„Krone“-Interview

Amelie Tobien: „Es ist ein Schrei nach Liebe“

Musik
21.04.2023 09:00

Für ihr zweites Album „Monument“ hat sich die Salzburger Musikerin Amelie Tobien neue Mitstreiter ins Boot geholt, womit sie vom bekannten Singer/Songwritertum mit Folk-Touch Richtung Indie, Grunge und poppigen Zugangen ausfranst. Drei Jahre nach dem Debütalbum „We Aimed For The Stars“ zeigt die 31-Jährige neue Facetten an sich und wird immer internationaler. Ein Gespräch über Ängste, Unsicherheiten, Schwimmbecken und dunkle Meerestiefen.

(Bild: kmm)

„Krone“: Amelie - hast du direkt nach deinem Debüt „We Aimed For The Stars“ begonnen, an deinem neuen Werk „Monument“ zu arbeiten oder entstand es eher kurzfristig?
Amelie Tobien: Eigentlich habe ich ziemlich im Anschluss an das erste Album angefangen zu schreiben. Im ersten Pandemiesommer war ich bei einer Live-Dachsession im Salzburger Rockhouse eingeladen, wo ich auf Mynths Mario Fartacek traf. Wir haben beschlossen, mal etwas zusammen zu machen. Dann ging ich zu ihm ins Studio in Wien und letzten Oktober haben wir das Album dann fertiggestellt. Wir kennen uns schon sehr lange aus den Salzburger Anfängen, haben uns aber für etwa zwölf Jahre aus den Augen verloren. Der Prozess des Zusammenarbeitens war befreit von jeglichen Zwängen und wir spürten, dass wir uns eigentlich schon ewig kennen.

Mario hat an fast allen Songs mitgeschrieben und auch die Klangfarbe hat sich entwickelt. Steht „Monument“ weniger für dich selbst und mehr für Teamwork?
Ich bin mit den Demos, also hauptsächlich Handyaufnahmen, ins Studio gekommen und Mario hat alles arrangiert und selbst viele Instrumente eingespielt. Er half mir, einen klanglichen roten Faden zu finden. Ich mag Mynth und seine zweite Band Good Wilson und schätze seinen Sound. Er ist ein talentierter Musiker und hat sehr coole Visionen. Wir haben viel gemeinsam ausprobiert - vom Gitarren-Folk bis hin zum Indie-Pop.

Diese Vielseitigkeit hört man dem Album auch an. Wolltest du im Vergleich zum Debüt neue Territorien beschreiten?
Ich bin ziemlich naiv an die ganze Sache rangegangen, weil ich keine Erfahrung mit Produktion und Arrangements hatte. Ich habe Mario total vertraut und schon beim ersten Song hatten wir so viel Spaß, dass ich wusste, es passt. Eine Richtung könnte ich erst einschlagen, würde ich mich selbst gut auskennen.

Hast du durch diese Zusammenarbeit Dinge zugelassen, mit denen du vorher gar nicht gerechnet hättest?
Bestimmt sogar. Ich leide eigentlich an „Demotitis“ - die erste Fassung eines Songs bleibt bei mir kleben und mir fällt es schwer, sie loszulassen. Das habe ich dieses Mal aber geschafft und andere haben Songs überarbeitet, sodass man einen Refrain oder eine Strophe komplett streicht und mal etwas anderes probiert. In der Folk-Schiene neigt man zur Langsamkeit und zur Melancholie. Mario hatte aber keine Angst vor dicken Drums und mehr Tempo, wodurch auch die Songs poppiger wurden und angezogen haben. Dafür bin ich sicher mehr aus mir herausgegangen.

Vom Pop-Verständnis her bist du Taylor Swift zu „Folklore“-Zeiten gar nicht so fern. Man hört und fühlt auch Joni Mitchell und Bon Iver. Man könnte sagen, du pflegst einen US-Westküstensound.
Ich bin ein großer Fan von Taylor Swift, aber auch Phoebe Bridgers oder Maggie Rogers sind wichtige Wegweiserinnen für mich. Da blieb unterbewusst sicher etwas hängen, das auf meinem Album landete. Der allererste Song auf „Monument“ war „Friday“, der auch der leichtfüßigste ist. Dann kam „Ocean Girl“ und von dort weg ging es quer durch den Gemüsegarten. Abgeschlossen wurde das Album mit dem Titeltrack.

