„Oh wie schön das Leben is“ nennt sich das dritte Album des Wiener Liedermachers Felix Kramer. Darauf sieht er die angeknackste Welt nicht naiv positiv, sondern besinnt sich bewusst auf die schönen Seiten des Lebens, ohne dabei die Realität auszublenden. Besonderes Plus: auch Selbstreflexion findet hier seinen Raum.
Da steht er also. Mitten im Wiener Prater. Während die Dämmerung einsetzt und aus den grellen Lichtern der Unterhaltungsmaschinen eine Stadt in der Stadt macht, hält Felix Kramer in der einen Hand Zuckerwatte, in der anderen frische Popcorn und grinst dabei wie ein Hutschpferd. Kunst entstünde aus Schmerz und Niederlagen, hämmern uns Kulturschaffende unterschiedlichster Couleur immer gerne in die Hirnrinden. Die besten Songs seien stets Resultat von Pein und Kummer. Aber warum nicht auch einmal das Gute im Leben sehen? Sich einfach dem Moment hingeben. Sich mit ungesundem Fraß vollstopfen, sich dieser ganz eigenen Welt der Unterhaltung, des Glitzers und Nervenkitzels hingeben und nur ja keinen Gedanken an morgen verschwenden. Weil morgen ist heute gestern und dann wäre der ganze Spaß ja längst wieder vorbei. „Oh wie schön das Leben is“ - man muss es nur erkennen und zulassen.
Ode an die Selbsterkenntnis
Für sein drittes Album hat sich Kramer mehr als zwei Jahre Zeit gelassen und versucht, den Weltschrecken der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit mit einer Mischung aus Eskapismus, Realismus und Positivismus zu begegnen. Von den ewigen Ludwig-Hirsch-Vergleichen hat sich der 28-Jährige schon auf seinem 2020er-Werk „Alles gut“ frei gestrampelt und wo er damals mit Flamenco-Gitarren überraschte, begibt er sich heute auf die Pfade der musikalischen Erzähler der Neuzeit. „Donau“ etwa ist in seinem strukturellen und musikalischen Korpus eine Beinahe-Fortsetzung von Voodoo Jürgens‘ Geniestreich „Tulln“, findet aber eigene Wege und Nuancen, um sich als Stand-Out-Track dieses wortgewaltigen Albums zu qualifizieren. Es ist eine Ode an die (Selbst)Erkenntnis, dass man sehr schnell am harten Boden der Realität landet, wenn man einmal aus der persönlichen Filterblase kullert.
„Was ma am besten kann, ist nicht immer das, was ma liebt / am Ende muss ma das machen, wo dir wer Geld dafür gibt.“ Eine wichtige und gewichtige Message, die gerade Kramers Altersgenossen der Gen Z die Gänsehaut auffahren lässt. Der Realismus, dass man sich die Welt nicht immer so bauen kann, wie man es gerne hätte, zog mit der Pandemie in Kramers WG-Zimmer ein. Als freischaffender Künstler war es ihm nicht nur unmöglich, sein starkes Zweitwerk „Alles gut“ zu bewerben, er konnte sich auch sonst kaum auf Bühnen tummeln und war seiner Existenz beraubt. Freilich kein Einzelschicksal, aber eines, das prägte und öfters nachhaltig in den durchdachten Texten auf „Oh wie schön das Leben is“ hervorscheint. Musikalisch traut sich der Leopoldstädter noch mehr zu und bastelt sanfte Drum-Beats zwischen seine hemdsärmeligen Akustikgitarren-Spuren.
Hauptsache endlich frei
Sein 2022 via Social Media vollzogenes Outing als bisexuell sieht Kramer als einen der vielen Bausteine für seine neugewonnene Freiheit, die man rundum spürt. Einerseits durch neue musikalische Facetten. Andererseits durch die Tatsache, dass das lyrische Ich in seinen Texten wirklich er ist und nicht mehr als schüchtern-fiktive Person ins Zentrum gerückt wird. Schon im inhaltsstarken Opener „Deine Gründe“ hält er der „Höher-Schneller-Weiter-Fraktion“ seiner Altersgenossen den Spiegel vor und sinniert gar nicht einmal so metaphorisch darüber, dass der Weg des geringsten Widerstands nicht immer reicht, um sich Wünsche und Träume zu erfüllen. In „Ich bleib sitzen“ plädiert er aber gleichsam für die entschleunigte Beobachtung und Distanz, die zur vollen Erfassung des Bildes manchmal unerlässlich ist.
Sich um Dinge zu kümmern und sich aktiv einzusetzen, ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Aufrechterhalten des ungesunden Turbokapitalismus. Die neoliberalen und so ganz und gar nicht humanen Strömungen in unserer Gesellschaft seziert Kramer in seinen Texten nicht verbittert, sondern mit einem Lächeln, das Optimismus und Hoffnung vermittelt. „Er sagt, dass er sich bemüht“geht textlich kritisch mit (weißen alten) Männern und ihren kaum veränderbaren Traditionen um, ist musikalisch aber mit derart fröhlichen Bläsern angereichert, dass man sich der bewusst als Gegenpart eingesetzten gute Sound-Laune nicht entziehen kann. Dass sich manche Ideen und Ansätze auf Langstrecke wiederholen, trübt die Hörfreude zum Glück nicht. Für solche Fälle gibt es noch immer ausreichend Finten und Feinheiten in den Texten zu entdecken.
Hinterfragen und evaluieren
Als roter Faden dient dem Künstler die allumfassende Alltagsbeobachtung. Stur eingehaltene Dogmen, fehlendes Verständnis und vage Toleranz. Die grassierende Weigerung, sich von Gewohnheiten zu lösen, weil es die Welt und das große Ganze von uns verlangen. Dabei poltert der 28-Jährige angenehmerweise nicht ausschließlich über die üblichen Verdächtigen, sondern nimmt auch sich selbst immer wieder ins Gebet, um zu hinterfragen, zu evaluieren und nachzudenken. „Oh wie schön das Leben is“, ist am Ende vielleicht auch genau das.
Ein Versuch, die persönlichen Eigenarten richtig einzuschätzen und nicht in die klassische Falle zu tappen - sich als progressiven und klugen Hipster zu betrachten, obwohl man eigentlich trotzdem nur der eigenen Bubble nach hechelt und damit keine eigenen Konturen zeigt. Kramers Zynismus ist mikroskopisch klein und seine Texte verstecken sich nicht billig hinter einfachstem Sarkasmus. Dem gefährlichen Terrain Gesellschaft begegnet er mit Lockerheit und Hoffnung. Vielleicht auch mit etwas Naivität, aber die hat noch nie geschadet.
Live in Österreich
Live zu sehen ist Felix Kramer mit seinem neuen Album „Oh wie schön das Leben is“ am 2. Juni im Kesselkino in Krems an der Donau, am 3. Juni im Alten Schlachthof in Wels und am 6. Juni im Wiener Porgy & Bess. Unter www.felixkramer.at gibt es die Karten und weitere Informationen zu den Konzerten.
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