Das Spiel Prigoschins

Machtkampf um Kreml: „Es steigt schon Rauch auf“

Ausland
20.05.2023 22:09

Mit exzentrischen Auftritten in der Propagandaschlacht rund um den Ukraine-Krieg lenkt der Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Er sei ein „Meister der Desinformation“, warnt der russischstämmige Historiker Sergey Radchenko davor, Prigoschins Worte für bare Münze zu nehmen. Sein Agieren sei aber Ausdruck des schwelenden Machtkampfs um den Kreml.

Der Wagner-Boss fällt aber nicht nur mit wütenden Tiraden gegen die Militärführung, Drohungen mit Rückzug und Schimpfen auf den „Opa“ im Kreml auf. Laut geleakten Dokumenten machte er der Ukraine sogar das Angebot, die Stellungen von russischen Soldaten preiszugeben, wenn sie sich aus der umkämpften Stadt Bachmut zurückziehen. So habe er die Leben der dort kämpfenden Wagner-Söldnern gegen die regulärer Soldaten eintauschen wollen - und hätte Hochverrat begangen. 

Im Gespräch mit krone.at mahnt Russland-Experte Radchenko, der an der Johns-Hopkins-Universität unterrichtet, zur Vorsicht. Zwar zweifelt er die Echtheit der Dokumente, aus denen die „Washington Post“ zitierte, nicht an. Gewiss unterhalte Prigoschin auch Kontakte zu ukrainischen Geheimdienstleuten. Das Angebot, russische Stellungen preiszugeben könnte aber genauso gut ein Täuschungsversuch gewesen sein.

Wagner-Chef Prigoschin umringt von seinen Söldnern in einem seiner Propagandavideos (Bild: APA/AFP/TELEGRAM/@concordgroup_official/Handout)
Wagner-Chef Prigoschin umringt von seinen Söldnern in einem seiner Propagandavideos

„Prigoschin spielt ein Spiel“
Bei den Aktionen des berüchtigten Wagner-Chefs müsse man „sich immer fragen, was er damit will“, betont Radchenko. Desinformation ist Teil von Prigoschins Geschäft und mitverantwortlich für seinen Aufstieg. Er ist auch Eigentümer einer russischen Trollfabrik. Jetzt im Krieg müsse man noch vorsichtiger sein, warnt der Historiker: „Prigoschin spielt ein Spiel.“

Was aber außer Frage stehe, ist Prigoschins Konflikt mit der Armeeführung unter Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow: „Er hasst sie total“, so Radchenko. Sein Zorn sei „keine Show“, Prigoschin mache die Führung verantwortlich für die Rückschläge, die die russischen Streitkräfte in der Ukraine hinnehmen mussten. Die Attacken von „Putins Koch“ seien definitiv schlecht für die russischen Streitkräfte und die Moral, erklärt der Historiker.

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Russlands Eliten wissen, dass der Kaiser keine Kleider anhat.

(Bild: Johns Hopkins SAIS Europe/LF)

Sergey Radchenko

„Das Militär wird deswegen nicht kollabieren, aber es stellt ein Problem dar“, betont Radchenko. „Stellen sie sich vor, Soldat im russischen Militär zu sein und sie hören, wie ein Vorgesetzter einen anderen Schwachkopf nennt. Manche geben im Recht und denken sich, das sind wirklich Schwachköpfe. Aber so unterminiert man die Macht, die Disziplin und die Hierarchie in der Armee.“

Bemerkenswert ist für Radchenko das Schweigen Putins angesichts von Prigoschins jüngstem Ausraster-Video, in dem er rhetorisch fragt, ob „dieser Opa ein Vollidiot ist?“ - und damit nach Ansicht vieler nur Putin meinen konnte, auch wenn der Wagner-Chef es anders darstellt. Dass Putin nichts dazu sagt, sieht Experte Radchenko als Anzeichen dafür, dass der russische Präsident nicht mehr unangefochten an der Macht ist. Er vergleicht den Präsidenten mit dem Kaiser aus dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, der nackt ist. „Russlands Eliten wissen, dass der Kaiser keine Kleider anhat“, so Radchenko.

Wer folgt Putin nach?
Einen Sturz Putins sieht er noch nicht am Horizont, aber einen zunehmenden Zerfall in der russischen Elite. Es gebe eine Machtkrise in Russland. „Der russische Staat steht unter Stress. Man sieht schon Rauch aufsteigen. Und wo Rauch ist, ist auch Feuer“, meint Radchenko. Die Frage sei: Wer wird Putin nachfolgen? Jewgeni Prigoschin bereite sich auf eine Zeit nach Putin vor, den Krieg nutze er, um seinen Ruf zu verbessern. Vor kurzem sei er noch wenig bekannt gewesen, jetzt sei er populär im Volk, erklärt Sergey Radchenko.

Der Wagner-Chef sei zwar ein langjähriger Verbündeter von Putin, habe sich aber unter Vertretern der sogenannten Silowiki, den bewaffneten Kräften in Russland, weitere Verbündete gesucht. Zu den Silowiki zählen das Militär, der Geheimdienst FSB, die Nationalgarde sowie die Gruppe Wagner und andere Söldnertruppen. Es sind Hardliner, die den Krieg fortsetzen wollen und am liebsten noch brutaler zuschlagen würden.

Oligarchen mit viel Geld und wenig Macht
Eine weitere Gruppe, mit der man im Machtkampf rechnen muss, sind die Technokraten, zu denen etwa der russische Ministerpräsident Michail Mischustin oder die Chefin der Zentralbank zählen. „Es sind Wirtschaftsleute, die wissen, wie das Land läuft“, erklärt Radchenko. Die Oligarchen, denen oft viel Macht zugeschrieben wird, hätten dagegen weniger zu sagen, als man glaube, betont der Historiker. Das zeige der Krieg gegen die Ukraine: „Sie würden den Krieg gern beenden, aber können es nicht.“

Wie lange sich Putin noch an der Macht halten kann? Historiker Radchenko wagt keine Prognose, gibt aber zu bedenken: „Wandel in Russland kommt langsam - bis er plötzlich schnell kommt.“ Im vergangenen Jahrhundert habe es oft Revolutionen und Putsche gegeben. Man könne also nicht ausschließen, dass auch jetzt ein Umsturz ganz schnell gehen kann.

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