Deutsche und österreichischen Flüchtlingsorganisationen haben am Dienstag über mutmaßliche widerrechtliche Zurückweisungen von Migranten an der deutsch-österreichischen Grenze informiert. „Dutzende syrische Kriegsüberlebende berichten von formalisierten Pushbacks durch deutsche Beamte im Grenzgebiet zu Österreich“, erklärten die NGOs in einer gemeinsamen Presseaussendung. Die deutsche Bundespolizei wies den Vorwurf zurück.
„Die Betroffenen sind seit Wochen in Österreich gestrandet, obwohl sie zuvor in Deutschland um internationalen Schutz gebeten hatten“, hieß es in der Aussendung von Pushback Alarm Austria, Border Violence Monitoring Network und Bayerischer Flüchtlingsrat. „Trotz klarer nationaler und internationaler Vorschriften, die das verbieten, wurden die Betroffenen nur wenige Stunden nach ihrer Ankunft in Bayern an die österreichische Polizei übergeben, oder einfache auf der Straße in Salzburg ausgesetzt.“ Es gehe dabei nicht um Einzelfälle, „sondern um eine systematische Praxis“.
Betroffene berichten von Strafandrohungen
Konkret verwiesen die NGOs auf Aussagen von insgesamt sechs im Detail dokumentierten Vorfällen aus den Monaten November und Dezember 2022. Die Schilderungen stammen laut ihren Angaben von Schutzsuchenden aus Syrien, die im Rahmen polizeilicher Kontrollen in Freilassing, Passau und München aufgegriffen worden waren. Die Betroffenen berichten demnach, dass sie deutschen Beamtinnen und Beamten gegenüber mehrfach und auch im Beisein von Dolmetscher artikuliert hatten, einen Asylantrag in Deutschland stellen zu wollen. „Dennoch wurden sie ohne die Einleitung eines regulären Asylverfahrens meist am darauffolgenden Tag nach Österreich zurücktransportiert“, hieß es.
Ahmad, ein junger Familienvater aus Syrien, der den Kriegsdienst unter dem Assad-Regime verweigert hatte, wurde zitiert mit den Worten: „Ich war fassungslos, als mir die Beamten in Freilassing sagten, ich würde eine Strafe bekommen und sogar ins Gefängnis gehen, wenn ich nochmals versuchen würde, nach Deutschland einzureisen.“
Polizei: „Rechtspraxis“
Eine Stellungnahme der Salzburger Polizei war noch ausständig. Die Bundespolizeidirektion München verwies auf die Rechtspraxis. „Wird gegenüber der Bundespolizei ein Schutzersuchen vorgebracht, wird die Person gemäß Asylgesetz erkennungsdienstlich behandelt und anschließend an die zuständige Erstaufnahmeeinrichtung weitergeleitet. Die Prüfung des Schutzersuchens obliegt ausschließlich dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)“, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.
Unbegleitete Minderjährige würden aus Gründen der Jugendfürsorge nicht in die Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet, sondern in die Obhut des Jugendamtes übergeben. Familien würden nicht getrennt, sondern ebenso wie unbegleitete Minderjährige beschleunigt bearbeitet, um die Aufenthaltsdauer in den Diensträumen so kurz wie möglich zu halten. „Bei der grenzpolizeilichen Bearbeitung wird in jedem Einzelfall darauf geachtet, ob sich aus dem schriftlich, mündlich oder in anderer Weise geäußerten Willen der Personen entnehmen lässt, dass diese in Deutschland um Schutz vor politischer Verfolgung oder um internationalen Schutz nachsuchen“, sagte der Polizeisprecher. Bestimmte Wörter wie z. B. Asyl seien dabei nicht erforderlich, aber auch allein nicht ausreichend. Im Zweifelsfall sei von einem Asylgesuch auszugehen.
Die NGOs verwiesen außerdem auf einen starken Zuwachs an Zurückweisungen bei gleichzeitig sinkenden Asylantragszahlen gemäß deutscher Polizeistatistiken. Demnach wurden im vergangenen Jahr in Deutschland an der Grenze zu Österreich 22.824 unerlaubte Einreisen registriert, wobei in zwölf Prozent der Fälle Asylgesuche aufgenommen wurden. Im November und Dezember 2022 konnten nur 0,6 Prozent der über die deutsch-österreichische Grenze eingereisten Personen demnach einen Asylantrag stellen: in Zahlen seien das 20 Asylgesuche im November 2022 und zwölf Asylgesuche im Dezember 2022 bei Aufgriffszahlen von 3.077 bzw. 2.107 Personen.
Aufklärung gefordert
„Wie kann es sein, dass es Tausende Personen aus Hauptherkunftsländern bis an die deutsche Grenze schaffen und dann, angeblich ohne Asylgesuch, zurückgeschoben werden?“, fragte Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Auch aufgrund der hohen Anzahl polizeilicher Zurückschiebungen und der auffallend geringen Anzahl der aufgenommenen Asylanträge müssen wir davon ausgehen, dass ein Teil der Zurückweisungen nicht legal erfolgen.“ Die NGOs forderten die sofortige Aufklärung der Vorwürfe.
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