Fremd daheim

„Ich will Träume leben, nicht die Sicherheit“

Vorarlberg
23.04.2023 11:25

Migranten, die Vorarlberg positiv geprägt haben, gibt es unzählige. Dem Choreografen Peterson da Cruz Hora ist aber ein ganz besonderes Kunststück gelungen: Mit der Akrobatiktanzgruppe „Zurcaroh“ hat er das Land regelrecht verzaubert.

Er wolle kein Interview geben, schreibt er auf meine Anfrage zurück. Zu sehr habe ihn einmal ein Journalist hierzulande verletzt, ihn bewusst falsch zitiert, Dinge über ihn geschrieben, die er gar nicht gesagt hatte. „Das machte mich wochenlang tief traurig.“

Ich weiß zu gut, wovon der brasilianische Choreograf Peterson da Cruz Hora redet, jener Ausnahmekünstler, der hier in Vorarlberg lebt und dem im Jahr 2018 mit seiner Akrobatiktanzgruppe „Zurcaroh“ ein Coup gelang, über den man sich im Ländle noch lange ungläubig die Augen rieb. Er und seine Tänzerinnen und Tänzer wurden bei „America’s Got Talent“, der größten Fernsehshow auf diesem Erdball, die Nummer Zwei.

Er sei weder vor dem Erfolg noch danach ein anderer Mensch gewesen, erzählt er mir später im Interview, auf das er sich trotzdem wieder einlässt, weil er daran glaubt, dass nicht alle Menschen voller Missgunst sind und man generell offen bleiben müsse, ansonsten man sich selbst in ein ungewolltes Gefängnis sperre und nicht mehr empfänglich für neue Begegnungen sei.

Vor mir sitzt ein junger, blendend aussehender, enorm durchtrainierter Mann mit strahlend weißen Zähnen. Aber das sind Äußerlichkeiten. Vor mir sitzt auch ein junger Mann, der zerbrechlich wirkt und eine tiefe Nachdenklichkeit ausstrahlt.

Schneider: Herr da Cruz Hora, zuerst einmal Danke, dass Sie mir vertrauen. Erzählen Sie mir aus Ihrer Kindheit in Brasilien. Wo genau stammen Sie her?
Da Cruz Hora: Ich bin in Guarujá aufgewachsen, auf der Ilha de Santo Amaro. Das liegt vor der Küste von São Paulo. Wir sind vier Buben. Zwei mütterlicherseits und zwei väterlicherseits. Mein Vater war Kfz-Mechaniker, meine Mama Verkäuferin. Auf der Insel gibt es achtzehn Badestrände...

Dann haben Sie als Junge vermutlich nur am Strand gelebt, unter den Sternen?
Ja genau. Mein Vater hatte nämlich noch zusätzlich einen kleinen Kiosk am Strand. Dort haben wir ausgeholfen.

Aufgewachsen ist Peterson da Cruz Hora auf der Ilha de Santo Amaro. (Bild: Mathis Fotografie)
Aufgewachsen ist Peterson da Cruz Hora auf der Ilha de Santo Amaro.

Vermutlich eine dumme Frage für einen Brasilianer: Wie kamen Sie zu dieser Mischung aus Tanz und Akrobatik?
Ach, das kommt von der Capoeira, als ich noch ein kleiner Junge war. Die Capoeira ist eine Art Kampftanz mit vielen akrobatischen Elementen. Meine ganze Familie hat das getanzt. Ursprünglich stammt diese Kunst aus Afrika und wurde von verschleppten Sklaven nach Brasilien gebracht. Da war es nicht weit, mich mit dem Geräteturnen zu beschäftigen und dann mit Akrobatik.

Aber von etwas mussten Sie auch leben. Was haben Sie gearbeitet?
Nach dem Gymnasium musste ich mich entscheiden. Entweder studieren oder die Akrobatik vorantreiben und Geld verdienen. Alles zusammen ging nicht. Also habe ich im Frachthafen bei einer Spedition gejobbt. Ich wollte unbedingt Tänzerakrobat werden und habe dann eine Privatschule besucht.

