Während der kleine Bruder Liam keine Gelegenheit auslässt, um öffentlichkeitswirksam auf eine Oasis-Reunion zu hoffen, befindet sich Noel in seinem „Zen-Modus“ und kreiert auf seinem neuen High Flying Birds-Album „Council Skies“ eine Atmosphäre des Einklangs und der Zufriedenheit. Gleichzeitig ist das Werk eine musikalische Rückkehr in alte Pop-Gefilde.
Team Liam oder Team Noel? Prinzipiell ist diese Frage Blödsinn. Wie auch bei Robert Plant und Jimmy Page oder Paul McCartney und John Lennon. Allesamt großartige Musiker mit Legendenstatus, die ihren jeweiligen Beitrag zur Unterhaltungsindustrie getätigt haben. Doch im Entertainment geht es auch um Überspitzung und Dramatik und die ist nun einmal besser gegeben, wenn man sich ins Getümmel wirft und klar Fahne bekennt. Die Gallagher-Brüder machen es einem seit Jahr und Tag insofern leicht, als sie sich über diverse virtuelle Plattformen und via Interviews so furchtbar gerne beflegeln, dass man daraus längst eine üppige Enzyklopädie drucken könnte. Ob es jetzt, 2024, 2025 oder überhaupt nie zur Oasis-Reunion kommen wird - who knows? Wie beim Weihnachtspackerl ist auch hier die Vorfreude am schönsten und solange der junge Liam uns mit seinem Twitter-Flehen Hoffnung schürt, kann uns der alte Noel trotz ständiger Absagen via verbaler Realitätskeule nicht den Spaß an der Sache nehmen.
Vom Prolo zum Elder Statesman
Rein musikalisch haben sich die beiden in den letzten Jahren auch solo ganz gut erfangen. Liams letztes Soloalbum war zwar ein leichter Rückschritt, doch im Vergleich zu den höchst durchschnittlichen Beady-Eye-Jahren schwebt das Stimmwunder auf einem formidablen Hoch. Dazu ist er auch der rüpelhaftere und witzigere Gallagher, was ihm einen Punktesieg in der Öffentlichkeitswirksamkeit einbringt. Bruder Noel hat sein Tourette in Interviews zwar nach wie vor nicht ganz im Griff, versteckt sein proletoides Wesen aber seit geraumer Zeit recht erfolgreich hinter einer Elder-Statesmen-Attitüde, die natürlich nicht allzu ernst zu nehmen ist, ihm aber trotz allem ganz gut zu Gesicht steht. In die Spur gefunden hat er über die Pandemie auch wieder musikalisch, denn bei den High Flying Birds fragte man sich in den letzten Jahren zunehmend, ob er absichtlich an seiner eigenen Songwriting-Legende rüttelt.
Natürlich waren keine Stinker im Œuvre, aber der etwas zu gewollte 60s/70s-Psychedelic-Pop auf dem 2017er-Studioalbum „Who Built The Moon?“ konnte ebenso wenig mit den eigenen Glanzleistungen mithalten wie die 2020er EP „Black Star Dancing“, wo sich Noel in einem gefühlten Anflug von Midlife-Crisis auf die elektronische Pop-Tanzfläche wagte. Mit der Pandemie kam aber auch beim mittlerweile 56-Jährigen die Reflexion und eine kräftige Portion Nostalgie. Für den vierten High-Flying-Birds-Rundling „Council Skies“ hat sich das Raubein tief in seiner persönlichen Historie vergraben. Er lässt seine Heimat Manchester aufleben, beruft sich auf seine irischen Wurzeln, die ihm die Liebe zur Musik näherbrachten und erinnert sich an seine Zeiten vor Oasis, als er als Roadie mit einer britischen Band durch die Lande tingelte und sein ehrliches Geld hinter der Bühne verdiente.
Mit sich im Reinen
Was dann kam, ist bekannt. „Live Forever“, „Wonderwall“, Koks, Reichtum, Ruhm, Frauen - und gewalttätige Bruderzwistigkeiten. Ein stringentes Konzept über die Vergangenheit lässt sich Noel auf „Council Skies“ aber nicht so einfach aufstempeln. Dafür bleibt er in den Texten oft zu vage und metaphorisch. Er lässt sich nicht so direkt auf seine persönliche Vita aufhängen, wurde in Interviews aber nicht müde zu betonen, dass er mit sich und seinem Leben im Reinen ist. „Irgendwann kommst du an einem Punkt in deinem Leben, wo du dich im Spiegel ansiehst und all das siehst, was du warst, bist und sein wirst. Es geht darum, mit sich selbst glücklich zu sein. Das Leben ist schön - genieße es und lass den Dingen ihren Lauf.“ Diese offen zur Schau gestellte Lässigkeit zieht er mit frischen 56 rigoros durch. Ob das an der völligen Ignoranz einer Oasis-Reunion liegt, oder der Tatsache, dass jegliche Trends im Musiksegment wie Teflon an ihm abperlen.
„Council Skies“ versucht zu keiner Sekunde der 43 wohl komponierten Minuten etwas vorzugeben, was es nicht. Man hört ganz viel vom einzigartigen Singer/Songwriter-Gestus des älteren Gallaghers, ein bisschen von seiner alten Band, vor allem aber eine Wagenladung ungezwungenen Pub-Rock, der ganz im Gegensatz zu seinem Verfasser niemals die Krallen ausfährt, sondern immer gerne zwischen Melodie, Melancholie und Zufriedenheit schwankt. Die stärksten Phasen Noels gehen immer ins Balladeske, daran hat sich auch nach 30 Jahren Karriere nichts geändert. So ist die Single-Auskoppelung „Dead To The World“, möglicherweise eine Trauer-Ode an die zerbrochene Ehe mit Sara MacDonald, als psychedelisch-repetitives Lehrstück mit Falsett-Stimme ein wunderbarer Beweis dafür, wie er als Songwriter gereift ist. Beim eingängigen „Easy Now“ lehnt er sich dafür so weit an seine Oasis-Vergangenheit an, dass eigentlich nur noch das einzigartige Timbre von Liam zur völligen Glückseligkeit fehlt.
Kein Platz für Dubletten
An gleich drei Songs auf „Council Skies“ hat der ebenfalls nicht maulfaule Noel-Kumpel Johnny Marr mitgearbeitet, doch einen Smiths-Geschmack bekommen die Songs deshalb nicht. „Council Skies“ ist das erste Album, das Noel - abseits der in den Abbey Road Studios eingespielten Streicher - in seinen hauseigenen Londoner Lone Star Sound Recording zusammengebaut hat. Das gab ihm die hörbare Freiheit, die Nummern so auszuarbeiten, dass sich keine Dubletten einschleichen und Wiederholungen, wie auf vergangenen Alben durchaus markant zu hören war, möglichst ausgeschlossen sind. Der elektronische Beat von „Pretty Boy“ passt dabei gut zum Roadmovie-Opener „I’m Not Giving Up Tonight“. Der orchestrierte Ohrwurm „Open The Door, See What You Find“ und fügt sich fein zum auf die Stimme zugeschnittenen „Trying To Find A World That’s Been And Gone“, das klar an „Little By Little“ erinnert. Well done, Noel. Im aktuellen Wettkampf ein klarer Familien-Punktesieg.
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