Die Innsbruckerin Marion Fischer musste als kleines Mädchen vor den Nazis flüchten. Als Zeitzeugin berichtet sie in Schulen darüber. Wie wertvoll das ist, wurde bei einer Tagung an der Pädagogischen Hochschule Tirol deutlich.
Marion Fischer ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Wenn die heute 86-Jährige über ihre Kindheit spricht, von den Stationen ihrer Flucht von Triest bis Basel, ist es ganz still in der Klasse. Jüngst besuchte Fischer eine Volksschule in Innsbruck. Mit großem Interesse verfolgten die Kinder die Erzählungen über das Mädchen Marion, das so alt war wie sie, als es sein Zuhause verlor, über die Berge flüchtete und eine Zeit lang bei fremden Menschen ohne Mama leben musste.
„Ich bin froh, dass es so kluge, so interessierte, so einfühlsame Kinder gibt“, berichtete Fischer bei einer Tagung an der Pädagogischen Hochschule Tirol (PHT) über ihre Erfahrungen mit den Volksschülern. Seit vielen Jahren besucht die Innsbruckerin Schulen und berichtet als Zeitzeugin über eine dunkle Zeit. In der Regel trifft sie dabei auf Jugendliche – Volksschüler, das war für die 86-Jährige eine neue Erfahrung.
Ist die NS-Zeit ein Thema für Volksschulkinder?
Doch ist die NS-Zeit, der Holocaust, ein Thema für Volksschüler? Dieser Frage gingen Fachleute bei der Tagung an der PHT nach. Die Antwort darauf: Ja, denn Kinder zeigen großes Interesse, sind sie im Alltag doch immer wieder mit dem Thema konfrontiert, etwa beim Surfen im Internet. Das belegt auch eine deutsche Studie. „Entscheidend ist, wie man es aufbereitet“, sagt Irmgard Bibermann. Bibermann ist Fachdidaktikerin für Geschichte, unterrichtet an der PHT und arbeitet für die Plattform erinnern.at. Das Programm widmet sich der Geschichtsvermittlung und stellt wertvolle Unterrichtsmaterialien für die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust bereit.
Über die sehr persönliche Geschichte von Zeitzeugen können die Kinder den historischen Kontext leichter fassen und begreifen.
Irmgard Bibermann, PHT-Lehrende und MA von erinnern.at
Über Persönliches das große Ganze erfassen
Auf erinnern.at wird Zeitzeugen viel Platz eingeräumt. Auch die Geschichte von Marion Fischer ist dort verewigt. Bibermann hat die Innsbruckerin für das Projekt gemeinsam mit dem Historiker Horst Schreiber von der Uni Innsbruck interviewt. „Wenn Zeitzeugen erzählen, dass sie einst nicht zur Schule gehen durften, was das für sie bedeutet hat, dann wird für Kinder über diese persönlichen Erfahrungen der historische Kontext begreifbar“, erklärt Bibermann den Wert dieser Form der Geschichtsvermittlung. Sie wird in anderen Ländern schon lange Zeit gepflegt. Österreich hat die Bedeutung erst spät erkannt. Umso wertvoller sind die mit den noch lebenden Zeitzeugen geführten Interviews auf erinnern.at.
Interviews, ein Film und Stadtspaziergänge
Daraus hervor ging auch eine Lernhomepage mit Erzählungen von zehn Tirolerinnen und Tirolern. Schulen können auch auf einen mit Kindern erarbeiteten Film zurückgreifen. In Zukunft sollen außerdem verstärkt Stadtrundgänge zu Orten des Gedenkens angeboten werden. Vieles davon passiert in Kooperation mit der PHT. Wichtig sei auch die Einbindung der Eltern, betonen Irmgard Bibermann und ihre Kollegen.
Wie wertvoll all das ist, hat das Zusammentreffen von Marion Fischer mit den Volksschülern gezeigt. Das Thema wurde im Unterricht umfassend vorbereitet. Was Fischer besonders berührt hat: „Die Kinder haben gemeint, dass es für mich bestimmt sehr schwer ist, über meine schlimmen Erfahrungen zu sprechen.“ Eine sehr reife Überlegung von sehr jungen Menschen.
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