„Friday“ interpretiere ich wie eine Ode an den Müßiggang und an das Pausieren. Sich einmal zu entspannen und den Tag vorbeiziehen zu lassen.
Gerade als Musikschaffende und Kulturmensch hat man nicht den normalen Tagesrhythmus von „9 to 5“. Meine Tage laufen oft anders ab als die von Freundinnen. Viel findet in der Nacht statt und den Song schrieb ich an einem Freitag, wo ich mit meinem Kaffee herumsaß und absolut nichts gemacht habe.

Österreich liebt seine Normen und Regeln und ich habe oft das Gefühl, die Toleranz für Abweichungen eines Tagesverlaufs ist hierzulande enden wollend …
Ich kann das absolut nachvollziehen. Ich habe viele Freundinnen, die in der Branche arbeiten, wo man sich verstandener fühlt, das ist aber nicht überall so. Ich muss mir schon oft blöde Sprüche anhören, wenn ich am Donnerstagvormittag daheim bin und von der Nachbarin ein Paket entgegennehme. Aber das heißt nicht, dass ich immer gemütlich brunche. (lacht) Ich kämpfe ein bisschen damit, dass meine Arbeit nicht ganz ernst genommen wird, aber es hat sich verbessert, seit ich allen zeigen kann, was ich mache.

Hast du manchmal auch „joy of missing out“? Die Freude am Nichtstun und bewusst nicht dabei sein?
Das würde ich nicht sagen, denn gerade was Partys oder Treffen angeht, bin ich eigentlich immer und überall dabei - auch wenn ich mittlerweile schon über 30 bin. (lacht) Ich bin eher zu viel wo als zu wenig.

Der Albumtitel „Monument“ klingt in erster Linie pompös, überragend und wuchtig, was aber eigentlich so gar nicht zu deinen zarten, durchdachten Nummern passt …
Ich finde das bloße Wort schön und man hat damit sofort eine Assoziation. Ich habe mir für mich ein Denkmal gebaut. Das Album ist der Beweis, dass ich das, was ich mache, da ist und sich nicht verflüchtigt. Ich lasse etwas zurück. Es liegt vielleicht in meiner Natur, dass ich einen gewissen Geltungsdrang habe und etwas errichten möchte, das da ist und da bleibt. Natürlich baut sich niemand selbst ein Denkmal, aber den Song von Wir sind Helden fand ich auch immer gut. Ein Monument darf man beschmieren und wegreißen, man kann sich daran abarbeiten und kann es kritisieren. Dieser Blickwinkel gefällt mir ganz gut.

Machst du dir prinzipiell viele Gedanken über Zeit? Darüber, dass von dir eben etwas bleibt und dein Vermächtnis nach deinem Ableben hinaus weiterbesteht?
Die Produktion hat einen Klangteppich, der gerade sehr verbreitet ist, aber ich habe immer den Anspruch Musik zu machen, die einen zeitlosen Charakter hat. Mir sind auch die Texte ungemein wichtig, weshalb sie jeder für sich interpretieren und verstehen kann. Dadurch gehen sie automatisch über das Jetzt hinaus, weil die Themen universell sind. Ich habe einen sehr nachhaltigen Gedanken, was meine Musik angeht.

Im Pressetext zu „Monument“ steht, dass einer der wichtigsten Stützpfeiler für das Album das Thema Verlust ist. Musstest du mit schweren Verlusten umgehen lernen?
Es ist mehr darauf bezogen, dass eben auch etwas dableibt und uns überlebt. Es geht weniger um den Verlust eines Menschen oder die Angst davor. Ich kämpfe mit „Monument“ gegen die Flüchtigkeit an. In „See-Through“ bin ich nicht durchsichtig, sondern genau das Gegenteil. Wenn ich das Album jetzt post-rationalisiere und mir überlege, was der Kitt ist, ist es wohl ein kleiner Schrei nach Liebe. Der Wunsch, zu zeigen, was ich gemacht habe. Ich will, dass man meine Musik hört, deshalb liebe ich auch das Konzertespielen.

Ist die Musik für dich ein Zufluchtsort von der oft sehr harschen und erbarmungslosen Realität?
Ich bin immer sehr da beim Musikmachen und flüchte mich nicht darin. Musik gehört zu den Dingen, die ich im Leben am allerliebsten mache. Ich gehe aktiv in eine Situation, die mir behagt. Ich will mein Leben mit schönen Sachen füllen und die Musik ist einer der wichtigsten Bausteine davon. Für mich ist der ganze Prozess bei einem Album spannend und aufregend.

