Präsidentenwahl-Krimi
„Taktische Manöver“: Streit um Ergebnis in Türkei
Im richtungsweisenden Rennen um das Präsidentenamt in der Türkei liegt Staatschef Recep Tayyip Erdogan nach Angaben der Wahlbehörde vorne. Für eine absolute Mehrheit reicht es wohl nicht, voraussichtlich kommt es zur Stichwahl. Opposition und Regierung streiten aber über die veröffentlichten Ergebnisse. Das oppositionelle Wahlbündnis wirft Erdogan islamisch-konservativer Regierungspartei AKP „taktische Manöver“ bei der Stimmauszählung vor.
Laut dem Chef der Wahlkommission, Ahmet Yener, seien im Inland rund 95 Prozent der Wahlurnen ausgezählt sowie rund 37 Prozent der Urnen im Ausland, erklärte er in der Nacht auf Montag in Ankara. Demnach erhielt Erdogan 49,49 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu 44,79 Prozent.
Auf dem abgeschlagen dritten Platz landete mit rund 5,3 Prozent Sinan Ogan von der ultranationalistischen Ata-Allianz. Muharrem Ince von der Vaterlandspartei hatte seine Kandidatur kurz vor der Wahl zurückgezogen, sein Name stand aber noch auf den Stimmzetteln. Für Ince wurden 0,43 Prozent ausgezählt. Wichtig bei der Stichwahl wird sein, welche Wahlempfehlung der drittplatzierte Ogan abgibt.
„Willen des Volkes respektieren“
Erdogan sieht sich bei der Präsidentenwahl „mit Abstand vorne“. Bis die vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht werden, werde es aber noch einige Zeit brauchen, sagte er in der Nacht auf Montag vor jubelnden Anhängern in Ankara. „Den Willen des Volkes muss jeder respektieren“, sagte er weiter. Man wisse zum jetzigen Zeitpunkt nicht, ob es eine Stichwahl geben werde. Im Parlament zeichne sich eine Mehrheit seiner Regierungsallianz ab. Er sei sich daher sicher, dass die Wähler in einer Stichwahl „Sicherheit und Stabilität“ bevorzugen werden.
Kilicdaroglu trat in der Nacht gemeinsam mit den Parteichefs seines Sechser-Wahlbündnisses vor die Presse. „Erdogan hat trotz seiner Diffamierungen und Beleidigungen nicht das Ergebnis erreicht, das er sich erwartet hatte“, sagte er. Die Opposition werde gewinnen und dem Land Demokratie bringen.
Opposition wirft Regierungspartei Trickserei vor
Den Angaben der Opposition zufolge liege Kilicdaroglu knapp vorne, erklärten die Bürgermeister von Istanbul und Ankara bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in der Hauptstadt. Die islamisch-konservative AKP Erdogans lege bewusst Einspruch gegen die Ergebnisse in Hochburgen der Opposition ein. Dadurch werde die Auszählung langsamer gemacht, und das Ergebnis falle zunächst zugunsten der Regierung aus. Der Chef der Wahlbehörde Ahmet Yener sagte, es gebe keine Probleme bei der Wahlbehörde.
Ertim Orkun, Chef der unabhängigen Wahlbeobachter-Organisation „Oy ve Ötesi“ („Abstimmung und darüber hinaus“) sagte, es gebe noch Wahlurnen, die ausgezählt würden. Dort gebe es noch kein Abschlussprotokoll. Es gebe auch Einspruch gegen Daten, die schon bei der Wahlbehörde YSK eingegangen seien. „Das verlangsamt naturgemäß die Dateneingabe.“
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Regierungsbündnis vor absoluter Mehrheit im Parlament
Auch im Parlament deutete sich ein knappes Rennen an. Nach Öffnung von 82,7 Prozent der Wahlboxen hat die Erdogan-Allianz nach Angaben von Anadolu eine knappe Mehrheit von 50,5 Prozent der Stimmen. Das Bündnis um Kilicdaroglu käme demnach nur auf 34,5 Prozent der Stimmen. Selbst mit der Unterstützung der Allianz um die prokurdische HDP (9,5 Prozent) kämen sie nicht auf eine absolute Mehrheit.
Seit der Einführung eines Präsidialsystems vor fünf Jahren hat der 69 Jahre alte Erdogan so viel Macht wie noch nie und kann weitgehend am Parlament vorbei regieren. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern vollends in die Autokratie abgleiten könnte, sollte er erneut gewinnen. Auch international wird die Abstimmung in dem NATO-Land aufmerksam beobachtet.
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