Wer nach Vorarlberg ziehen will und kein Deutsch spricht, wird es ziemlich schwer haben. Und auch sonst sind einige Hürden zu bewältigen, berichtet die aus Peru stammende Deutsche Melyssa Briceno.
„Ich sage allen meinen ’Expat’-Freunden: Lernt Deutsch, das Leben wird für euch viel leichter“, erzählt die quirlige Peruanerin, die in den USA aufgewachsen ist und mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. „Expat“ ist die Kurzform von „Expatriate“ und bezeichnet Menschen, die außerhalb ihres Heimatlandes leben. Melyssa Briceno weiß aus eigener Erfahrung, dass die Sprachkenntnisse das Um und Auf sind, um sich in einem Land einzugewöhnen.
Informationen von Ämtern selten auf Englisch
Vor rund 13 Jahren kam sie ohne ein Wort Deutsch zum Arbeiten nach München, im Februar 2020 verschlug es sie nach Vorarlberg. „Ich kann mich noch sehr gut an meine Anfänge erinnern“, blickt Briceno zurück. „Schon den Führerschein umschreiben zu lassen oder ein Konto zu eröffnen, war ein fast unüberwindliches Hindernis.“ Sämtliche Informationen von Ämtern, ob online oder offline, seien auf Deutsch. Auch in Vorarlberg sei das nicht anders. Als Beispiel nennt sie die Homepage der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). „In Zeiten von ChatGPT wäre es eigentlich sehr einfach, eine Seite auf Englisch anzubieten. Das würde ausländischen Arbeitskräften extrem helfen.“
Auch die Freizeitgestaltung ohne Deutschkenntnisse sei für „Expats“ alles andere als einfach. „Es gibt hier tolle Aktivitäten, Wanderroutenbeschreibungen und vieles mehr. Wenn ich aber kein Deutsch verstehe, finde ich sie nicht und kann damit auch nichts anfangen“, sieht die 43-Jährige noch deutlichen Aufholbedarf.
Sie selbst spricht mittlerweile sehr gut Deutsch, hie und da gespickt mit englischen Vokabeln. Auf den Vorarlberger Dialekt war sie aber dennoch nicht vorbereitet. „Drü statt drei, Schwiz statt Schweiz. Ich dachte mir, what the hell are they talking about (um Himmels Willen, wovon reden die, Anm.)“, erzählt Briceno lachend. Für dieses Problem hatte die kontaktfreudige Frau aber schnell eine Lösung: Sie meldete sich bei einer Laufgruppe an. „Die Leute da sprachen alle im Dialekt - ich habe schnell gelernt.“ Für viele ihrer „Expat“-Freunde sei die Mundart aber ein deutliches Hindernis. „Wenn sie Deutsch sprechen, dann Hochdeutsch. Ich höre immer wieder, dass einige sich ausgeschlossen fühlen, wenn die Einheimischen bei der Arbeit miteinander nur Vorarlbergerisch reden.“
Für sie selbst sei das nie ein Thema gewesen. Knapp drei Jahre arbeitete Briceno nämlich im Marketing eines Lustenauer Technologie-Unternehmens, das 45 Mitarbeiter aus 17 Nationen beschäftigte. „Das meiste war deshalb ohnehin auf Englisch.“ Zu diesem Job und damit auch nach Vorarlberg kam Briceno nur durch einen „glücklichen Zufall“, wie sie es bezeichnet. In München hatte sie ihren Job im Kundenservice bei Tesla gerade gekündigt, als der Marketing-Chef ihres späteren Arbeitgebers anrief, um einen Service-Termin für sein Auto zu vereinbaren.
„Ich war am Telefon anscheinend so gut, dass er mir eine Arbeitsstelle anbot“, berichtet die 43-Jährige grinsend. Eines der darauffolgenden Wochenenden nutzte Briceno, um sich das Unternehmen und die Umgebung anzuschauen. „Die wussten schon, wie man Mitarbeiter ködert“, fasst die selbstbewusste Frau das erste Kennenlernen zusammen. Gleich nach dem Vorstellungsgespräch habe man sie zu einem Kaffee ins „Fritsch am Berg“ hoch über Bregenz eingeladen. „Als ich den Blick über den Bodensee sah, wusste ich, hier will ich leben.“ Diese Entscheidung hat sie noch nicht bereut. „Ich liebe Vorarlberg und ich liebe vor allem Dornbirn, wo ich lebe. Da gibt es alles, den Karren, das Stadtbad, ich kann bouldern gehen... Ich glaube, ich sollte mich bei Vorarlberg Tourismus bewerben, so oft wie ich Vorarlberg überall promote“, meint die Zugezogene verschmitzt.
Vorarlberger Freunde finden „Expats“ kaum
Mittlerweile sucht Briceno, die in Miami „Public Relations“ studiert hat, nämlich eine neue berufliche Herausforderung, „im Marketing, Kundenservice oder Key Account Management“. Auf jeden Fall sollte es etwas „mit Menschenkontakt“ sein, denn darin sei sie wirklich gut. Ihre Vielseitigkeit - Briceno hat bereits in der Buchhaltung, im Verkauf, im Marketing und im Kundenservice gearbeitet - komme anders als in den USA in Europa allerdings nicht so gut an. „In den USA hat man Vorteile, wenn man eine große Tool-Box vorweisen kann. Man gilt als anpassungsfähig. Hier kann das auch ein Nachteil sein.“ Ihre Freude am Umgang mit Menschen nutzt die gebürtige Südamerikanerin in der Zwischenzeit, um andere „Expats“ zu unterstützen - etwa bei Terminvereinbarungen mit Ärzten oder auch nur, indem sie in der „Expat“-Gruppe auf Facebook nachfragt, wer mit auf den Karren wandern will.
Trotz ihrer Kontaktfreudigkeit und der guten Deutschkenntnisse ist Briceno eines noch nicht gelungen, nämlich mehrere Vorarlberger Freunde zu finden. „Nur eine einzige Freundin ist von hier, alle anderen kommen von überallher.“ Dieses Manko erklärt sie sich mit der Verschlossenheit der „Ureinwohner“: „Viele kennen sich schon aus der Kindheit und bleiben dann in diesem Kreis“, vermutet sie. Dass es nicht nur ihr so geht, zeigt eine Umfrage der Industriellenvereinigung. Darin gaben 71 Prozent der Vorarlberger „Expats“ an, dass sie keine einheimischen Freunde haben und sich nicht integriert fühlen.
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