Und eines Tages haben Sie den Atlas aufgeklappt, mit dem Finger blind auf einen Punkt gezeigt: Götzis. Dahin will ich!
Nein, so war es nicht. Das lief über die Worldgymnaestrada 2007, die in Dornbirn stattfand. Ich hatte mit meiner Gruppe Zurcaroh in einer brasilianischen Fernsehshow den 1. Platz gewonnen. Der Bürgermeister meiner Stadt hat die Flüge bezahlt, und so kamen wir nach Dornbirn. Hier lernte ich meine Frau kennen, habe begonnen, eine Gymnastikgruppe aufzubauen. Leider zerbrach unsere Beziehung, weshalb ich wieder nach Brasilien zurückkehrte. Aber die vielen wunderbaren Menschen, die ich hier in Vorarlberg kennengelernt hatte, ließen nicht locker, schrieben mir: „Peterson, ohne dich geht es einfach nicht! Komm wieder zurück!“ Sie richteten mir in Götzis sogar eine kleine Wohnung ein.

Heimweh nach Brasilien plagt den Choreografen nicht, er fühlt sich in Vorarlberg rundum wohl. (Bild: Mathis Fotografie)
Heimweh nach Brasilien plagt den Choreografen nicht, er fühlt sich in Vorarlberg rundum wohl.

In Ihren spektakulären Choreografien erzählen Sie ja immer auch Geschichten. Große, uralte Mythen. Wer oder was inspiriert Sie dazu?
Ich erinnere mich, das war 2002 in Brasilien vor einem großen Wettkampf. Ich sollte eine Choreografie erarbeiten und hatte keine Ahnung, was ich erzählen wollte. Ich war leer wie eine Wüste. Dabei hatten wir nur noch drei Wochen Zeit. Da ging ich in unser Stadion, setzte mich in der obersten Reihe auf die leere Tribüne und sagte: Lieber Gott, wenn du mir hilfst, eine Idee zu finden, werde ich mein Leben lang allen Menschen von diesem Tag erzählen. Und er gab mir alles. Ich schwöre es Ihnen. Auf einmal wurde alles ganz leicht. Ich begann, die Bibel zu lesen und fand die schönsten und größten Stoffe der Menschheit darin. Nebenbei gewannen wir noch den Wettkampf.

Wie kam es zur Einladung in die Show „America’s Got Talent“?
Ich plante einige Inspirationsvideos über meine Arbeit und sprach mit einem Filmemacher hier in Vorarlberg. Dann schnitt ich die Clips und stellte sie auf Youtube. Eines Tages rief jemand von der NBC an. Sie wollten mich einladen, würden die Hotels und die Flüge bezahlen.

Wie? Die NBC hat Sie auf Youtube entdeckt?
Genau so war es. Der Rest ist Geschichte. Der Preis war jedoch hoch. Es hat meine Gesundheit belastet. Ich konnte nicht mehr schlafen. Aber besser ist es, mit meinem Traum zu leben, als in der Sicherheit. Ich kann nicht anders. Ich möchte mit meiner Arbeit sterben.

Peterson da Cruz Hora würde gerne in Vorarlberg eine Familie gründen. (Bild: Mathis Fotografie)
Peterson da Cruz Hora würde gerne in Vorarlberg eine Familie gründen.

Sie leben jetzt schon seit vierzehn Jahren in Vorarlberg. Wo sind Sie daheim?
Am Anfang sagte ich immer: Wenn ich in die Pension komme, werde ich auf jeden Fall nach Brasilien zurückkehren. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Weil ich schon so lange weg bin, haben sich auch die Freundschaften verändert. Ich würde hier gern eine Familie gründen.

Ich erlebe Sie als einen sehr nachdenklichen Menschen. Ein Mensch, den eine große Ernsthaftigkeit umgibt, wenn ich das sagen darf. Irre ich mich?
Ich glaube, dass jeder Künstler nur dann wirklich groß ist, wenn er zuvor durch ein dunkles, tiefes Tal gegangen ist. Dann schafft er die größte Kunst. Ich muss da gerade an die Musik von Adele denken.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Vorarlberg Wetter
-5° / -0°
Symbol stark bewölkt
-6° / 1°
Symbol stark bewölkt
-4° / 2°
Symbol stark bewölkt
-7° / 1°
Symbol stark bewölkt



Kostenlose Spiele
Vorteilswelt