„Opa, ein Vollidiot?“
So untergraben Prigoschins Attacken Putins Macht
„Was, (…) wenn sich herausstellen würde, dass dieser Opa ein Vollidiot ist“, war nur einer der wüsten verbalen Ausritte der vergangenen Tage, die Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin Richtung Moskau schickte. Zwar dementierte er kurz darauf, dass er damit Wladimir Putin gemeint haben will, der Militär-Brutalo lässt aber immer mehr mit provokanten Aussagen aufhorchen - verliert Putin jetzt die Geduld mit ihm?
In den letzten Tagen schien der Chef der privaten Kampfgruppe Wagner in den sozialen Medien einen regelrechten Nervenzusammenbruch erlitten zu haben. Sein Telegram-Kanal und seine weiteren Konten sind von immer unverschämteren und provokanteren Aussagen überschwemmt.
Erst am Freitag wetterte er in Richtung Kreml über einen offenbar demütigenden Rückschlag auf dem Schlachtfeld von Bachmut - eine russische Brigade sei „geflohen“, die dortigen Verteidigungslinien „brechen auseinander“, während der russische Generalstab die Lage „verharmlost“, donnerte Prigoschin in einem Video. Seine Soldaten seien nun davon bedroht, eingekesselt zu werden.
Wütende Hasstiraden lassen Stimmung kippen
Mit wütenden Hassbotschaften wettert der ursprünglich als „Putins Koch“ bekannte Prigoschin gegen Moskau - man würde ihn in der Ukraine schlicht im Stich lassen, zu wenig Munition liefern, hieß es immer wieder. Just zu Beginn der Woche - als Russland seine Feierlichkeiten zum 9. Mai abhielt - dürfte die Stimmung dann endgültig gekippt sein: Der Wagner-Chef deckte die höchsten Militärs des Landes dabei nicht nur mit Kritik ein, sondern spickte diese mit zahlreichen Schimpfwörtern.
Doch auch Putin selbst dürfte er dabei angegriffen haben: „Wenn er richtig liegt, dann Gottes Segen für uns alle. Aber was sollen wir, unsere Kinder, unsere Enkel in Zukunft tun und wie kann man den Krieg gewinnen, wenn sich - nur theoretisch - herausstellen würde, dass dieser Opa ein Vollidiot ist?“, erklärte er im Online-Dienst Telegram.
„Opa im Bunker“ auf Nawalny zurückzuführen
Für viele war sofort klar: Damit meint er Putin und könnte es endgültig zu weit getrieben haben. „Opa im Bunker“ ist schließlich einer der Lieblingsnamen des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny. Prigoschin ruderte kurz darauf zurück, er wollte damit nicht Putin gemeint haben, erklärte er - dies könnte ihm vielleicht seine Haut retten - aufgrund der Aussage könnte ihm in Russland eine Anklage wegen Diskreditierung sowie viele Jahre Lagerhaft einbringen.
Im Kreml scheint man aber endgültig genug von dem Schauspiel zu haben. Putin-nahe Quellen erklärten nun, dass „offizielle Sicherheitskräfte“ Prigoschin schon bald Einhalt gebieten würden, „wenn das so weitergeht“, erklärte ein Informant.
Fakten
Der russische Unternehmer Jewgeni Prigoschin galt lange als enger Verbündeter von Präsident Wladimir Putin. Im Ukraine-Krieg spielte er eine wichtige Rolle als Finanzier und Organisator der russischen Söldnertruppe Wagner. Prigoschin steht aufgrund seiner Beteiligung an der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ukraine auf der Sanktionsliste der EU und der USA.
Kreml offenbar „ernsthaft beunruhigt“
Die oberste russische Führung sei von der unverblümten Kritik Prigoschins „ernsthaft beunruhigt“, will zudem das russische Nachrichtenportal „Medusa“ erfahren haben. Er werde im Kreml bereits als „echte Bedrohung“ angesehen, schließlich verhalte sich der Wagner-Chef nicht mehr wie „ein Teil des Teams“ und handle auch nicht aus „denselben Interessen“, wie der Kreml.
Das russische Verteidigungsministerium soll laut einem geleakten Dokument zum Ukraine-Krieg auch bereits intensiv darüber diskutieren, eine Diffamierungskampagne gegen Prigoschin zu starten, berichtete die „Washington Post“.
Wird Putins System ausgehöhlt?
Und auch im Ausland rechnet man zunehmend damit, dass in der Debatte um den Militär-Rüpel bald Nägel mit Köpfen gemacht werden könnten. Erwartet Prigoschin also bald eine vergiftete Tasse Tee oder gar ein Fenster eines Hochhauses?
In einem Twitter-Beitrag erklärte etwa die Denkfabrik Institute for the Study of War jedenfalls: „Wenn der Kreml nicht auf Prigoschins eskalierende Angriffe auf Putin reagiert, könnte dies die Norm in Putins System weiter aushöhlen“, hieß es darin. Das loyale System rund um den Machthaber könnte demnach von innen erodieren.
Lässt sich Putin das noch länger gefallen?
„So etwas ist in Putins System nicht vorgesehen“, erklärte der Historiker des Kalten Krieges und Professor für Internationale Studien an der Johns-Hopkins-Universität, Sergey Radschenko, kürzlich dazu in einem Twitter-Thread. „Putins System erlaubt es, dass sich seine Günstlinge gegenseitig angreifen, aber niemals die Vertikale untergraben.“
„Prigoschin überschreitet diese Grenze. Entweder reagiert Putin und Prigoschin ist erledigt, oder - wenn dies nicht geschieht - wird ein Signal gesendet. Ein Signal, dass der Chef tödlich geschwächt ist. Und dies ist ein System, das Schwäche nicht respektiert“, so Radschenko.
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