„Nicht gut für Marke“
Singlebörse Tinder zieht sich aus Russland zurück
Das heutige Russland nimmt immer totalitärere Züge an und die in den letzten 30 Jahren hart erkämpften westlichen Errungenschaften gehen zunehmend flöten. Ob die Dating-App „Tinder“ als solche einzuordnen ist, sei dahingestellt. Aber selbst die häufig als „Sex-App“ bezeichnete Software zieht nun vom Markt ab. Der Grund ist das schlechte Gewissen des Betreibers aufgrund der Menschenrechtsverletzungen, die Moskau tagein, tagaus begeht.
Lange Zeit schien es, als hätte Russland seine sowjetische Vergangenheit überwunden. Zu spüren war dies vor allem unter den jüngeren Menschen. Die Handy-App „Tinder“ war für viele junge Russinnen und Russen eine ganz neue Möglichkeit, um auf Männerfang zu gehen.
Schick gekleidet oder auch frisch vom Nagelstudio suchten sie nach ihrem Glück. Seit Beginn des Ukraine-Krieges vor über einem Jahr müssen sie jedoch beobachten, wie ihr Land immer mehr dem harten, repressiven Staat zu Großmutters Zeiten ähnelt. Auch das Wertesystem ändert sich. Die Russen scherzen indes im Netz. Mit dem Rückzug von Tinder würde man wieder zu folgendem Kennenlern-Format übergehen:
Politische Gründe
„Wir setzen uns für den Schutz der Menschenrechte ein und unternehmen daher Schritte, um unser Angebot in Russland einzuschränken. Daher werden wir bis 30. Juni 2023 den Markt verlassen“, lautet es im Jahresbericht des Unternehmens. Tinder gehört der Match-Group mit Hauptsitz in der Stadt Dallas im US-Bundesstaat Texas. Match hat sich bei der Entscheidung vergleichsweise viel Zeit gelassen. Viele andere westliche Firmen waren schneller.
Ein Aktionär der Match-Group sagte gegenüber Reuters, dass das Unternehmen gute Gründe habe, Russland zu verlassen. „Es ist nicht gut für eine vertrauenswürdige Marke, in einem Land tätig zu bleiben, dessen Staatschef vom Internationalen Strafgerichtshof angeklagt wurde“, hieß es in seinem Statement. Der Internationale Strafgerichtshof hatte am 17. März einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen und ihn beschuldigt, Kriegsverbrechen begangen zu haben.
Schlag für Aktivisten
Mit dem Rückzug von Tinder fällt nun aber auch ein Informationskanal für Aktivisten weg, die dort auf Initiative des Hackerkollektivs Anonymous unzensierte Informationen verbreiteten. Russen und Russinnen bekamen beim Stöbern in den Profilbeschreibungen Botschaften gegen den Krieg angezeigt - und Informationen, die sie in staatlichen Medien nicht erhalten hätten.
Dabei brachten sich jene, die sich an der Aktion beteiligten, in Gefahr. Denn Tinder muss seit einer Gesetzesänderung 2019 lokale Nutzerdaten mit Russlands Polizei und Geheimdiensten teilen und ist gesetzlich verpflichtet, die Nutzerdaten ein Jahr zu speichern. Womit gleich eine weitere Frage geklärt wäre: Ja, der Geheimdienst wacht in Russland anscheinend auch über die Schlafzimmer.
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