„Krone“-Interview

Tin Man: „Wien ist die beste Stadt für Musik“

Musik
02.05.2023 11:00

Unter dem Pseudonym Tin Man begeistert der Kalifornier Johannes Auvinen seit 2007 die Wiener Club-Szene mit Acid-Techno. Für sein neuestes Werk „Arles“ wandte er sich während der Pandemie aber Ambient-Soundflächen zu und tauchte tief in die Welt von Maler-Genie Vincent Van Gogh ein. Sein Sound bricht stets mit gängigen Konventionen. Im Interview gab uns der Musiker Einblick in seine Seelen- und Kreativwelt.

„Krone“: Johannes, nach welchen Kriterien entscheidest du eigentlich, ob du Material als Tin Man oder unter deinem bürgerlichen Namen Johannes Auvinen veröffentlichst?
Tin Man:
 Musiker können sehr verschiedene Dinge unter demselben Namen aufnehmen. Manche tun sich schwer damit und erschaffen ein neues Alias für sich. Ich mache so gut wie alles unter dem Namen Tin Man und habe nur unlängst ein Album unter meinem richtigen Namen veröffentlicht. Dieses Album „Arles“ ist auch ein bisschen anders, aber es sind die klassischen Tin-Man-Ingredienzen der alten Alben darauf zu finden.

Du kommst vom Acid-Techno, doch weder das neue Album, noch der Vorgänger „Akkosaari“ haben sonderlich viel mit dieser Ausrichtung zu tun.
Es gab mehrere Gründe, warum ich die Richtung etwas verändert habe. Die Geschichte von „Akkosaari“ griff auf meine finnische Herkunft zurück, weshalb es viel persönlicher war als andere Alben. Während der Pandemie haben viele Künstler verstärkt auf Ambient-Elemente zurückgegriffen und so habe ich es auch gehandhabt. Ich habe bislang schon viele Dance-Alben veröffentlicht und deshalb habe ich „Akkosaari“ als Johannes Auvinen veröffentlicht. Die Erwartungen wären sicher andere gewesen.

Klingt „Arles“ aufgrund der Pandemie mehr nach Brian Eno als nach Acid?
Möglicherweise schon. Ich bin dem Ambient-Sound in dieser Zeit ziemlich verfallen, es ging gar nicht anders. Aus einer professionellen Sicht heraus musste ich ein Album machen, das kein Club-Feeling versprüht, weil Clubs geschlossen waren. Es hat sich einfach gut ergeben und hat zur damaligen Zeit gepasst.

Hast du schon vor der Pandemie an „Arles“ gearbeitet oder ging es erst währenddessen so richtig los?
„Arles“ entstand am Ende der Pandemie. Ich habe im Spätwinter 2022 daran zu schrauben begonnen, aber es gab schon vorher Ideen. Ich war viel spazieren und habe dabei sehr viel Krautrock gehört, der ein großer Einfluss auf das Werk war.

Ist „Arles“ im Endeffekt ein instrumentales Konzeptalbum über Vincent Van Gogh und seine Zeit im französischen Arles?
Für mich geht es um die Geschichte, wie er in Arles ankam und dann von der Gegend inspiriert wurde und eine neue Art der Malerei entdeckte. Das wollte ich mit meiner Musik festhalten. Die Krautrock-Einflüsse haben mich dann in diese Richtung zurückgeführt. Es entstand die Idee eines Konzeptalbums, wie es beim Krautrock üblich war. So wie Kraftwerk damals in Südfrankreich auf Urlaub waren und dann sehr entspannt komponierten. Das war eine Inspiration dafür. Ich liebe Van Gogh und im breiten Spektrum der Acid-Musik gibt es Parallelen zu seiner Malerei. Simple Melodien und Szene und die Färbung der Songs ähneln seiner Kunst in sehr abstrakter Weise. Die Musik erinnert mich oft an ihn. Ich male Bilder, klanglich.

Visualisierst du deine Musik immer? Hast du beim Erschaffen von Musik ein bestimmtes Bild im Kopf?
Ich habe Kunst studiert und male selbst. Ich habe immer ein gewisses Bild im Kopf, wenn ich mich an die musikalische Arbeit mache. Für ein Konzeptalbum brauche ich vorab eine Geschichte, aber auch ein gewisses Bild. Es kann aber auch von Filmen, Literatur oder Soundtracks inspiriert sein, aber wichtig ist mir, die verschiedenen Kunstformen dann zusammenzuführen.

