Jede dritte Frau in Österreich ist von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen (Quelle: Statistik Austria). Welche Folgen das hat und wie das Umfeld beim Ausstieg aus der Gewaltspirale unterstützen kann, hat krone.at bei zwei Betroffenen nachgefragt. Sie haben bereits als Kinder und Jugendliche Gewalt erlebt und machen heute anderen Betroffenen Mut.
Ana (Name von der Redaktion geändert) wurde als Kind von ihrer Mutter geschlagen. Warum, weiß sie bis heute nicht, erzählt sie beim Frauentisch des Projekts Stadtteil ohne Partnergewalt (StoP). Als sie schließlich den Mut gefasst hätte, sich anderen Familienmitgliedern anzuvertrauen, meinten diese nur, dass sie die Schläge wohl verdient hätte und nicht brav genug sei.
Sie sagten ihrer Mutter gar, dass ihre Tochter Lügen über sie verbreiten würde, woraufhin wieder Schläge folgten. „Es war für mich sehr schlimm, dass mir niemand geglaubt hat“, sagt Ana, die mittlerweile über 50 Jahre alt ist. Mit 18 Jahren ist sie ins Ausland weggelaufen, das sei ihre „Rettung“ gewesen. Ihre Mutter verneine die Gewalt bis heute.
Es war für mich sehr schlimm, dass mir niemand geglaubt hat.
Ana wurde als Kind geschlagen
Psychische Erkrankungen
Ähnliches hat auch Maria (Name von der Redaktion geändert) erlebt. Sie bekam Gewalt gleich von mehreren Seiten mit: Die Mutter schlug die Kinder, der Vater war an seinem Arbeitsplatz - einem Lokal - Gewalt ausgesetzt und ging selbst auf die Mutter los. Hinzu kamen abwertende Sprüche gegenüber Frauen, von Wertschätzung sei in ihrem Herkunftsort keine Spur gewesen. Auch Hilfe habe es nicht gegeben.
„Das Aufarbeiten von Gewalt dauert ein Leben lang“, weiß Maria (60) heute, die mit 17 Jahren ihr Zuhause verlassen hat. Zum damaligen Zeitpunkt war sie schwer depressiv und magersüchtig, bis zum 30. Lebensjahr folgten vier Suizidversuche. Die Schwester wurde psychotisch, die Brüder flüchteten sich in Alkohol, einer schlug seine eigene Ehefrau.
Vom Opfer zum Täter
Inzwischen sieht sie diesen Bruder - Maria hat fünf Geschwister - mitunter auch als Opfer von Gewalt an. Vieles werde über Generationen weitergegeben, das Verarbeiten von Traumata dauere. Maria geht mit 60 Jahren noch zur Therapie. Auch Ana hat immer wieder Tage, an denen es ihr nicht so gut geht, Vorfälle in der Nachbarschaft erinnern sie an das eigene Erlebte. Erst kürzlich hat sie bei einer Nachbarin geläutet und um Zucker gebeten, nachdem sie Schreie gehört hatte. Die Polizei befragte sie als Zeugin, Ana hat der Nachbarin ein Gesprächsangebot gemacht und will nun weiter hellhörig sein.
Ihr und Maria hätten solche Nachbarinnen und Nachbarn geholfen. Maria wendet an dieser Stelle ein, dass sie früher gedacht habe, dass Gewalt nur bestimmte soziale Schichten treffe. Mittlerweile hat sie eine betroffene Freundin, die selbst den Doktortitel hat und mit einem Akademiker verheiratet ist. Er würde sie beispielsweise nicht auf Urlaub fahren oder Freundinnen und Freunde treffen lassen. Maria hat die Freundin ermutigt, sich Hilfe bei Einrichtungen zu holen, und sie auf entsprechende Angebote hingewiesen.
Gewalt hat viele Gesichter
Bei diesen Beispielen wird deutlich, dass Gewalt viele Gesichter hat, etwa auch eine psychische und finanzielle Ebene. Eine Teilnehmerin des Frauentisches, die als Beraterin tätig ist, berichtet, dass manche Männer mit Migrationshintergrund ihrer Ehefrau das Arbeiten verboten oder/und die Bankomatkarte an sich genommen hätten. Sie ermutige diese Frauen, sich mehr zuzutrauen und für sich einzustehen. Zudem versuche sie zu motivieren, sich trotz möglicher Vorurteile Hilfe zu holen, etwa bei einem Frauenhaus.
Frauenhaus Notruf: 05 77 22
24-Stunden-Frauennotruf Wien: 01 71719
Opferhilfe Weißer Ring: 017121405
Männerberatung Wien: 01 603 28 28
Einig sind sich Ana, Maria und die weiteren Teilnehmerinnen aber auch darin, dass Gewalt nicht nur individuell bekämpft werden kann. Das Problem müsse gesamtgesellschaftlich angegangen werden. Sie denken dabei zum Beispiel an Gewaltprävention als Schulfach, an eine Verpflichtung zu Workshops wie gendersensibler Burschenarbeit und daran, dass psychische Gesundheit mehr Bedeutung bekommen muss.
Wenn es einem schlecht geht, wird man nicht so unterstützt. Man muss arbeitsfähig werden.
Maria, Gewaltbetroffene
„Wenn es einem schlecht geht, wird man nicht so unterstützt. Man muss arbeitsfähig werden. Mit Krankheit ist es ziemlich schwierig und es ist immer noch ein Tabu, Gewalt anzusprechen (…). Die Folgen verschrecken“, führt Maria aus. Es könne helfen, sowohl Frauen- als auch Männerbilder zu ändern, sprich, dass Burschen und Männer beispielsweise nicht immer stark sein müssen.
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