Ist der Song „Little Garden“ eine Metapher dafür? Ist die Musik dein kleiner Garten Eden?
Das kann man so sagen, sie ist ein Wohlfühlort. Ich editiere viel, aber ich muss mich in meiner Kreativität nie quälen - das würde ich mir auch nicht antun. (lacht) Das Musikmachen hat natürlich schwierige Seiten, gerade wenn es professionell wird und man überlegt, ob man davon leben kann oder nicht. Aber das Leben an sich ist hart genug, da muss ich mich nicht bei meiner Leidenschaft quälen. Mir ist die Freiheit in der Musik sehr wichtig, diese Entscheidung habe ich bewusst getroffen. Ich bin sehr flexibel und überhaupt nicht eingefahren. Ich habe auch keinen Fünf-Jahres-Plan.

Was hat es mit dem „Ocean Girl“ auf sich?
Der erste Satz heißt „I’ve never been an ocean girl“. Ich habe seit meiner Kindheit eine extreme Angst vor dem tiefen Meer. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich mit meinem Vater den „Weißen Hai“ gesehen habe, als ich noch viel zu jung dafür war. (lacht) Ich bin viel zu feig, um mich dem Unbekannten und Dunklen hinzugeben. Im Song geht es aber eigentlich um eine Beziehung, in der es einen Wunsch nach Freiheit gibt, man aber Angst hat, sich in die sieben Weltmeere zu stürzen. Man will raus, aber es ist auch viel Liebe da. Da geht es nicht um eine romantische Beziehung, sondern um eine Klammerung. Ich schrieb diesen Song, bevor die angesprochene Situation gelöst war. Viele Texte entstehen in Momenten, wo mich etwas extrem beschäftigt.

In der Kreativität kennst du aber keine Ängste, denn sonst würdest du andere Menschen wahrscheinlich nicht so nah an deine Gefühle und Emotionen heranlassen?
Ich finde es in der Musik cool, Sachen zu machen, obwohl man davor Angst hat. Ich habe im deutschsprachigen Raum viele Tourtermine und davor fürchte ich mich ein bisschen. Es kommt immer ganz auf die Bühne an. Manchmal möchte ich am liebsten gar nicht rauf und lieber weggehen, an anderen Abenden kann ich die Auftritte gar nicht erwarten. Ich habe aber immer eine gewisse Form von Lampenfieber.

Mit dem in Wien wohnhaften US-Songwriter Ian Fisher hast du mit „Fall Into My Arms“ und „Monument“ zwei Nummern aufgenommen. Haben die inhaltlich nach einem männlichen Gesangspart verlangt?
Ich würde nicht sagen, dass sie nach einem männlichen Part verlangt haben, aber seine Stimme ist eine tolle Ergänzung. Es waren die zwei Songs, mit denen ich nicht ganz zufrieden war. Ian hat sich zum Glück gleich bereit erklärt, bei den Nummern mitzuschreiben und mitzusingen und das ist eine totale Aufwertung. Er schreibt auf den Punkt und ich bin ein großer Fan von ihm. Wenn es sich terminlich ausgeht, würde ich auch gerne live mit ihm auftreten. Wir haben auf seiner Tour die zwei Songs im Wiener Stadtsaal und in Berlin live gespielt und es klappte wunderbar. Ich freue mich immer, wenn er Zeit dafür findet.

Der Song „Monument“ dreht sich um eine toxische Beziehung.
Das stimmt. Wegen des Songs habe ich schlussendlich auch das Album so genannt, weil ich das Wort cool finde. Es hat nichts mit dem Inhalt an sich zu tun. Der Inhalt ist aus einer Außenperspektive geschrieben. Wenn man Freunde hat, die sich nicht guttun und man sich dauernd fragt, warum diese Leute nicht Schluss machen, weil es nach außen so irre wirkt. Als Freundin fühle ich mich aber nicht in der Lage, das Feedback zu geben, denn wie sollen sie es annehmen? Trennen sie sich, habe ich alles zerstört. Ich schreibe lieber einen Song darüber, als direkt etwas zu sagen. (lacht)

Ist die Musik für dich ein wiederkehrendes Ventil für Ausdrucksformen, die du sonst gerne umschiffst oder zurückhältst?
Bei „Intoxicated“ geht es zum Beispiel um Alkoholmissbrauch und das ist auch ein Thema, wo ich in der Musik ein Ventil habe, um darüber zu reden. Die Themen sind alle aus meinem Leben gezogen.

Der Sound von „Intoxicated“ erinnert mich an die Rrriot-Girls der 90er-Jahre rund um Bikini Kill oder L7. Der Song hat einen untrüglichen Grunge-Vibe.
Wir dachten beim Machen auch an die 90er, aber eher an Sheryl Crow. Ich bin ein Kind der 90er-Jahre.