Hat sich dein Narrativ mit den Songs auf „Arles“ geschlossen, oder gibt es mehr Material, das noch übriggeblieben ist?
„Arles“ ist der erste Teil. Insgesamt gibt es zwölf Songs und ich habe mich dazu entschieden, jetzt einmal nur die ersten sechs zu veröffentlichen. In der Theorie sollten im Herbst die anderen folgen.

Gibt es musikalische Unterschiede oder fügt sich Teil zwei nahtlos an „Arles“ an?
„Arles“ ist die erste Hälfte, also gibt es ganz klare Zusammenhänge. Wenn ich an einem Album arbeite, fließen immer alle Komponenten zusammen. Grafik, Musik, Gedanken - es ist eine große Reise.

Hattest du den Titel und das Grundgerüst schon vorab im Kopf, oder ergibt sich das bei dir durch die Arbeit an Klängen und Liedern?
Ich habe immer eine sehr einfache Idee, wie ich alles verbinden möchte. Dann entstehen tonnenweise Song-Snippets und Gedanken und langsam schichte ich die richtigen Lieder raus, die dann zu einem Album führen.

Fällt es dir schwer, dich von einem abgeschlossenen Projekt zu lösen und mit einem neuen dann wieder ganz von vorne zu beginnen?
Ich bin nicht diese Art von Person, die genau überlegt, welches Projekt sich entwickelt. Die Dinge entstehen daraus, dass ich konstant an Musik arbeite und gewisse Ideen einfach gut zusammenpassen. Es gibt von mir Alben, wo Songs schon zehn Jahre und andere erst sechs Monate alt waren. Meine Arbeitsweise ist übergreifend.

Ist die elektronische Musik an sich für dich immer noch gleich aufregend wie eh und je oder bist du von deinen Einflüssen her längst weiter ausgeschert?
Elektronische Musik ist extrem breitflächig und es gibt immer etwas zu entdecken, was man nicht kennt. Zumindest die letzten 30 Jahre waren dermaßen voll mit Ideen aus allen Richtungen, dass es nie langweilig wurde. Da geht es auch gar nicht um die führenden Köpfe, sondern um die Bedroom-Produzenten, die neue Territorien erforschen und die Musik immer wieder aufs Neue revolutionieren. Allein aus den letzten drei Dekaden kann ich aus so viel schöpfen, dass ich nie fertig werde.

Gefällt es dir, dass das Rampenlicht des Mainstreams nicht so stark auf dich und deine Musik fällt?
Es ist, wie es ist. Einigen gelingt dieser Tage ein Durchbruch, aber in meiner Welt geht es um Clubshows und kleine Venues, in denen hitzige Partys stattfinden. Für mich ist das auch eine Form des Erfolgs und es gibt nur sehr wenige Künstler, die wirklich breitflächig durchdringen oder überhaupt so berühmt werden wollen.

Du bist 2007 von Kalifornien nach Wien gekommen und dann geblieben. Was war der ursprüngliche Grund dafür?
Ich habe eine Künstlerin aus Österreich in Kalifornien kennengelernt und wir sind zwischen Los Angeles und Wien hin und her gependelt. Irgendwann bin ich dann einfach hiergeblieben. L.A. und Wien sind beides Musikstädte, nur aus verschiedenen Gesichtspunkten. Los Angeles ist die Heimat von Rock und Hip-Hop und als ich dort lebte, gab es zwar tolle elektronische Musik, aber keine große Szene dafür. Das hat sich mittlerweile deutlich verbessert, aber damals war es eher fad. In Europa war das ganz anders. Die Elektronikszene in Wien war grandios, am Wochenende kam man gar nicht nach vor lauter Möglichkeiten.

