Die Weltmeere sind aktuell so warm wie noch nie seit Beginn der Messungen. Was auf den ersten Blick nach gutem Badewetter klingen mag, ist für die Wissenschaft ein schrilles Alarmsignal in Sachen Klimawandel und Extremwetter - auch für die Situation an Land.
21 Grad beträgt die Temperatur der Weltmeere im Durchschnitt. Ist das schlimm? „Es braucht sehr viel Energie, um Wasser zu erwärmen“, sagt Anders Levermann, Wissenschafter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Das ist ein monströser Effekt, den wir da gerade sehen.“ Auch andere Forscher sind beunruhigt.
Gemessen hat die Werte die US-amerikanische Wetter- und Ozeanographiebehörde NOAA. Das Institut legt seit 1981 unter anderem mit Hilfe von Satelliten und speziellen Bojen Messreihen mit den täglichen Oberflächentemperaturen der Weltmeere vor.
Dieses Jahr begann moderat. Doch dafür schnellten die durchschnittlichen Temperaturen in diesem Jahr ab Mitte März nach oben wie noch nie seit Beginn der Messungen. 21 Grad im Mittel hielten sich auch erstmals bis Ende April, obwohl die Kurve nach den Erfahrungen der vergangenen 40 Jahre längst wieder hätte abflachen sollen.
Was bedeutet das?
Auch der jüngste Stand vom 3. Mai mit 20,9 Grad liegt über allen bisherigen Messungen für diesen Zeitraum. Zum Vergleich: 1985 lag die Meerestemperatur Ende April im Mittel noch bei 20 Grad.
Bereits ein Anstieg um 0,1 Grad im Ozean entspricht einer gigantischen Energiemenge, ordnet es Forscher Levermann ein. „Die Wärmekapazität des Wassers ist sehr viel höher als die der Luft oder des Landes“, ergänzt er. „Man kann daran sehen, dass wir selbst innerhalb der globalen Erwärmung so weit außerhalb der normalen Schwankungen sind, dass das besorgniserregend und beunruhigend ist.“
Wassertemperatur mit Körpertemperatur vergleichbar
„Temperaturen im Meer sind ein absoluter Masterschalter“, sagt auch Thorsten Reusch, Biologe am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. Kleinste Veränderungen können das globale Klimasystem durcheinanderwirbeln. Meerwasser könne sich regional viel stärker erwärmen, in den Tropen bis über 30 Grad Celsius. Das hat Folgen: „Bei vielen Organismen im Meer ist die Wassertemperatur die Körpertemperatur.“
Das hat gravierende Folgen für Fischvorkommen und die Artenvielfalt. Korallen, Hotspots der biologischen Vielfalt des Meeres, würden ab 30 Grad anfangen, auszubleichen und abzusterben, erläutert Reusch. „Im Mittelmeer gab es im vergangenen Jahr eine massive Hitzewelle mit bis zu 30 Grad Wassertemperatur. Das war fünf Grad über normal.“ Dieses Extrem habe zum Absterben von Korallenarten wie Gorgonien und Edelkorallen geführt.
Doch es geht nicht nur um die Meeresbewohner. Physikalische Prozesse wie Verdunstung wirken sich auch auf das Land aus. Die Ozeane als Wärmepuffer seien der große Energielieferant für die Atmosphäre, erläutert Klimaforscher Levermann. „Wenn diese Energie frei wird, gibt es häufiger und intensivere Extreme.“ Das seien dann zum Beispiel Taifune und Hurrikans.
Unsere Klimaanlage läuft warm
„Aber es geht auch um Starkregen, denn eine wärmere Atmosphäre kann mehr Wasserdampf halten. Dadurch werden Überschwemmungen verstärkt, auch in unseren Breiten.“ Für den Wissenschafter sind die Ozeane, die rund 70 Prozent der Erde bedecken, wie eine gigantische Klimaanlage. „Und die läuft gerade warm.“
Und auch für die eisbedeckten Regionen der Meere wird es bei immer wärmerem Wasser enger - Stichwort Schmelze, so Reusch. Steigende Wasserpegel bedrohen dann wiederum das Land.
In den vergangenen Jahren hat das natürliche Wetterphänomen „La Niña“ dem Meeresklima eine kleine Verschnaufpause beschert. Es ist die kalte Phase eines Zyklus im östlichen Pazifik, die sich weltweit auswirkt. Forschende vermuten, dass die Natur den Schalter hier gerade umlegt und sich das regelmäßige Gegenstück ankündigt: die Phase „El Niño“, bei der Wärme aus der Tiefe des Ozeans nach oben gepumpt wird.
„Es ist deshalb sehr gut möglich, dass die beginnende Entwicklung zu einer El-Niño-Phase, kombiniert mit der menschgemachten allmählichen Erwärmung, zu neuen Allzeitrekorden der global gemittelten Temperatur führen wird“, urteilt Klimaphysiker Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Das betrifft auch das Land - vielleicht in diesem oder im nächsten Jahr, oder auch in beiden.
Menschheit betritt unbekanntes Territorium
Neben Wäldern und Böden gehören Ozeane auch zu den größten Kohlenstoffsenken der Erde und dämpfen massiv den Treibhauseffekt - noch. „Bisher verschwanden 30 Prozent des menschengemachten Kohlendioxids über die so genannte biologische Kohlenstoffpumpe in der Tiefsee. Das wird durch die Erwärmung abgeschwächt“, sagt Ökologe Reusch.
Für Klimaforscher Levermann betritt die Menschheit mit der aktuell gemessenen Ozeanerwärmung unbekanntes Territorium.
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