Angelehnt an den Song „Westbound“ - bist du jemand, der sich gerne gen Westen orientiert? Man hört es deiner Musik zumindest an.
Die Story basiert auf den Roman „The Price Of Salt: Or Carol“ von Patricia Highsmith, von dem es auch eine Verfilmung gibt. Es geht um ein lesbisches Paar und es war der erste Roman, wo eine Liebesbeziehung zwischen einem homosexuellen Paar positiv ausging. Das war davor immer ganz anders. Der Roman hat mich ungemein berührt und der Song ist aus der Perspektive der zwei Hauptcharaktere geschrieben. Dazu kommt eine Roadtrip-mäßige Sehnsucht nach dem Reisen. Es wäre sehr cool, sich ins Auto zu setzen und durch Amerika zu fahren.

Könntest du dir vorstellen, dich musikalisch dort auszuprobieren und mal zu schauen, ob sich das ausgehen kann?
Durchaus. Es gehört nur der notwendige Push dazu, dass ich alles organisiere und auf die Beine stelle. Wenn mir das jemand ebnen würde, wäre ich schon drüben. (lacht) Es gibt überall viele tolle Künstler, aber ich würde gerne alles probieren.

Der eingängigste Song auf „Monument“ ist „Green Room“ - spricht er auf etwas ganz Besonderes an?
Den Song haben wir beim 10 Volt Festival in Hallein gemacht. Dort gab es eine Artist-Residence und fünf Tage vor dem Festival haben wir Künstlerinnen und Künstler gemeinsam geschrieben. Es wurden verschiedene Räume aufgebaut und einer hieß „Green Room“ in einem Schloss. Moritz Kristmann, der mitschrieb, hat sich mit mir mit der Gitarre hingesetzt und ich schrieb über das, was ich sah. Da war ein riesiges Schwimmbad mit einem Sprungturm und ich überlegte mir, wie es wohl ist, wenn man am Boden des Schwimmbeckens liegt und einfach nur in die Luft schaut. Ich war gerade extrem gestresst, weil so viel zu tun war und habe mich dorthin fantasiert. Wir hatten noch einen zweiten Song, der uns nicht ganz gefiel, stattdessen haben wir „Green Room“ aufs Album gegeben.

Hast du eigentlich geografische oder mentale Rückzugsorte, die für dich und deine Kreativität wichtig sind?
Seitdem ich in Wien bin, ist das ein bisschen schwieriger. Ich bin eine absolute Berggeherin und jetzt fahre ich in den Lainzer Tiergarten oder auf den Kahlenberg. (lacht) Es klingt so österreichisch, aber in der Wildnis und auf den Bergen komme ich total raus. Wenn man von oben runterschaut, habe ich das Gefühl, dass wir alle so klein sind und in den Tälern wie ein Virus durch die Adern der Welt kriechen. Auch wenn die Welt brennt, sieht von oben immer alles okay aus.

Ist es eigentlich angenehm, dass du das Projekt Amelie Tobien mittlerweile auf vielen Schultern verteilt hast und nicht mehr alles alleine machst?
Absolut. Mir ist ganz wichtig, dass die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, verlässlich sind und auf Mails und WhatsApp-Nachrichten antworten, was leider nicht immer selbstverständlich ist. Ich will, dass ihnen auch gefällt, was wir machen. Das „Wir“ ist viel angenehmer als das „Ich“ und ich kann es sehr schätzen. Wenn ich mich auf jemanden verlassen kann, kann ich auch gut abgeben. Durch die Albumförderung und den Tour-Support war jetzt auch einmal Budget da, um etwas abgeben zu können. Man kann nicht immer alle um Gefallen fragen.

Hast du schon Ideen, wie du deine älteren und die neuen Songs live auf der Bühne vermischt?
Ich werde mich jetzt total auf das neue Album konzentrieren und habe maximal drei Favoriten von der ersten Platte, ansonsten stürze ich mich auf die neuen Songs. Ich habe drei Musikerinnen dabei und ich freue mich extrem auf die Shows.

Österreich-Tourtermine
Amelie Tobien stellt ihr neues Album „Monument“ heute Abend, am 21. April, im Triebwerk Wiener Neustadt vor. Weitere Fixtermine: 10. Mai im Salzburger Rockhouse, 12. Mai in den Kammerlichtspielen in Klagenfurt und am 13. Mai in der Wiener Sargfabrik.

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