Gerade in den 90er-Jahren und rund ums Millennium war Wien ein Epizentrum für elektronische Musik. Wie sieht es deiner Ansicht nach heute hier aus?
Heute entdecken die Leute Musik hauptsächlich durch Streaming, Podcasts und das Radio - früher ging das eher über lokale DJs und Clubs. Da hat sich natürlich einiges verändert. Die lokale Musikszene ist immer noch gut. Es gibt viele elektronische Musikproduzenten in Wien, aber wenig Zusammenarbeit und Unterstützung untereinander. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass das per se nichts Negatives ist, weil die Szene trotzdem sehr vital ist und man sich indirekt unterstützt. Es gibt viele Menschen in der Szene, die sich über mangelnden Support beschweren, aber ich sehe das nicht so schlimm. Wenn man sich auf den Social-Media-Kanälen rumtreibt, sieht man viele große Events stattfinden, die Szene ist also frisch und lebendig. Es gibt keine superengen Gemeinschaften, weil die Leute gerne für sich arbeiten. Die Leute in Wien sind abends viel unterwegs, aber in verschiedenen Clubs. In anderen Städten haben Musikfans meist einen Lieblingsclub, in Wien, kommt mir vor, verteilt sich alles viel besser.

Das Mindset der Österreicher ist gewiss auch etwas anders, als man es wahrscheinlich aus Kalifornien gewohnt ist. Wie bist du anfangs mit dem Raunzen fertiggeworden und der Tatsache, dass Verfehlungen nicht als Lernprozess, sondern als Versagen gesehen werden?
Ich habe Freunde in L.A. und auch hier und aus meiner Erfahrung nach war es nie so schlimm, wie es oft dargestellt wird. Wien ist ein großartiger Platz, um zu arbeiten und um Shows zu spielen. Die Kultur ist großartig. Die Leute hängen in schönen Cafés ab und natürlich beschweren sie sich oft, aber ich finde das durchaus sympathisch.

Hast du eigentlich je in Finnland gelebt oder hast du dort nur familiäre Wurzeln?
Ich habe nie dort gewohnt. In den Sommermonaten habe ich Verwandte besucht. Ich habe auch nie in Berlin gewohnt, obwohl das viele elektronische Musiker machen und ich deshalb schon seltsam beäugt wurde. Für mich und meine Karriere ist Wien auf jeden Fall der bessere Ort.

Die elektronische Musikszene ist in Berlin gewiss größer als in Wien. Herrschen dort vielleicht auch zu viel Wettbewerb und Konkurrenzkämpfe?
Die Idee, dorthin zu ziehen und dann mit 1000 Kopien meines Sounds konfrontiert zu sein oder in Wettbewerb zu treten, hat mir nie gefallen. (lacht)

Wie bist du eigentlich so tief in elektronische Musik und speziell den Acid-Sound eingetaucht?
Das ist schwer zu erklären. Als ich Acid das erste Mal hörte, wurde ich völlig abhängig von dem Sound. Es hat den Groove von Funk und beruft sich auf klassische Kompositionen, gleichzeitig ist es sehr intellektuelle Kopfmusik, die nicht allzu eingängig ist. Mich hat das total in den Bann gezogen und nicht mehr losgelassen. So begann ich als Hörer. Ich habe nie geplant, ein professioneller Musiker zu werden. Es war lange ein Hobby und ich versuchte die spannenden Künstler aus L.A. nachzuahmen.

Mittlerweile kannst du rein von der Musik leben?
Ja, das geht sich aus. Ich hatte anfangs Jobs in der Gastro, aber seit ungefähr zehn Jahren kann ich die Miete rein mit der Musik bezahlen.

Sind Alben wie „Akkosaari“ und „Arles“ eigentlich als eigenständig anzusehende Kapitel in deiner Karriere gedacht, oder ist das eine beständige Abkehr von deinem bisherigen Stil?
Ich werde immer Dance-Musik erschaffen, das wird sich nicht ändern. Wie jeder andere Musiker habe aber auch ich verschiedene Zugänge zum Sound, das hält die Arbeit frisch. Derzeit bin ich auf einer Ambient-Welle, aber ich werde sicher auch zum klassischeren Acid-Sound zurückgehen. Ich freue mich schon, mit „Arles“ live aufzutreten.

Bist du prinzipiell von klassischen Musikern aus Österreich inspiriert?
„Arles“ ist sehr stark von Kraftwerk inspiriert und wenn man von dort weitergeht, landet man unweigerlich bei Schubert. Er hat mich immer fasziniert und ich bin tief in seine Musik eingetaucht. Ich kann dir nicht genau sagen, was mich so an ihm begeistert, aber ich wollte „Arles“ sehr harmonisch gestalten und habe auf die große Terz gesetzt. Es gibt sicher noch weitere Einflüsse von großen Klassikern, aber Schubert hatte definitiv den größten.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

„Krone“-Kommentar
vor 2 Stunden
Ostern
Kostenlose Spiele
Vorteilswelt