rein und das macht schon was mit einem. Mit fortschreitendem Alter weiß ich immer mehr zu würdigen, was für ein Wunder es ist, dass es uns überhaupt gibt. Auf YouTube gibt es in Video, das ein 30-minütiger Zeitraffer des Universums ist. Vom Urknall bis zum Ende. Wenn man sich das in echt vorstellt, ist es ein unglaubliches Wunder, dass wir all das überhaupt erleben.
Genauso wie wissenschaftlich erwiesen ist, dass die Sonne, der rote Riese, uns nicht nur das Leben spendet, sondern es uns auch wieder nimmt.
Das Schöne ist ja, dass wir das unter gar keinen Umständen mehr mitkriegen. Das ist in so vielen Milliarden Jahren. Ich finde das Thema unheimlich spannend und man wird es auch live so sehen, denn unser ganzer Content dreht sich nur ums Weltall.
Live in Langenlois
Die bislang einzige bestätigte Live-Show von Tim Bendzko in Österreich findet am 1. Juli im niederösterreichischen Langenlois bei Krems statt. Beim „Langenlois bloomt“ tritt Bendzko beim Schloss Haindorf mit PopWal aus - es ist schwer anzunehmen, dass er mit dem Camper unterwegs ist. Unter www.oeticket.com gibt es die Konzertkarten und alle weiteren Infos zu diesem Gig.
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