Muss Ungarn aussetzen?
Ratsvorsitz: EU-Parlament spricht Orban Eignung ab
Es ist ein diplomatischer Knalleffekt: Das EU-Parlament hat Ungarn die Eignung für den Ratsvorsitz abgesprochen - und zwar mit großer Mehrheit. Eine Lösung ist das aber noch lange nicht.
442 von 619 Abgeordnete stimmten am Donnerstag einer Resolution zu, die die Eignung Ungarns, Mitte 2024 den EU-Ratsvorsitz zu übernehmen, anzweifelt. Im Klartext heißt das: Das Europäische Parlament fordert mit großer Mehrheit eine Aussetzung der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft.
Die Resolution hat keine rechtlichen Auswirkungen, birgt aber diplomatischen Sprengstoff. Österreichs EU-Parlamentarier votierten mit Ausnahme der FPÖ-Abgeordneten dafür.
EU sieht Verletzung der Grundrechte
Die EU-Mandatare sehen keine ausreichenden Fortschritte bei Ungarns Problemen mit der Rechtsstaatlichkeit: Sie fordern daher die konsequente Fortführung des laufenden Artikel-7-Verfahrens wegen Verletzungen der Grundrechte. Zudem sind wegen Problemen mit Korruption EU-Gelder eingefroren.
Von EU-Parlamentariern war im Vorfeld zu hören, dass Ungarn „keine Demokratie“ mehr sei. Wenn Orban für sechs Monate den Chefsessel übernehmen würde, käme das einem „Desaster“ gleich.
Das Parlament stellt in Frage, ob Ungarn vor diesem Hintergrund der richtige Ratsvorsitz sei. In der Resolution wird „so rasch wie möglich eine angemessene Lösung“ gefordert. In den EU-Verträgen ist nicht vorgesehen, einem Land die turnusmäßige Ratspräsidentschaft abzuerkennen.
Orban höhlt Demokratie systematisch aus
Der ungarische Premierminister Orban hat seit seinem ersten Wahlsieg im Jahr 2010 die politische Landschaft völlig umgewälzt. Besonders kritisiert wurden das neue „Grundgesetz“, die Schwächung der Opposition durch umstrittene Wahlrechtsreformen und das neue Medienrecht, wodurch sich seine Regierung einen Großteil der Medien einverleibte.
Bereits ein Jahr nach Orbans Regierungsübernahme wurde das neue „Grundgesetz Ungarns“ zur neuen Verfassung des Landes. Darin werden beispielsweise die Kompetenzen des Verfassungsgerichts beschränkt und sein Recht zur Überprüfung von Steuer- und Finanzgesetzen aberkannt. Angehörige von Minderheiten werden in der Präambel der Verfassung zudem nicht als Teil der ungarischen Nation herabgewürdigt.
Europarechtler skeptisch
Wie effektiv die neue Front im EU-Parlament gegen Orban ist, wird von Europarechtlern jedoch bezweifelt. Durch eine Geschäftsordnungsautonomie der Organe habe das Europäische Parlament im Grunde keine Möglichkeit, in den Ratsvorsitz einzugreifen, erklärt der Universitätsprofessor für Europarecht, Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck Walter Obwexer. Der Ball liege jetzt beim Rat. In der Geschichte der EU wurde jedoch noch nie eine Nation vom Ratsvorsitz ausgeschlossen.
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