Abtreibungspillen-Aus?

Fall Mifepriston: Der US-Kreuzzug gegen Frauen

Ausland
19.04.2023 15:45

Frauenrechte werden in den USA mittlerweile systematisch eingeschränkt. Ein erwartetes Grundsatzurteil des US-Höchstgerichts zu einer Abtreibungspille könnte die Lage für Millionen Menschen weiter verschlimmern. Doch bei dem Fall steht noch viel mehr auf dem Spiel. 

Der vergangene Sommer hat die USA verändert. Seitdem das Grundsatzurteil Roe versus Wade gekippt wurde, haben Frauen etwas verloren, das in anderen Demokratien als selbstverständlich gilt: das Recht, über ihren eigenen Körper zu entscheiden. Seit der US-Supreme-Court das Urteil kippte, ist es den Bundesstaaten selbst überlassen, über Abtreibungsregeln zu entscheiden.

Zwölf US-Gouverneure, ausschließlich Republikaner, haben seither Abtreibungsverbote eingeführt. In den kommenden Monaten droht Frauen in weiteren Regionen der Vereinigten Staaten ein ähnliches Schicksal. Zwölf weitere Bundesstaaten arbeiten aktuell daran, Abtreibungen einzudämmen oder zu verbieten.

Viele verzweifelte Frauen greifen daher auf die sogenannte „Telemedizin“ zurück. Schwangere verabreden sich hierbei digital mit einem Arzt außerhalb ihres Bundestaates und lassen sich die Abtreibungspille Mifepriston verschreiben und per Post zuschicken, um sie zu Hause einzunehmen.

Doch diese Methode - aus absoluter Not geboren - steht nun ebenfalls auf der Kippe. Am Mittwoch beschäftigt sich das Höchstgericht der USA mit der Frage, ob dem Hormonhemmer die Zulassung entzogen wird. Das wiederum hätte Auswirkungen auf die gesamten USA.

Die Ausgangslage
Abtreibungsgegner haben in Texas gegen die Zulassung der Abtreibungspille Mifepriston geklagt. Der von Ex-Präsident Donald Trump ernannte Bundesrichter, Matthew Kacsmaryk, hatte dem stattgegeben. Anschließend folgten gegenteilige Entscheidungen, Berufungen und Notfallanträge. Die nun aber alle - inklusive des Urteils von Kacsmaryk - ausgesetzt sind. Der Fall liegt nun vor dem Höchstgericht der USA. Der Supreme Court hat eine konservative Mehrheit von sechs zu drei.

Was ist Mifepriston?

Mifepriston hemmt die Wirkung des Schwangerschaftshormons Progesteron und bewirkt, dass sich der Muttermund öffnet und der Embryo sich aus der Gebärmutter herauslöst. Misoprostol, rund zwei Tage später eingenommen, führt zu Kontraktionen der Gebärmutter und zur Entspannung des Muttermunds. Das Schwangerschaftsgewebe wird anschließend - ähnlich wie bei einer Fehlgeburt - abgestoßen.

Wie argumentiert der texanische Richter?
Der erzkonservative Bundesrichter Kacsmaryk begründet seine Entscheidung zu Mifepriston mit „fehlenden Regularien“ der zuständigen US-Arzneimittelbehörde FDA. Dies hätte „zu vielen Todesfällen und noch mehr schweren oder lebensbedrohlichen Nebenwirkungen“ geführt.

Der Richter beruft sich unter anderem auf eine finnische Studie. Deren Autor hat die Ausführungen von Kacsmaryk als „grobe“ Missinterpretation bezeichnet. Etliche Experten beschreiben die Einnahme der Abtreibungspille als sehr sicher.

Mifepriston, in Österreich unter dem Handelsnamen Mifegyne bekannt, wird in den USA bei mehr als jedem zweiten Schwangerschaftsabbruch eingesetzt. Die FDA listet bei mehr als 5,6 Millionen Einnahmen von Mifepriston seit der Zulassung im Jahr 2000 lediglich 28 Todesfälle, die teils mit anderen Faktoren in Verbindung gebracht werden.

Was hätte die Aufhebung der Zulassung für Auswirkungen?
Mifepriston dürfte nicht mehr vertrieben oder verschrieben werden. Das hätte Folgen für die Gesundheitsversorgung von Millionen Menschen in den USA. Ungewollt Schwangere müssten auf unsicherere Methoden zurückgreifen. Experten gehen zudem davon aus, dass mehr Kinder in ärmliche Verhältnisse geboren werden würden. Zudem wird vor einer Zunahme von häuslicher Gewalt und anderen prekären Lebensverhältnissen gewarnt. Viele Menschen können es sich einfach nicht leisten, in einen anderen Bundesstaat zu reisen. 

Lawrence Gostin, Rechtsprofessor an der Georgetown University, skizziert in einem Kommentar auf einer medizinischen Plattform, dass der Supreme Court nicht nur über das Medikament Mifepriston entscheidet. Es gehe um die Frage, ob man in Zukunft der FDA zutrauen wird, die Wirksamkeit von Impfstoffen und Arzneimitteln zu bestimmen - oder fachfremden Richtern. Das hätte gravierende Auswirkungen auf die Pharmaindustrie.

Mehrere demokratisch regierte Bundesstaaten bereiten sich bereits auf ein mögliches Verbot der Abtreibungspille vor und horten es. Maura Healey, Gouverneurin von Massachusetts, teilte mit, der Bundesstaat verfüge über reichlich Rücklagen. „Diese politische Einmischung in die medizinische Grundversorgung schadet Frauen in einer schwierigen und herzzerreißenden Zeit“, erklärte Healey. „Es ist ein Versuch, Frauen zu bestrafen, zu beschämen und auszugrenzen.“ Auch Washington habe für drei Jahre ausreichende Vorräte gesammelt.

Wie wird sich der Supreme Court entscheiden?
Das ist noch nicht absehbar. Es gibt bisher keinen Präzedenzfall, was Gerichtsentscheidungen betrifft, die die Zulassung von durch die FDA zugelassenen Medikamenten betrifft. Wie der Supreme Court zum Thema Abtreibungen steht, lässt die ideologisch stark eingefärbte Entscheidung der konservativen Mehrheit in Sachen Roe versus Wade nur erahnen.

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