Die Teuerung ist nicht nur in allen Haushalten im Land angekommen, sie wird zunehmend auch existenzbedrohlich. Vielfach führte sie zu Mehrausgaben von mehreren Hundert Euro - nicht pro Jahr, sondern pro Monat. Bei den Schuldenberatungsstellen stiegen die Erstkontakte 2022 um zehn Prozent, wie der aktuelle Schuldenreport zeigt. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) ruft nun zum Lebensmittelgipfel.
Die Überschuldung betrug im Schnitt 61.430 Euro, wie die Schuldnerberatung am Dienstag mitteilte. Betroffen sind nicht nur einkommensschwache Menschen. „Die Überschuldung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, so der Chef der asb Schuldnerberatungen GmbH, Clemens Mitterlehner, in einer Pressekonferenz.
Betroffene: „Haben eigentlich keinen Fehler gemacht“
„Menschen sagen immer öfter: ,Ich habe eigentlich keinen Fehler gemacht und trotzdem bin ich in der Schuldenberatung‘“, berichtete der asb-Geschäftsführer am Dienstag vor Journalisten in Wien. Die Zahl der Erstberatungen im ersten Quartal 2023 ging seinen Angaben zufolge weit über das Niveau im abgelaufenen Jahr hinaus.
„Durch die gestiegenen Kosten und erhöhten Kreditzinsen kann es mittlerweile finanziell auch für jene eng werden, die sich das Leben bisher gut leisten konnten“, strich Mitterlehner hervor.
Wenig Arbeitslose, dennoch große Probleme
Die Hauptursache für Überschuldung sei Arbeitslosigkeit beziehungsweise Einkommensverminderung. Bei einem Arbeitsplatzverlust reduzieren sich die Einkommen „auf einen Schlag auf 55 Prozent“ und die Klientinnen und Klienten hätten keine Reserven, auf die sie zugreifen könnten. Mitterlehner plädierte im Namen der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen für eine Anhebung der Nettoersatzrate bei Arbeitslosigkeit auf 70 Prozent.
Insgesamt sei die Arbeitslosigkeit in Österreich derzeit relativ gering - in der Beratung seien aber fünfmal häufiger arbeitslose Menschen als in der Gesamtbevölkerung. Neben einer Anhebung der Nettoersatzrate bei Arbeitslosigkeit wäre es laut asb-Chef nötig „das Existenzminimum zumindest an die Armutsgefährdungsschwelle von zuletzt 1371 Euro monatlich nach oben zu setzen“.
Rauch lässt Kritik nicht gelten
Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) verteidigte die bisher gesetzten Maßnahmen der Bundesregierung zur finanziellen Abfederung der extrem hohen Inflation. „Es ging darum, rasch zu handeln“, hielt er der Kritik entgegen, dass diverse Einmalzahlungen an alle Haushalte nach dem Gießkannenprinzip nicht „sozial treffsicher“ genug gewesen sein. Insgesamt seien dafür bisher 30 Milliarden Euro aufgewendet worden. „Hätten wir das nicht gemacht, würde sich die soziale Situation deutlich anders darstellen“, so der Minister.
Inflation verschärft Situation zusätzlich
Die Zahl der eröffneten Privatkonkurse ging 2022 laut Schuldenreport gegenüber dem Jahr davor um 13,5 Prozent auf 8176 nach oben, die Schuldenberatungen begleiteten 71 Prozent davon. Die Tendenz bei den Zahlungsausfällen ist weiter steigend. „Ein erster Anstieg ist bereits jetzt zu verzeichnen, teilweise hatten Schuldenberatungen Anfang 2023 eine Verdoppelung der Erstberatungen im Vergleich zu Anfang 2022“, berichtete Mitterlehner.
Das Risiko für Überschuldung und Armut steige - die Situation überschuldeter Menschen werde durch die Inflation weiter verschärft. „Erfahrungsgemäß werden auch die massiven Teuerungen erst zeitversetzt in der Schuldenberatung so richtig spürbar werden“, hielt der asb-Chef fest.
Unternehmer „bessergestellt als Private“
Besonders problematisch wird es, wenn sich die Menschen selbst einen Privatkonkurs nicht mehr leisten können. Denn dafür müssen alle Ausgaben mit den Einnahmen gedeckt werden können und keine neuen Schulden gemacht werden. Der asb-Chef plädierte dafür, für Private die Möglichkeit einer Entschuldung innerhalb von drei Jahren aufrechtzuerhalten. Hier droht eine Anhebung auf fünf Jahre. Für Unternehmer bleibt es bei drei Jahren. „Da sind wir in Gesprächen - es kann nicht sein, dass Unternehmer bessergestellt sind als private Schuldner“, sagte der Sozialminister.
Teuerungsgipfel soll Klarheit schaffen
Menschen mit geringen Einkommen wenden laut Rauch den Großteil ihres Haushaltseinkommens für Wohnen, Energie und Lebensmittel auf. Gerade in diesen Bereichen seien die Preise besonders stark gestiegen - oft wesentlich massiver als die Inflation. Im März lag der allgemeine Preisauftrieb beispielsweise bei 9,2 Prozent, Lebensmittel verteuerten sich aber um 14,5 Prozent. Das will sich der Sozialminister näher ansehen.
„Zielsetzung muss sein, dass die Preise auf ein Niveau kommen, das darstellbar ist.“ Am 8. Mai sind Vertreter der Lebensmittelketten und der Landwirtschaft sowie Sozialpartner und Wirtschaftsforscher zu einem Gespräch gebeten, in dem über die hohen Preise beraten wird.
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