Die Gewaltbereitschaft in steirischen Schulen nimmt immer mehr zu. Lehrer sind oft machtlos. Der renommierte Psychologe Josef Zollneritsch zeichnet ein düsteres Bild.
Inwiefern hat sich Corona auf die Aggressivität und Gewalttaten uner Schülern ausgewirkt?
Corona hat eine sozialen Entzug für alle Schüler bedeutet. Vor allem jene, die ohnehin schon schwierig waren, haben noch mehr verlernt, auf andere Rücksicht zu nehmen. Viele konnten sich vorher schon nicht in eine Gruppe einordnen. Jetzt kommt der Nachholeffekt dazu. Die Jugendlichen leben ihre sozial-emotionalen Störungen samt unerfüllter Bedürfnisse ungebremst aus. Die Schüler sind es nicht gewohnt oder haben nicht gelernt, mit einer Gruppe Gleichaltriger auszukommen. Diese Probleme sind ganz massiv!
Wie kann man diesen Jugendlichen helfen, sich wieder einfügen zu können?
Mit ihnen muss man psychotherapeutisch arbeiten. Das Problem ist, dass unser Schulsystem das aber nur bedingt hergibt. Die Jugendlichen leben in der Schule ihre Probleme aus, denn daheim ist keiner. Sie sind in einem Dilemma, das Schulsystem ist in einem Dilemma.
Die Jugendlichen leben in der Schule ihre Probleme aus, denn daheim ist keiner. Sie sind in einem Dilemma, das Schulsystem ist in einem Dilemma.
Josef Zollneritsch
Und wie können sich Schüler und Lehrer vor Gefährdern schützen?
Jeder Schüler hat ein Recht auf 100-prozentigen Schutz. Schule muss ein sicherer Ort sein. Wir müssen alles tun, dass Schüler, die mit Angst kommen, geschützt werden. Deswegen gibt es Suspendierungen. Auch für Lehrer sind das extreme Herausforderungen. In einem Beratungszentrum für Pädagogen, können sie sich Hilfe holen. Auch in der Schule müssen dementsprechende Strukturen geschaffen werden. Generell braucht es mehr therapeutische Unterstützung für Kinder und Jugendliche, aber auch deutlich mehr psychiatrische Betreuung.
Inwieweit sind Suspendierungen sinnvoll?
Wir müssen auf die anderen Schüler achten, die Gefahr laufen, unter die Räder zu geraten. Suspendierungen sind eine Notlösung. Noch einmal: Sie alle brauchen intensive Hilfe, das schafft das Schulsystem alleine aber nicht. Wir sind daher auf die Kinder- und Jugendhilfe angewiesen. Und die Zahl der Schüler, um die es da geht, steigt. Eltern tun sich selbst oft wahnsinnig schwer mit den Problematiken ihrer Kinder. Sie haben selbst mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Weil sich viel mehr Menschen denn je in einer Notlage befinden und dadurch wenig Zeit für die Kinder bleibt.
Wie verteilt sich dieses Problem in der Steiermark
Das ist der nächste Punkt. Die Schüler sind zusammengefasst in bestimmten Gruppen, in bestimmten Schulen. In den Ballungsräumen, wo es ohnehin Schwierigkeiten gibt, potenzieren sich die Probleme. Wir haben dort Schulen mit großer Diversität und Schüler mit Migrationshintergrund und sozialen Schwierigkeiten. Vom Alter her bewegen wir uns dort in der Mittelschule vor allem zwischen 10 und 14 Jahren. Hier mangelt es auch ganz stark an Unterstützungspersonal. Im internationalen Vergleich sind wir weit hinten nach.
Suspendierungen sind eine Notlösung.
Josef Zollneritsch
Welche Lösungsansätze gibt es?
Das ist schwierig. Wir haben Schüler, die so schwierig sind, dass ein normaler Unterricht nicht möglich ist. Diese Fälle benötigen Beschäftigung und keine Theorie. Genau das sieht unser Schulsystem aber nicht vor.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Für die nächste Zeit müssen wir uns noch viel auf diese Gruppe von Schülern viel besser rüsten. Vor allem, weil sie - so wie sie sind - nicht gruppenfähig sind und nicht in das pädagogische Setting passen. Und die Zahl derer wird größer. Das Problem wird also noch massiver, was auf die gesellschaftliche Entwicklung zurückzuführen ist. Die Menschen können sich nicht um ihre eigenen Kinder kümmern.
Das klingt allerdings düster. Was schlagen Sie vor?
Die Struktur muss möglichst rasch verändert werden. Ein Blick nach Schweden bietet sich da an. Hier wird den Schülern viel mehr geboten, um sie gesamtheitlich abzuholen. In Schweden wird gemeinsam gefrühstückt, gemeinsam zu Mittag gegessen, auch die Nachmittagsbetreuung ist dementsprechend gestaltet. Je sinnvoller die Nachmittagsbetreuung, desto besser sind die Schulleistung und das Verhalten. Es stellt sich die Frage, was tut der Mensch außerhalb der Schule. Bei uns zuhause findet zum Beispiel nichts statt.
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